Editorial

Stammzellnischen im Auge

(25.2.16) Im Forscherranking der aktuellen Laborjournal-Ausgabe stellen wir die Top-50 der meistzitierten Augenforscher im deutschsprachigen Raum vor – darunter Ursula Schlötzer-Schrehardt von der Uni Erlangen.
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Schlötzer-Schrehardt und ihre Kollegen erforschen Glaukomerkrankungen. Die Erlanger Augenforscher haben sich insbesondere auf das Pseudoexfoliationsglaukom oder PEX-Glaukom spezialisiert (siehe beispielsweise Ophthalmology 119(9): 1832-43). Dabei ist die Expression des Enzyms Lysyl oxidase-like 1 gestört, es kommt zu einer mangelhaften Vernetzung der elastischen Fasern im Bindegewebe und zu Ablagerungen, die im Auge den Abfluss des Kammerwassers behindern. In den letzten Jahren verlagerte sich ihr Schwerpunkt aber mehr in Richtung cornealer Stammzellen und Hornhaut-Transplantationstechniken. Darüber haben wir mit der Augenforscherin im folgenden Interview gesprochen:

Laborjournal: In einem aktuellen Paper Ihrer Gruppe geht es um die sogenannten Limbusstammzellen der Cornea (Stem Cells 34(1): 203-19). Was ist an diesen Zellen so besonders?

Schlötzer-Schrehardt: Es gibt das Krankheitsbild der Limbusstammzellinsuffizienz, das ist eine der am schwierigsten zu therapierenden Erkrankungen der Hornhautoberfläche. Es gibt am Rande der Hornhaut ein Reservoir oligopotenter Stammzellen. Bei Wundheilungsprozessen, oder auch im Rahmen des ständigen physiologischen Turnovers des Hornhautepithels, sichern diese Limbusstammzellen die Integrität der Hornhautoberfläche und damit die klare Sicht. Bei Entzündungen, Autoimmunerkrankungen oder auch bei Verletzungen wie Verbrennungen und Verätzungen kann es aber zu einer kompletten oder partiellen Schädigung dieser limbalen Stammzellen kommen. In der Folge entwickelt sich dann das klinische Bild dieser Limbusstammzellinsuffizienz, das zu schmerzhafter Sehbehinderung bis zur Erblindung führen kann. Leider sind die Therapiemöglichkeiten beschränkt. Als vielversprechendstes Verfahren hat sich bisher die Limbusstammzelltransplantation etabliert.

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Wie funktioniert diese Transplantation?

Schlötzer-Schrehardt: Man entnimmt durch eine kleine Biopsie Limbusstammzellen vom Partnerauge oder einem geeigneten Spenderauge. Die expandiert man dann in Kultur auf einer transplantierbaren Trägermembran. Das kann zum Beispiel Amnionmembran oder Fibrin sein, oder auch ein Hydrogel. Und wenn sich dann unter geeigneten Kulturbedingungen ein Epithel-Äquivalent gebildet hat, nimmt man das Konstrukt und transplantiert es auf die Oberfläche des erkrankten Auges. Dieses Verfahren hat eine gute Kurzzeitprognose, aber leider noch eine unzureichende Langzeitprognose. Die Erfolgrate dieses Ansatzes variiert stark und liegt im weltweiten Durchschnitt ungefähr bei 50 bis 60 Prozent.

Molekulare Charakterisierung der Stammzellnische

Warum schlägt die Therapie denn bei vielen Patienten langfristig nicht an?

Schlötzer-Schrehardt: Eine mögliche Ursache dafür ist, dass wir momentan den Stammzellcharakter noch nicht in der Zellkultur erhalten können. Denn die Stammzellen werden durch die Expansion aus ihrer nativen Nische entfernt und auf irgendein künstliches Substrat gesetzt. Da versteht es sich von selbst, dass sie irgendwann ihre Stammzelleigenschaften verlieren. Was wir dann transplantieren, ist letztendlich ein ausdifferenziertes Epithel. Aber wir können dadurch nicht den verarmten Stammzell-Pool des erkrankten Auges ersetzen. Und deswegen geht unser Forschungsinteresse dahin, diese Limbusstammzellnische zu charakterisieren und in vitro zu rekonstruieren, mit dem Ziel einer langfristigeren Therapieoptimierung.

Das bedeutet, es ist erst einmal Grundlagenforschung. Sie wollen verstehen, welche molekularen Signale die Stammzellen brauchen, um Stammzellen zu bleiben.

Schlötzer-Schrehardt: Genau. Es geht um eine molekulare Charakterisierung der Nischenumgebung. Das steht zwar noch am Anfang, aber wir haben schon ein paar grundlegende Arbeiten leisten können. Zum Beispiel haben wir die extrazelluläre Matrixzusammensetzung der Nische charakterisiert. Wir machen das, indem wir aus Spendergewebe mittels Laser Capture Microdissection diese Stammzell- und Progenitorzell-Cluster mitsamt ihrer Nischenumgebung herausschneiden und das ganze dann molekulargenetisch mit Microarrays und Genexpressionsstudien analysieren.

Was wissen Sie momentan über diese Stammzellnische?

Schlötzer-Schrehardt: Wir wissen, dass die Progenitorzellen über ganz spezielle Adhäsionsmoleküle an einer spezialisierten Matrix und auch untereinander mit ihren Nischenzellen verankert sind. Und wir konnten zeigen, welche Nischenzellen letztendlich am Aufbau dieses Mikromilieus beteiligt sind. Diese sezernieren lösliche Signalmoleküle wie zum Beispiel Zytokine.

Organotypische Co-Kultursysteme

 Können Sie denn bereits Stammzellen in Kulturen am Leben erhalten und ihnen ihre Stammzellnische in vitro nachbauen?

Schlötzer-Schrehardt: Wir kennen die Matrixkomponenten, die letztendlich als Wachstumsgrundlage wichtig wären. Und wir wissen auch, welche Nischenzellen wir zur Unterstützung der Progenitorzellen brauchen. Wichtig sind beispielsweise bestimmte Laminin-Peptide, und die versuchen wir momentan an Hydrogel-basierte Trägermatrizes zu koppeln und gleichzeitig die Nischenzellen darin zu inkorporieren. Dafür arbeiten wir mit dem Leibnitz-Institut für Polymerfoschung in Dresden zusammen. Letztendlich steht dahinter der Wunsch, in vitro ein organotypisches Co-Kultursystem zur Rekonstruktion der Stammzellnischenumgebung zu schaffen, das dann vielleicht auch irgendwann für die Transplantation geeignet sein könnte. Das müsste dann in präklinischen Studien am Tiermodell getestet werden. Aber das wird noch etwas dauern.

 

Schließlich haben wir Ursula Schlötzer-Schrehardt noch auf einen Punkt angesprochen, der bei der Publikationsanalyse „ins Auge“ fiel: Der geringe Frauenanteil mit nur vier Forscherinnen unter den Top-50. Lesen Sie dazu demnächst mehr im 2. Teil des Laborjournal-Gesprächs mit der Erlanger Augenforscherin.

 

 Interview: Mario Rembold

Foto: by-Studio / Fotolia



Letzte Änderungen: 03.03.2016