Editorial

Kein Cycler auf Rügen

(25.10.16) „Der Thermocycler ist in Kur“, informierte unsere (andere) TA eine Kollegin. Worauf sie sich dies mal wirklich wörtlich vorstellte…
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Bewegungsunfähige Gegenstände sind die große Konstante unseres Alltags. Wenn alles läuft, wie es soll, verbringen sie die meiste Zeit ihrer Existenz an einem festen Platz, den sie von uns zugewiesen bekommen haben – und von dem sie sich nur durch unsere Hand wieder entfernen können.

Sind sie dann doch einmal nicht an ihrem gewohnten Platz, erregt das unweigerlich Aufsehen.

„Haben wir nur noch zwei PCR-Cycler?“, erkundigt sich eine End-Doktorandin, die die letzten zwei Wochen zuhause an ihrer Arbeit geschrieben und so den Abtransport unseres vorübergehend abberufenen Cyclers Nummer 1 verpasst hat.

„Nö, sind immer noch drei“, erkläre ich.

„Da stehen aber nur zwei!“

„Der dritte ist zur Kur.“

Großes Erstaunen ihrerseits.

„Das Thermoelement war defekt. Ich habe ihn zur Reparatur geschickt“, übersetze ich.

„Ach so!“

Editorial

Ich kann ihre Irritation nachvollziehen. Meine zuerst gewählte Formulierung wirft tatsächlich Fragen auf. Fragen wie: Wo kuren Elektrogeräte?

Mit den klassischen Heilbädern geben sie sich wohl kaum zufrieden. Denn was für Menschen gemeinhin als heilsam gilt, ist ihrem Wohl ziemlich sicher abträglich. Aus Massagen machen sie sich sowieso nichts, mit Moorbädern und Algenpackungen darf man ihnen schon gar nicht kommen – und jodhaltige, salzige Seeluft korrodiert gar ihre empfindlichen elektronischen Eingeweide. Binz auf Rügen scheidet als Kurort also definitiv aus. Und ist der bei einer klassischen Kur angestrebte Abbau von inneren Spannungen überhaupt gut für Elektrogeräte?

Nein, Elektrogeräte kuren im Reinraum, wo das Kurkonzept exklusiv auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Bad Reinraum – der Geheimtipp unter laborierenden Elektrogeräten.

Dort räkeln sie sich dann mit frisch gereinigten Schaltkreisen in staubfreier Umgebung und tauschen sich über ihre Gebrechen aus.

Brutschüttler: „Was führt Sie hier her?“

Cycler: „Ich litt unter unerklärlichen Temperaturschwankungen, bis gestern dann endlich ein defektes Thermoelement diagnostiziert und mir ein neues implantiert wurde. Zur Erholung hat mir mein Techniker jetzt noch eine Elektrotherapie verordnet.“

Brutschüttler: „Sprechen Sie von Herrn Geström? Der Mann ist ein Zauberer, ein wahrer Virtuose der Technik. Er hat mir einen neuen Antriebsriemen eingesetzt. Seitdem laufe ich endlich wieder rund.“

Dazu noch das Photometer mit Lampenfieber, ein Autoklav mit Steinkohlestromintoleranz, das Messgerät mit permanentem Vollausschlag,... Unser Cycler schließt gewiss viele neue Bekanntschaften.

Sicher kriegen wir bald eine Postkarte:

 

Liebe Benutzer,

das Raumklima hier ist wunderschön und der Strom ist köstlich. Ich erhole mich großartig und habe darüberhinaus eine entzückende Tischzentrifuge kennengelernt.

Schade, dass Ihr nicht hier sein könnt.

Euer Cycler 1


Na ja, vielleicht auch nicht. Wäre aber auch nicht schlimm. Ich für mein Teil will ebenso wenig einen Kuraufenthalt in einem Reinraum verbringen, wie ich eine Postkarte von unserem sich dort erholenden Cycler bekommen möchte. Kollegen, die solche Postkarten aus der Sommerfrische schicken, gönnt man die Erholung ja zumeist. Aber dass Geräte, die mir eigentlich zur Hand gehen sollen, ihre Kabel in die Sonne halten, während ich arbeiten muss – das möchte ich dann lieber doch nicht lesen.

Maike Ruprecht



Letzte Änderungen: 15.11.2016