Editorial

Gentransfer mit DNA-Ratsche

(14.11.16) Horizontaler Gentransfer ist bei Bakterien häufig, aber nicht leicht. Denn das Aufnehmen von DNA in die Bakterienzelle benötigt einen molekularen Motor. Kölner Physiker haben ihn gefunden: Mit großer Kraft zieht er die DNA in die Zelle hinein.
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Pflanzen und Tiere sorgen mit sexueller Reproduktion dafür, dass sie genetisch so flexibel wie möglich bleiben. Dadurch können sie sich zum Beispiel an wechselnde Umweltbedingungen anpassen oder am Ende sogar neue Arten bilden.

Bei Bakterien funktioniert das bekanntermaßen anders: Sie vermehren sich nicht sexuell, sondern asexuell durch Zellteilung. Dadurch entstehen zwar immer wieder neue Zellen – da sie aber Klone sind, gleichen sie sich im Normalfall wie einem Ei dem anderen. Für die Biotechnologie ist dies durchaus von Vorteil, weil man somit beispielsweise unzählige Bakterienklone züchten kann, die einen gewünschten Stoff wie etwa Insulin produzieren. Für die Prokaryoten selbst kann dies aber auch schnell ein Nachteil sein. Denn auch für Bakterien ist es wichtig, sich durch stetige Veränderung an ihre Umwelt anzupassen und sich gegebenenfalls auch evolutionär weiterzuentwickeln. Doch wie machen sie das?

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Stichwort hier ist der horizontale Gentransfer (HGT). Anders als beispielsweise bei uns Menschen kombinieren Bakterien ihre DNA nicht neu und übergeben sie an die Tochterzellen. Prokaryoten übertragen genetisches Material vielmehr an einen bereits existierenden Organismus – also nicht vertikal entlang der Abstammungslinie, sondern horizontal.

Auf diese Weise sind Bakterien erst recht wahre Anpassungskünstler – was Ärzte allerdings eher weniger freut: Denn durch die Gabe vieler Bakterien, sich damit unglaublich schnell auf wechselnde Umweltbedingungen einzustellen, können diese auch in kurzer Zeit Resistenzen gegen häufig eingesetzte Antibiotika entwickeln. Dabei neutralisieren Bakterien die Wirkung der Arzneistoffe in vielerlei Hinsicht, beispielsweise mit der Produktion alternativer Proteine. Die „Resistenzproteine“ sind dabei meist auf kleinen ringförmigen DNA-Stücken kodiert, den sogenannten Plasmiden. Und diese können dummerweise besonders schnell und einfach an andere Bakterien weitergegeben werden. Auf dieselbe Weise können sich überdies auch nicht-pathogene Bakterien-Stämme zu gefährlichen Keimen entwickeln, da sie „plötzlich“ in die Lage versetzt werden, beispielsweise Toxine zu produzieren oder überhaupt erst in den Körper einzudringen.

Kölner Forscher haben nun genauer herausgefunden, wie genau Bakterien untereinander DNA austauschen können. Schon länger war bekannt, dass das bakterielle Erbgut über unterschiedliche Mechanismen übertragen werden kann – ein prominentes Beispiel ist die Transformation. Dabei wird DNA, die sich in unmittelbarer Umgebung des Bakteriums befindet, über Poren in der Membran aufgenommen. Frei flottierende DNA entsteht zum Beispiel durch zerstörte Zellen oder gar durch aktives Ausschleusen von Bakterien.

Die Aufnahme von DNA über Membranporen wiederum ist nur möglich, da sie sich durch ungeordnete Stöße von Molekülen passiv bewegt. Bei diesem Prozess, den man thermische Bewegung nennt, gibt es aber leider ein Problem – nämlich die Größe der Doppelhelix. Denn ein Molekül in dieser Größenordnung kann sich zwar thermisch bewegen, in der Pore würde es aber nur hin und her treiben, ohne wirklich voranzukommen. Das Bakterium braucht deshalb eine Art Motor, der das DNA-Molekül nach Eintreffen in der Pore weiter in die Zelle zieht, beziehungsweise zuerst einmal dessen „Wieder-Wegschwimmen“ verhindert.

Christof Hepp aus der Gruppe von Berenike Maier am Institut für Theoretische Physik der Universität Köln hat sich diesen Mechanismus bei dem Pathogen Neisseria gonorrhoeae genauer angeschaut. Die auch unter dem Namen Gonokokken bekannten gram-negativen Bakterien verursachen eine der häufigsten sexuell übertragbaren Geschlechtskrankheiten: Gonorrhoe, auch bekannt als Tripper. Sie gehören zu denjenigen Bakterienarten, die genetische Information aktiv an ihre Umgebung abgeben. Anhand einer spezifischen Basensequenz erkennen darauf andere Gonokokken die DNA ihrer Artgenossen und können diese durch Transformation aufnehmen.

 

Ganz so einfach geht horizontaler Gentransfer dann doch nicht (Illustr.: Pedro Velica)

 

Ihre Ergebnisse veröffentlichten Hepp und Maier jetzt in PNAS (Vol. 113(44): 12467-72). Demnach fanden sie tatsächlich den vermuteten molekularen Motor in Neisseria und konnten auch beschreiben, wie er funktioniert. ComE heißt das Protein, das vom Zellinneren der Gonokokken an die in der Membranpore eintreffende DNA bindet und damit verhindert, dass sie aus dieser gleich wieder nach außen abschwimmt. Im Prinzip funktioniert diese Maschinerie nachfolgend wie die Ratsche an einem Spanngurt: Durch die thermische Bewegung wird die DNA immer weiter in die Zelle gedrückt und durch ComE jedes Mal wieder neu fixiert – bis sie die Pore komplett durchquert hat. Laut den Physikern arbeitet die Translokations-Ratsche dabei mit erstaunlich hohen Kräften.

Schon in den 90er-Jahren wurde dieses Prinzip der Translokations-Ratsche theoretisch beschrieben. Für Hepp und Maier war es aber erst heute möglich, die Theorie in der Praxis zu beweisen. Und es gibt noch mehr Aufklärungsbedarf: Denn bei gram-negativen Bakterien folgt noch eine zweite Zellmembran, die überwunden werden muss, damit die DNA schließlich im Inneren der Zelle landet. Auch diesem Mechanismus wollen Berenike Maier und ihr Team jetzt auf die Spur kommen. Frühere Arbeiten lassen vermuten, dass dort womöglich noch größere Kräfte walten.

Juliet Merz



Letzte Änderungen: 02.12.2016