Editorial

Fehlermeldungen

(10.1.17) Als Doktorand oder Postdok darf man kaum Fehler machen – sonst ist man schnell raus aus dem harten Forschungsgeschäft. Dabei müsste das gar nicht sein. Zwei nicht ganz fiktive Beispiele.

editorial_bild

Aus Fehlern lernt man, heißt es. Doch gilt das auch in der Forschung? Hat der immer engere Wettbewerb um Stellen und Fördermittel nicht mittlerweile dafür gesorgt, dass das Forschungsgeschäft mit Fehlern ziemlich gnadenlos umgeht? Auch weil jede kleine Nachlässigkeit oder Schlamperei der wachsamen Konkurrenz potentielle und willkommene Angriffsflächen bietet? Und wenn ja: Muss ein solcher „Geist“ nicht vor allem auf Kosten des wissenschaftlichen Nachwuchses gehen, der ja auch – vielleicht sogar gerade – durch Fehler lernen sollte?

Nehmen wir etwa den jungen Doktoranden M. Dieser versuchte vor einiger Zeit ein bestimmtes Membranprotein zu isolieren – und hatte offenbar Erfolg: Nach monatelanger „Putzerei“ präsentierte er in der entscheidenden Bahn des Proteingels eine Bande – und sonst keine. Chef und Doktorand zweifelten nicht: Das musste es sein. Zumal nach der heiligen Regel „n  3“ dieselbe Bande auch in den folgenden Wiederholungen zuverlässig übrig blieb.

Editorial

Chef und Doktorand schrieben also ein Paper. Es wurde begutachtet und schließlich publiziert. Was dummerweise weder Doktorand noch Chef oder Gutachter wussten (letztere waren wohl schon zu lange „weg von der Bench“), fiel erfahrenen Proteinfärbern sofort auf: Die Bande entsprach exakt dem 68 kDa-Artefakt, das man oft nach Mercaptoethanol-Behandlung der Proteinprobe erhält.

Nur zwei Monate nach dessen Erscheinen zerpflückte Chefs Erzrivale das Paper in einer „Correspondence“ mit klarem Artefakt-Beweis. Frustriert und voller Scham schmiss M. seine Doktorarbeit hin.

Kommt dem einen oder anderen bekannt vor? Vielleicht. Doch es geht auch ganz anders – wie das Beispiel der Doktorandin K. beweist, der einst ganz Ähnliches widerfuhr. Diese fiel auf ein Artefakt herein, das Ungeübten oft beim Einsatz gewisser Elektroden droht. Und auch sie hatte ihre Ergebnisse frisch publiziert. Kurz darauf meldete sich einer der „Großkönige“ der neuronalen Ableitung telefonisch bei K.: „Gratuliere zum Paper. Allerdings scheint mir ein Schlüsselbefund nicht zu stimmen. Ich habe meinen Postdok das Experiment nachmachen lassen – und er meint, Du hättest bei den Elektroden was vergessen…“

Sein Postdok wiederum habe jedoch Wichtigeres zu tun, erklärte er weiter – weshalb es besser sei, wenn K. ihren Fehler selbst nachweisen würde. Anschließend weihte der Anrufer K. noch in einige weitere Geheimnisse und Fallstricke bei der Arbeit mit Elektroden ein und skizzierte überdies noch, wie sie die „Richtigstellung“ seiner Meinung nach am geschicktesten angehen könne.

K. tat wie vorgeschlagen und veröffentlichte bald darauf die „Correction“ ihres eigenen Papers. Heute, über zwanzig Jahre später, gilt sie als geniale Wegbereiterin eines ganzen Forschungsfelds.

Wer weiß, so weit hätte M. womöglich auch kommen können…

Ralf Neumann


(Anmerkung: Die beiden Beispiele von K. und M. haben sich zwar nicht ganz genau so abgespielt, wie hier beschrieben – aber prinzipiell doch sehr ähnlich.)



Letzte Änderungen: 31.01.2017