Editorial

Wie Pflanzen auf Klimaerwärmung reagieren

(7.3.17) Der Pflanzenökologe Thomas Hickler erzählt, wie sich der Klimawandel auf die terrestrischen Vegetationszonen auswirkt. Dass sich das Klima erwärmt, sei unstrittig. Und höchstwahrscheinlich ist der Mensch dafür verantwortlich. 
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Im ersten Publikationsvergleich dieses Jahres kamen die Tier- und Pflanzenökologen des deutschen Sprachraums unter die Lupe. Einer von ihnen ist Thomas Hickler vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) in Frankfurt am Main. Hier forscht Hickler an der Schnittstelle zwischen Biologie und Geographie und verbringt den Großteil seiner Arbeit am Computer. Mithilfe von Klimamodellen versucht er, die künftige Ausbreitung terrestrischer Pflanzenarten zu prognostizieren – zum Beispiel der Bäume in Europa (Global Ecol Biogeogr 21(1): 50-63). Mehr direkt von ihm in folgendem Gespräch:

Laborjournal: Diskussionen über den Klimawandel sind häufig emotional aufgeladen. Wie aber ist die Faktenlage? Ist der Klimawandel statistisch nachweisbar?

Thomas Hickler: Dass wir eine Erwärmung über die letzten 150 Jahre haben, ist statistisch eindeutig nachweisbar. Allerdings mit Schwankungen. Die Erwärmung verläuft in manchen Dekaden stärker als in anderen. Und es gibt natürlich große räumliche Unterschiede, zum Beispiel wurde es in gewissen Gegenden sogar kälter. Der Klimawandel ist folglich ein globales Phänomen – und global betrachtet wird es im Durchschnitt wärmer, aber eben nicht überall.

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„Die Erwärmung der letzten 40 bis 50 Jahre ist ohne Treibhausgase nicht erklärbar“

Ist am Klimawandel denn wirklich der Mensch schuld? Es gab doch in der Erdgeschichte schon immer massive Klimaveränderungen!

Hickler: Das beste Verständnis des Klimasystems haben wir heute aus numerischen Modellen, mit denen man versucht, das Klimasystem in seiner gesamten Komplexität darzustellen. Und da sehen wir einfach, dass wir insbesondere die Erwärmung der letzten vierzig bis fünfzig Jahre nicht erklären können, wenn wir die physikalischen Effekte der durch Menschenhand in ihrer Konzentration erhöhten Treibhausgase nicht in die Modelle hineinrechnen. Und der physikalische Effekt dieser Treibhausgase ist gut verstanden. Fest steht, dass der Mensch die Treibhausgase in der Atmosphäre stark erhöht hat. Die wichtigsten davon sind CO2 und Methan. Natürlich kann man nicht ausschließen, dass vielleicht alle Klimamodellierer der Welt irgendetwas vergessen haben. Irgendeinen verborgenen Faktor, der das alles erklärt.

Das Klima ist ja ein hochgradig nichtlineares System. Da wundert mich, dass es überhaupt aussagekräftige Modelle gibt.

Hickler: Wir sprechen hier tatsächlich von sehr komplexen Modellen. Ein globales Klimamodell hat etwa 100.000 Zeilen Programmcode oder mehr – und da geht es nicht um einfache Zusammenhänge wie: Je mehr CO2, desto wärmer. Das ist sehr viel komplizierter! Die Treibhausgase verändern die Strahlungsbilanz der Atmosphäre, so dass weniger Infrarotstrahlung ins Weltall zurückreflektiert wird. Durch die Erwärmung erhöht sich aber auch die Menge an Wasserdampf in der Atmosphäre – und Wasserdampf ist das wichtigste Treibhausgas. Außerdem verändert sich der Effekt von Wolken auf die Strahlungsbilanz durch Partikel, welche etwa bei Verbrennungsprozessen in die Atmosphäre gelangen. Selbstverständlich berücksichtigen solche Modelle auch natürliche Faktoren wie Ozeanströmungen, Vulkanausbrüche oder Sonnenaktivität. Aber wie gesagt: Allein mit diesen natürlichen Faktoren können unsere Modelle den aktuellen Klimawandel nicht erklären.

Sie interessieren sich insbesondere für den Einfluss der Klimawandels auf die Pflanzenwelt. Die Verschiebung der Baumgrenze durch die Erwärmung ist ein Beispiel.

Hickler: Diesen Effekt sieht man zum Beispiel in Skandinavien recht deutlich. Dort hat sich tatsächlich in den letzten hundert Jahren an vielen Orten die Baumgrenze verschoben. Wir sprechen dabei von Höhendifferenzen von oftmals um die fünfzig Meter. Ähnliches kann man auch in Alaska beobachten, wo sich größere Sträucher oder Bäume weiter nach Norden ausbreiten.

Darüber hinaus erforschen Sie die Verschiebung solcher Waldgrenzen in der Vergangenheit. Zum Beispiel vor rund 10.000 Jahren in den Karpaten, wo es damals eine Periode mit besonders warmen Sommern gab. Dazu haben Sie und Ihre Kollegen letztes Jahr eine Arbeit veröffentlicht (Quat. Sci. Rev. 134: 100-13). Andere Autoren beschrieben außerdem, dass in Skandinavien vor 6.000 Jahren die Baumgrenze nach Breitengraden weiter nördlich lag. Wie kommt man überhaupt an solche Daten?

Hickler: Über Pollenprofile. Pflanzenpollen sind extrem robust und oft sehr gut erhalten, wenn man zum Beispiel Bohrkerne aus dem Torf von Mooren zieht. Die Pollen kann man auch verschiedenen Baumtypen zuordnen. Diese Pollendaten sammeln wir in globalen Netzwerken. So können wir dann unter anderem rekonstruieren, dass sich vor 6.000 Jahren die Laubbäume in Südskandinavien viel weiter nach Norden ausgebreitet haben, als das heute der Fall ist. Damals waren die Sommer dort wärmer, unter anderem weil die Erdachse anders geneigt war.

„Wir haben noch heute ähnliche Strahlungsbedingungen wie in der Eiszeit“

Das bedeutet: Einige klimatische Veränderungen in geologisch relevanten Maßstäben lassen sich auch durch astronomische Gegebenheiten erklären?

Hickler: Genau. Schwankungen in der Neigung der Erdachse und wie die Erde sich um die Sonne bewegt sind übrigens auch ganz ausschlaggebend dafür, ob wir in einer Warmzeit oder einer Eiszeit leben. Allerdings spielen dabei auch diverse Rückkopplungen eine Rolle. Wir haben nämlich auch heute noch ähnliche Strahlungsbedingungen wie in der Eiszeit.

Trotzdem liegt Europa nicht unter Schnee und Eis begraben!

Hickler: Richtig. Als wir nach der letzten Eiszeit wärmere Sommer bekommen haben, ist im Norden Eis geschmolzen. Es gab weniger Schnee und damit weniger weiße Oberfläche, die Strahlung reflektiert. Stattdessen wurde die Oberfläche dunkel und hat mehr Strahlung absorbiert. Solche Rückkopplungsprozesse entscheiden also auch darüber, ob gerade eine Eiszeit oder Warmzeit herrscht, und sie treten zeitverzögert auf.

Also ist eine Klimaerwärmung ein sich selbst verstärkender Prozess?

Hickler: Ja, und das macht Vorhersagen sehr schwer. Der direkte Effekt der vom Menschen verursachten Treibhausgase steht in den aktuellen Klimamodellen nur für knapp die Hälfte der für die Zukunft vorausgesagten Erwärmung. Der Rest sind Rückkopplungen!

Um noch mal auf die Pflanzen zurückzukommen: Ist es nur die Temperatur, die die Verbreitung der Vegetation beeinflusst, oder hat der CO2-Anstieg auch direkte Effekte?

Hickler: CO2 ist eine limitierende Ressource für Pflanzenwachstum, aber davon profitieren nicht alle Pflanzen gleichermaßen. Das könnte in Savannen eine wichtige Rolle spielen, weil die Gräser dort besondere Anpassungen für geringe CO2-Konzentrationen haben.

„In Savannen beobachten wir eine zunehmende Verbuschung“

Also C4-Pflanzen, die eine besondere Form der Photosynthese betreiben.

Hickler: Ja, dadurch können diese Pflanzen mit weniger CO2 besser umgehen. Die Gehölze betreiben dagegen die normale Photosynthese. Aktuell beobachten wir in Savannen aber eine zunehmende Verbuschung, insbesondere im südlichen Afrika.

Weil jetzt mehr CO2 aus der Luft verfügbar ist, und die Gräser als C4-Pflanzen ihren Vorteil gegenüber den Bäumen und Sträuchern nicht mehr ausspielen können?

Hickler: Genau. Wie stark dieser sogenannte CO2-Düngungseffekt ausfällt, ist jedoch immer noch sehr umstritten, weil natürlich noch viele andere Faktoren das Wachstum begrenzen. Laut einer Hypothese wachsen Gehölze durch die höhere CO2-Konzentration schneller aus dem Feuer-Horizont heraus. Savannen brennen regelmäßig, und dabei gehen immer alle kleinen Baumkeimlinge und Sträucher zugrunde. Wenn die aber erst groß genug sind und eine dicke Borke haben, dann überleben sie das Feuer. Und wenn die Gehölze erfolgreicher sind, aus dem Feuer rauszuwachsen, und wiederum die Gräser mehr beschatten, dann gibt es auch weniger Brennstoff für das Feuer. Hier könnte es also eine negative Rückkopplung auf das Feuer geben, was wiederum die Gehölze in der Konkurrenz mit den Gräsern bevorteilt.

Also werden sich durch den Klimawandel viele Landschaften verändern.

Hickler: Ja. Es gibt aber noch ein anderes Problem, das meiner Meinung nach viel zu wenig Beachtung findet: Der Meeresspiegel steigt im Schnitt jährlich um drei bis dreieinhalb Millimeter.

Sagen Modelle das für die ferne Zukunft voraus?

Hickler: Nein, das ist das, was wir heute messen! Auch wenn wir unsere Emissionen verringern, werden wir über viele hunderte oder tausende Jahre den erhöhten CO2-Gehalt haben, und währenddessen steigt der Meeresspiegel weiter. Je nachdem, wie schnell und stark wir unsere Emissionen verringern, könnte der Meeresspiegel innerhalb der nächsten zweitausend Jahre über zehn Meter ansteigen. Das heißt, dass wir jetzt Entscheidungen treffen, die die Landkarte langfristig massiv verändern können.

Interview: Mario Rembold



Letzte Änderungen: 15.03.2017