Editorial

Die Science Marches waren wichtig!

(24.4.17) Die weltweiten Science Marches am 22. April, dem „Earth Day“, sind vorbei – und haben viele Beteiligte euphorisiert zurückgelassen. (25.4.17: Foto-Update!) 

editorial_bild

An über 600 Orten auf dem gesamten Globus gingen Wissenschaftler, Nicht-Wissenschaftler und Studenten auf die Straße, um der Welt den Wert der Wissenschaft für Gesellschaft, Demokratie und Menschheit im Allgemeinen ins Bewusstsein zu rufen. Grund dafür gab und gibt es genug: Allzu sehr fühlt man sich derzeit als Hüterin von Vernunft und fakten-basierten Urteilen durch aktuelle politische Entwicklungen und Strömungen bedroht. Die Stichworte sind bekannt: „Alternative“ Fakten, Leugnung und Instrumentalisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse für populistische Zwecke, Streichung von Fördermitteln bis hin zu „Maulkörben“ für Forscher oder gar Schlimmeres.

Was dann konkret am „Earth Day“ passierte, kann man wohl nur als vollen Erfolg verbuchen. Von Neuseeland bis Kalifornien, von Grönland (!) bis zur Antarktis (!) demonstrierten Hunderttausende für „Science Not Silence!“, wie einer der vielen Marsch-Slogans lautete. In Washington DC alleine, der „Mutter“ aller Science Marches“, wurden rund 40.000 Teilnehmer gezählt, in Chicago ebenso, in Los Angeles deren 30.000.

 

Science March Heidelberg (Foto: Jona Krämer)

 

Editorial

Und hierzulande? Über 37.000 Teilnehmer vermeldeten die Organisatoren von Science March Germany für die 22 deutschen Märsche via Twitter. 11.000 versammelten sich alleine in Berlin, 3.000 in München, über 2.500 sollen in Freiburg unterwegs gewesen sein. Aus Österreich kamen noch 1.600 in Wien dazu, in der deutschsprachigen Schweiz fanden keine Science Marches statt. Besonders bemerkenswert waren sicher die 67 Teilnehmer auf Helgoland, was ganze fünf Prozent der Inselbevölkerung ausmacht; und vielleicht noch mehr die Grußbotschaft von sieben „Überwinterern“ auf der deutschen Neumayer-Station in der Antarktis.

 

Science March Helgoland (Foto via Orga-Team)

 

Gerade hierzulande hatten sich im Vorfeld der Veranstaltung viele Bedenkenträger zu Wort gemeldet – und hatten gezweifelt, ob man damit am Ende überhaupt erreichen könne, was man erreichen wollte. Ob man bei der Bevölkerung nicht eher die Wahrnehmung von Wissenschaftlern als liberal-arrogante Elite befeuern würde, argwöhnten einige. Oder ob man tatsächlich ein Wissenschaftssystem derart hochjubeln wolle, dass doch jede Menge Mängel – vor allem hinsichtlich Nachwuchs-, Karriere- und Hierarchie-Themen – aufweise. Oder ob man am Ende durch die Demonstrationen nicht gar eine Art "Faktenkult" beschwören würde, wie etwa der FAZ-Feuilletonist Patrick Bahners auf Twitter mahnte.

 

Science March München (Foto via Leonard Burtscher, @LeoBurtscher)

 

Diese und andere kritische Aspekte wurden durchaus punktuell angesprochen auf den einzelnen Märschen. So erwähnten zwei Rednerinnen auf der Freiburger Abschlusskundgebung etwa das Problem der Studiengebühren für Studierende aus Nicht-EU-Staaten wie auch die augenscheinlich weiterhin vorhandene Ungleichbehandlung von Frauen in der Wissenschaft. Woraufhin einer der Teilnehmer in der Menge meinte: „Ich verstehe ja, warum sie das sagen. Aber hier und heute wirkt es ziemlich deplatziert. Das sind Themen für andere Veranstaltungen, die jetzt dann kommen müssen.“ Recht hatte der Mann.

 

(Foto via Bernd Wannenmacher, FU Berlin)


(Foto via Ulrike Träger, @immunoblogist 


„Wenn man dem Science March zu viele Rucksäcke zum Mitschleppen aufbindet, bricht er am Ende vielleicht vollends zusammen…“, hatten wir selbst all den Vorab-Bedenkenträgern entgegen getwittert. Es ist zum Glück nicht so gekommen. Tatsächlich gingen viel mehr Unterstützer auf die Straße, als die Organisatoren zu hoffen gewagt hatten. Und die machten mit teilweise ansteckender Fröhlichkeit Werbung für all die grundsätzlichen Prinzipien und Anliegen der Wissenschaft, die sie durch Leute wie Donald Trump, Recep Erdoan und Co. gerade zutiefst bedroht fühlen.

Und vielleicht waren es weniger die vielen „offiziellen“ Solidaritätsbekundungen der Politiker, Medienvertreter und anderer auf den Sprecher-Podien, die in der Euphorie unmittelbar nach den Science Marches bei vielen Beteiligten den Gedanken sprießen ließen, man müsse jetzt irgendwie weitermachen – und womöglich gar eine Art „Bewegung“ initiieren. Vielleicht liegen dem vielmehr die eher kleinen Erlebnisse während der Märsche zugrunde – wie etwa, als in Kassel ein kleiner Junge proklamierte: „Ich finde Wissenschaft wichtig, weil die tolle Dinge erfunden hat wie Lampen, Strom und so …“ Oder dasjenige, über das der Science March Frankfurt twitterte: „Ältere Dame, mindestens 75, fragte, was für eine Demo das sei. ‚Für die Wissenschaft.‘ Sie: ‚Da bin ich dafür, wann ist die nächste?‘“

 

Vielleicht der kälteste Science March: Grußbotschaft von den antarktischen "Überwinterern" der Neumayer-Station des Alfred-Wegener-Instituts – Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (Foto via AWI_Medien, @AWI_de)

 

Klar, die Wissenschaft hat sich mit den Science Marches vor allem selbst gefeiert. Aber muss man deswegen die ganze Aktion gleich nörglerisch entwerten? Manchmal muss man sich selbst feiern, um den wahren Wert des eigenen Denkens und Tuns überhaupt mal wieder zu erfahren – und um umso motivierter daraus hervorzugehen. Diejenigen, die hierzulande teilgenommen haben, haben ganz offensichtlich genau das erlebt. Und auch so mancher, der ihnen auf der Straße begegnet ist, hat das sicherlich gespürt. Das war erstmal grundsätzlich wichtig – jetzt kann’s an die Details gehen!

 

(via Martinhofer de)


Science March Trier (via Fotostream Science March Germany)


Vom Science March Wien (Foto Daisy Hexenberger)


"ICH WAR DABEI!" – Beim Science March Kassel durften alle Teilnehmer unterschreiben,...

 

... und es trat der womöglich jüngste Redner ans Mikrophon: „Ich finde Wissenschaft wichtig, weil die tolle Dinge erfunden hat wie Lampen, Strom und so …“ (Fotos (2) via Wolfgang Nellen)


Vom Science March Göttingen (Foto: Julia Uraji, @juliauraji)

 

(Viele, viele weitere Fotos zu den einzelnen Märschen gibt's via Science March Germany auf deren Fotostream.)

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 18.05.2017