Editorial

Keine Luft? Kein Problem!

(12.6.17) Nacktmulle sind wahre Überlebenskünstler – trotz wenig Frischluft in ihren stickigen Behausungen unter der Erde. Doch geringe Sauerstoff-Mengen bringen die kleinen Nager nicht aus der Ruhe: So schalten sie ihren Energiestoffwechsel einfach um und verbrennen Fructose statt Glucose.
editorial_bild

© Reznick & Lewin / MDC

Heterocephalus glaber – der afrikanische Nacktmull ist ein bemerkenswertes Tier, wird er doch von den meisten gnadenlos unterschätzt. Als Säbelzahn-Würstchen müde belächelt, stecken in dem Nagetier viele Mysterien.

Zum einen gelten Nacktmulle als nahezu Krebs-resistent und leben überdurchschnittlich lange: Mehr als dreißig Jahre, und damit zehnmal länger als Mäuse oder Ratten, überleben die kleinen Nager in ihrer Heimat in der Subsahara in Afrika.

Eine weitere Besonderheit entdeckte der Neurobiologe Thomas Park aus Chicago aber eher zufällig. Eine Methode um routinemäßig in Laboren an Gewebe oder andere Proben von Versuchstieren wie Mäusen zu kommen, ist die Einschläferung der Tiere mittels CO2. Park versuchte dies dann schließlich auch bei Nacktmullen – und scheiterte kläglich: Denn die Tiere schliefen entweder gar nicht erst ein oder wachten nach kurzer Zeit wieder auf. Ganze 18 Minuten hielten es die Nacktmulle komplett ohne Sauerstoff aus. Im Vergleich: Ein wohl trainierter Tiefseetaucher schafft es gerade mal auf acht Minuten. Die Nacktmulle konnten aber selbst ohne Training das Kohlendioxid oder aber die geringe Sauerstoffmenge erstaunlich gut tolerieren.

Editorial

Im Hinblick auf ihren Lebensraum ist das keine Verwunderung: So lebt H. glaber in Rudeln von bis zu 300 Tieren und das tief im Boden. Dass dort der Sauerstoff mal knapp werden kann, ist vorprogrammiert.

Trotzdem trommelte Park mit den Berlinern Gary Lewin und Erstautorin Jane Reznick ein Team zusammen und untersuchte den Nacktmull genauer. Die Ergebnisse beschrieben die Forscher in ihrer kürzlich erschienenen Science-Publikation (356: 307-11). „Das Erstaunliche ist“, erzählt Reznick, „dass die Tiere nicht nur immens lang ohne Sauerstoff auskommen können, sondern dass sie das auch vollkommen unbeschadet überstehen.“

Denn normalerweise haben die Körper von Säugetieren bei Anoxie ein großes Problem: Den Mitochondrien fehlt der Sauerstoff, weshalb sie nicht mehr richtig funktionieren und keine Energie produzieren können. Darunter leiden dann sämtliche Organe, wie das Gehirn, weil dort Nervenzellen allmählich absterben.

Dem Nacktmull scheint wenig Sauerstoff hingegen kaum etwas auszumachen. Ein Grund besteht vermutlich in einer cleveren Sparmaßnahme. Die Physiologen fanden im Blut der Nacktmulle, dass bei Sauertoffarmut das Verhältnis von Succinat und Fumarat nahezu gleichblieb. „Bei Mäusen ändert sich das Succinat- und Fumarat-Level bei Anoxie durchaus“, meint Reznick. „Dass das bei Nacktmullen nicht so funktioniert ist ein möglicher Hinweis darauf, dass die Mitochondrien runtergefahren werden.“

Ein afrikanischer Nacktmull (Roland Gockel / MDC)

Nun, ohne Sauerstoff und funktionierende Mitochondrien sieht es mit der kontinuierlichen Energiezufuhr schlecht aus. Der allgemeine Trick bei Säugern: Sie wechseln zur anaeroben Glykolyse, die komplett außerhalb der Mitochondrien abläuft (Normalerweise wird das Endprodukt der Glykolyse, das Pyruvat, in den Mitochondrien verstoffwechselt).

Die anaerobe Glykolyse produziert zum einen viel weniger ATP (nur zwei anstatt 38 pro Glukosemolekül) und macht sich zum anderen durch einen erhöhten Lactat-Wert im Blut bemerkbar. Durch die Lactat-Bildung wir das umliegende Milieu angesäuert (diesen Effekt kennen wir auch vom Sprinten). Das Problem: Ein geringer pH-Wert hemmt ein wichtiges Glykolyse-Enzym – die Phosphofructokinase. Die ATP-Produktion kommt zum Erliegen. So viel zu Mensch, Maus und Co, denn beim Nacktmull sieht es anders aus.

Reznick, Park et al. fanden eine interessante Tatsache: Die Fructose und Saccharose-Level im Blut der Nacktmulle schossen während eines Sauerstoffmangels in die Höhe. Aber warum?

Die Forscher fanden im Hirn der Nacktmulle große Mengen an Fructose-1-phosphat, welches aus Fructose durch das Enzym KHK gebildet wird. Doch normalerweise können nur zwei Organe in Säugetieren Fructose verwerten: Die Leber und die Niere. Sie enthalten die dafür notwendigen Transporter GLUT5 und GLUT2.

Einer Untersuchung der GLUT5 mRNA Transkripte in verschiedenen Geweben von H. glaber zeigte jedoch, dass der Fructose-Transporter in sämtlichen Nacktmull-Geweben expressiert wird; darunter Leber, Niere, Gehirn, Muskeln, Herz und Lunge.

Und tatsächlich: Bei Mäusen die ausschließlich mit Fructose gefüttert wurden, brach die Hirn- und Herz-Aktivität schnell zusammen. Das Hirn der Nacktmulle funktionierte mit Fructose noch zu dreißig Prozent und ihr Herz machte Reznick und Co sprachlos: Ob Glucose oder Fructose war völlig egal – das Herz pumpte bei beidem gleich gut.

Der Nager kann während Sauerstoffmangel also nahezu komplett auf die Mitochondrien und aerobe Glykolyse verzichten und verstoffwechselt währenddessen Fructose in allen Geweben unter Lactat-Bildung zu Energie.

Die hohen Fructose- und Saccharose-Werte im Blut können sich Reznick und ihre Kollegen bisweilen noch nicht ganz erklären. Entweder lagert der Nacktmull die Zucker ein, oder aber er produziert sie. Letzteres wäre, um es salopp zu sagen, schon ziemlich abgefahren, da man bislang glaubte nur Pflanzen könnten den Zweifachzucker herstellen.

Ein weiterer wichtiger Punkt, warum Nacktmulle Fructose anstatt Glucose verwenden, liegt in der Phosphofructokinase-Hemmung durch einen niedrigen pH-Wert. Denn das Fructose-verwertende Enzym KHK wird von Säure nicht wirklich beeinflusst und kann dementsprechend auch nicht zum Erliegen kommen – damit sichert sich der Nacktmull eine kontinuierliche Energiezufuhr trotz sinkenden pH-Wertes. Aber ist es nicht gefährlicher für den Organismus, dass die Säureproduktion unreguliert weiterlaufen kann?

Reznick erklärt es sich so: „Ich glaube, der Körper macht es einfach, weil er während eines Sauerstoffmangels nichts mehr zu verlieren hat. Er versucht so gut es geht an Energie zu kommen und vernachlässigt mögliche Folgeschäden durch die Säure in dem Moment vollkommen. Er hofft einfach jede Minute wieder an Sauerstoff zu kommen!“

Juliet Merz

Wer sich die kleinen Säbelzahn-Würstchen mal in Aktion angucken und noch mehr über die Studie von Reznick et al. erfahren möchte, kann das hier gerne tun:

 



Letzte Änderungen: 06.07.2017