Editorial

"Do not publish!"

(19.6.17) Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht: So bringen Forscher weltweit seltene Tiere und Pflanzen in große Gefahr, indem sie sensible Fundort-Daten veröffentlichen und Wilderern und Plünderern damit in die Karten spielen.
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Jedes Jahr werden circa 18.000 neue Pflanzen- und Tierarten entdeckt. Dafür schlagen sich Botaniker, Ökologen und Co. weltweit durch die Urwälder Indiens, erkunden brasilianische Flüsse und tauchen in den Golf von Kalifornien hinab. Ihre Entdeckungen feiern sie dann in Fach-Journalen – was gravierende Folgen haben kann.

So zumindest beurteilen das die beiden Ökologen Benjamin Scheele und David Lindenmayer von der Australian National University in Canberra. In ihrem Essay mit dem fordernden Titel „Do not publish“ (Science, 356: 800-1) rufen sie zu mehr Diskretion bezüglich sensibler Lokalisierungsdaten von gefährdeten Arten auf. Diese würden, laut Scheele und Lindenmayer, nämlich von Forschern viel zu offenherzig verbreitet und brächten die Pflanzen und Tiere ernsthaft in Gefahr.

Das musste der Amerikaner Lee Grismer von der La Sierra University in Kalifornien auf die harte Tour lernen. Nachdem er vor fast 20 Jahren mit zwei Kollegen das erste Mal zwei neue Geckoarten beschrieben hatte (J Herpet, 33: 382-93), geriet eines der Tiere ins Visier der Plünderer. Unmittelbar nach Veröffentlichung begann der illegale Verkauf des Chinesischen Höhlengeckos (Goniurosaurus luii). Mittlerweile ist er ein beliebter Terrarienbewohner; an seinem erstmals beschriebenen Fundort ist er jedoch ausgestorben. Voller Reue verfasste Grismer 2006 einen Brief (Science, 312: 1137) und warnte die Forschergemeinschaft vor der Verbreitung von genauen Fundort-Daten.

Und auch zwei der Ko-Autoren des Briefes, die Amerikaner Bryan Stuart und Andres Rhodin, hatten mit ihren Veröffentlichungen mehr geschadet, als geholfen: Denn die McCords Schlangenhalsschildkröte (Chelodina mccordi) ist heute durch Wilderei nahezu ausgestorben und der Laos Warzenmolch (Paramesotriton laoensis) ein international vertriebenes Haustier.

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Chelodina mccordi in einem Zoo in Portugal (Salix / Wikimedia Commons)

Der Evolutionsbiologe und Ökologe Sebastian Steinfartz von der TU Braunschweig sieht nur eine Möglichkeit, das Problem in den Griff zu bekommen: „Es dürfen keine detaillierten Informationen über die Fundorte neu entdeckter, seltener Tier- und Pflanzenarten mehr veröffentlicht werden. Weder in Open-Access-, noch in anderen Journalen.“ Denn der kriminelle Handel mit seltenen Arten sei ein sehr lukratives Geschäft, laut Steinfartz. So kann der Kaufpreis rarer Tiere schnell Tausende von Euros betragen. Außerdem spiele es laut Steinfartz keine Rolle, wo die Ortsangaben veröffentlicht würden: „Diejenigen, die illegal seltene Tierarten fangen und verkaufen  sind kriminelle Profis, die ihre Informationen auch aus ganz normalen in der Regel kostenpflichtigen Journalen oder anderen wissenschaftlichen Quellen beziehen.“

Die Open-Access-Journale, so behaupten Scheele und Lindenmayer, seien eher ein Problem, wenn es um „Natur-Enthusiasten“ ginge. Denn diese stören nicht nur den Lebensraum der Arten und schleppen Krankheiten ein, sondern entfernen manchmal sogar Tiere und Pflanzen aus ihren Habitaten. Dabei können sich die Naturliebhaber auch strafbar machen, indem sie unbefugt Grundstücke oder Schutzgebiete betreten – und dadurch das Verhältnis zwischen Wissenschaftler und Landbesitzer strapazieren.

Die logische Konsequenz scheint greifbar nahe: Einfach die Fundorte verschweigen! Nun, so einfach ist es nicht.

Grismer et al. betonen, dass das Vertuschen der Fundorte zwar Wilderer und Plünderer behindere, aber auch die Forschung und den wissenschaftlichen Austausch. „Ursprünglich war es wichtig, genaue Fundortangaben zu publizieren, damit die Ergebnisse auch nachvollzogen werden konnten", ergänzt Steinfartz. "Allerdings haben sich die Zeiten geändert. Man kann auch eine Art beschreiben, ohne sie zu gefährden."

So wie zwei Forscher aus Spanien, welche die Zwickmühle geschickt gelöst hatten: Salvador Carranza und Fèlix Amat entdeckten 2005 den kleinen Montseny-Gebirsmolch (Calotriton arnoldi) circa 20 Kilometer von Barcelona entfernt in den Pyrenäen (Zool J Linn Soc, 145: 555-82). Aufgrund seines sehr kleinen Habitats, ist die Amphibie vom Aussterben bedroht und gehört zu den seltensten Wirbeltierarten in ganz Europa. Um den kleinen Molch also nicht noch mehr zu gefährden, beschrieben Carranza und Amat zwar den Fundort in ihrer Publikation, das aber so ungenau, dass die Tiere nicht ohne weiteres zu finden sind. Skeptiker, Forscher und alle anderen können die Molch-Adresse bei Carranza persönlich erfragen – dieser rückt die Daten aber ohne triftigen Grund gewiss nicht raus.

Steinfartz appelliert derweil an die Vernunft der Forscher. In einem Journal, welches detaillierte Informationen über die Lokalisierung einer Art bis auf den Meter genau verlangt, würde er nicht publizieren. Denn lieber veröffentliche er gar nicht, als sensible Daten aus der Hand zu geben und dabei seltene Tiere und Pflanzen in Gefahr zu bringen.

 Juliet Merz



Letzte Änderungen: 12.07.2017