Editorial

Orakel im Zellkern

(5.9.17) Die eigene Lebensspanne zu kennen – und zu verlängern –, ist seit jeher ein Menschheitstraum. Geht es nach Forschern des Kölner Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, könnte dabei in Zukunft das Kernkörperchen behilflich sein.
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Der römischen Mythologie zufolge gab es drei Schicksalsgöttinnen, die über den Lebensfaden des Menschen wachten und alleine dessen Länge kannten. Eine dieser drei Parzen spann den Faden, eine zweite lenkte das Lebensgeschick des Menschen – und eine dritte schnitt den Faden ab, wenn das Ende des Lebens gekommen war. Seit jeher ist wohl eine der häufigsten Fragen, mit denen sich ein Orakel konfrontiert sah, diejenige nach der Länge der eigenen Lebensspanne. Nicht nur, um die verbleibende Zeit sinnvoll zu nutzen, sondern oft auch in der Hoffnung, den Parzen irgendwie ein Schnippchen zu schlagen und das eigene Leben über den zugestandenen Zeitraum zu verlängern.

Nun haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Biologie des Alterns in Köln um Varnesh Tiku und Adam Antebi ein zelluläres Orakel aufgespürt, das als biochemischer Marker für Langlebigkeit dienen kann (Nat. Comm. 8: 16083). So besteht offensichtlich ein umgekehrter Zusammenhang zwischen der Größe des Kernkörperchens (Nukleolus) einer Zelle und ihrer Lebenserwartung.

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Zentrale Schaltstelle der Proteinsynthese

Der Nukleolus ist ein Subkompartiment des Zellkerns, in dem die ribosomale RNA hergestellt wird und der Zusammenbau der Ribosomen startet. Seine Größe spiegelt direkt die Stärke der rRNA-Synthese wider. Als Dreh- und Angelpunkt der Ribosomenbildung – und somit auch für die Qualitätskontrolle von Proteinen und RNA – kommuniziert der Nukleolus mit verschiedenen Signalwegen und erhält dadurch Informationen über die Nährstoffversorgung der Zelle wie auch über auftretenden Umweltstress.

Beide Faktoren beeinflussen bei Tieren auch die Lebenserwartung. So kann ein gedrosselter Stoffwechsel beispielsweise die Lebensspanne verlängern. Daneben ist Langlebigkeit mit der Aktivität der Mitochondrien, der Autophagie als Fähigkeit zur effektiven Entsorgung von defekten Zellkomponenten und der Fortpflanzungsfähigkeit verknüpft. Doch obwohl man viele der Signalwege kennt, die die Lebensspanne von Tieren regulieren, war bislang unklar, wie dieses regulatorische Netzwerk zusammenhängt – und ob sich daraus womöglich gar Biomarker für die Vorhersage der Lebenserwartung ableiten lassen.

Langes Leben durch Tumorsuppressor

Einen zentralen Regulator, bei dem verschiedene mit Langlebigkeit assoziierte Signalwege zusammenlaufen, haben die Kölner nun anscheinend im Tumorsuppressor NCL-1 ausgemacht. Dieser hemmt die Transkription der ribosomalen RNA und damit die Proteinsynthese. Gleichzeitig reguliert NCL-1 aber auch die Größe des Nukleolus: eine Überproduktion des Proteins führte im Fadenwurm Caenorhabditis elegans zu kleineren Kernkörperchen – und einer verlängerte Lebensspanne. Wurde das Gen ncl-1 dagegen bei langlebigen Fadenwurm-Mutanten ausgeschaltet, starben diese deutlich früher.

Dies passt zu früheren Ergebnissen, nach denen sowohl in C. elegans als auch in anderen Organismen eine leichte Reduktion der Translation die Lebensspanne verlängert. Dabei scheint die Wirkung von NCL-1 zumindest teilweise mit der Antwort auf eine Stoffwechseldrosselung durch Nahrungsbeschränkung zusammenzuhängen, denn deren lebensverlängernde Wirkung wird bei Bakterien durch einen Verlust von ncl-1 verhindert.

Da der Tumorsuppressor sowohl die Lebensspanne als auch die Größe der Kernkörperchen beeinflusste, spekulierten die Forscher, dass es zwischen beiden Faktoren einen generellen Zusammenhang geben könnte. Damit lagen sie richtig, denn in allen untersuchten, langlebigen Genotypen ihrer Fadenwürmer fanden sie kleinere Kernkörperchen – und das unabhängig davon, ob die Langlebigkeit der Tiere auf einen gedrosselten Stoffwechsel, eine verringerte Proteinbiosynthese, auf die Aktivität der Mitochondrien oder auf fehlende Fortpflanzungsfähigkeit zurückzuführen war.

Proteinsynthese auf Sparflamme

Interessanterweise weisen Wildtyp-Fadenwürmer trotz gleichem genetischen Hintergrund und identischen Kulturbedingungen eine hohe Variabilität der Lebensspanne mit zwischen zehn und dreißig Tagen auf, die bislang unverstanden war. Eine Vermessung der Nukleoli einzelner Individuen samt Abgleich mit deren Lebensdauer lieferte nun eine erste Erklärung für dieses Phänomen. Je länger die Würmer lebten, desto kleiner waren ihre Nukleoli.

Wie aber beeinflusst NCL-1 die Funktion des Nukleolus? Eine Mutation von NCL-1 erhöhte die Menge an rRNA und ribosomalen Proteinen, während die langlebigen Mutanten besonders geringe Mengen davon aufwiesen. Ein Verlust von NCL-1 führte außerdem zu einer Hochregulation des Proteins Fibrillarin, das als Methyltransferase im Nukleolus an der Prozessierung und Modifikation von prä-rRNA und Histonen beteiligt ist – und somit für die Bildung intakter Ribosomen benötigt wird. Im Gegenzug regulierte eine Überproduktion von NCL-1 die Menge von Fibrillarin nach unten. Passend dazu besaßen die Langlebigkeitsmutanten ebenfalls wenig Fibrillarin, dessen Menge aber wieder zunahm, sobald NCL-1 ausgeschaltet wurde. Das direkte Ausschalten des Fibrillaringens führte genau wie die Überproduktion von ncl-1 zu kleineren Nukleoli und einer verlängerten Lebensspanne. Daraus lässt sich eine Verbindung zwischen Langlebigkeit und verringerter Ribosomenbildung folgern, die insofern Sinn macht, als die Proteinsynthese für eine Zelle ausgesprochen kostenintensiv ist.

Signatur für Langlebigkeit

Kleine Nukleoli besitzen also weniger Fibrillarin und bilden dadurch weniger Ribosomen, was im Fadenwurm die Langlebigkeit der Zellen erhöht. Wie aber sieht es mit diesem Zusammenhang in anderen Modellorganismen aus? Die Kölner Forscher fanden ihn bei langlebigen Mutanten der Fruchtfliege Drosophila melanogaster, der Maus und sogar in Muskelzellen von älteren Menschen bestätigt. Hatten sich diese zuvor einem Fitnessprogramm aus moderater Diät und Bewegung unterzogen, so wurden die Kernkörperchen kleiner. Kleine Nukleoli und ihr geringer Gehalt an Fibrillarin scheinen somit ein guter Marker für Langlebigkeit und metabolische Gesundheit zu sein.

Möglicherweise könnten sie dadurch nicht nur als Werkzeug zur Bestimmung des biologischen Alters von Zellen sowie zur Vorhersage der individuellen Lebenserwartung dienen, sondern auch helfen, den Einfluss von Umweltfaktoren und pharmakologischen Eingriffen auf Gesundheit und Lebenserwartung von Versuchstieren zu analysieren. Und wer weiß, ob es der Menschheit nicht eines Tages mit Hilfe der Orakel im Zellkern gelingt, Maßnahmen zur Lebensverlängerung zu finden und den Parzen doch noch eine Nase zu drehen.

Larissa Tetsch



Letzte Änderungen: 29.09.2017