Editorial

Die Rezension am Donnerstag: Ein Buch - zwei Gesichter

(12.10.17) Gerhard Gottschalks "Welt der Bakterien, Archaeen und Viren" ist ein zwiegespaltenes Werk, das schöne Geschichten bietet, aber nur an der Oberfläche der Mikrobiologie kratzt.
editorial_bild

© Wiley-VCH

Normalerweise verströmt ein neues, noch eingeschweißtes Buch beim ersten Öffnen einen typischen Duft; leicht chemisch, wie frisch aus der Druckerpresse. Nicht so Welt der Bakterien, Archaeen und Viren – Ein einführendes Lehrbuch der Mikrobiologie von Gerhard Gottschalk. Das riecht nach Flocken-Fischfutter. Ob es wohl daran liegt, dass sich die Druckerei in Singapur direkt am Hafen befindet? Für Haptik-Liebhaber ist das Buch hingegen eine Wohltat: festes, griffiges Papier, das durch seinen samtigen Glanz robust und edel wirkt.

Soviel zur Hardware.

Das Werk von Gottschalk richtet sich, laut Vorwort und Klappentext, an Leser mit allgemeinen und auch speziellen naturwissenschaftlichen Kenntnissen sowie an Ingenieure, die Mikrobiologie als Nebenfach belegen. Untergliedert ist es in insgesamt zwölf Teile aus wiederum je zwei Abschnitten: Neben einer einführenden „Lektüre“ kann der Leser im Abschnitt „Studium“ tiefer in die Mikrobiologie eintauchen. Doch hier liegt schon der erste Mangel: Die Niveaus der beiden Blöcke unterscheiden sich teils zu stark. Die „Lektüre“ ist nicht für Leser mit naturwissenschaftlichen Grundkenntnissen geeignet, sondern ausschließlich für Laien. Und selbst hier waren Gottschalks Metaphern und Vergleiche der Rezensentin oft zu salopp – etwa bei Sätzen wie „Viren sehen aus wie winzige Golfbälle“. Ist aber natürlich Geschmackssache.

Editorial

Unkonventionelle Stilmittel

Ohnehin hat es sich Gottschalk mit den „Lektüre“-Inhalten leicht gemacht: Die sind weitgehend aus seinem Buch „Welt der Bakterien“ (erschienen 2009) hervorgegangen und um drei Kapitel erweitert worden. Als Stilmittel sind zwischen größeren Abschnitten Fragen und Sätze eingeschoben. Diese erwecken den Anschein eines Dialogs zwischen Autor beziehungsweise Leser und Buch; der imaginäre Interviewer stellt hier die wirklich wichtigen Fragen im Leben – zum Beispiel: „Wo kommen die Löcher im Käse her?“ Gleichzeitig verbinden die Einschübe den Text flüssig miteinander und holen den Autor immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein“ – „Übertreiben Sie da nicht gewaltig?“ – „In der Tat eindrucksvoll, aber unrealistisch“. Gelegentlich klingt das recht humorvoll: „Diese Abkürzungen, was bedeutet denn das schon wieder, das Erste hört sich an wie ein Weltraumsatellit und dann PCR?“ (Der Weltraumsatellit ist übrigens das Schneideenzym Eco R1).

Die Vielfältigkeit der Biologie mutet Gottschalk seinen Lesern nur selten zu. So streift er die unterschiedlichen Mikroskopiertechniken bloß sehr dürftig und nennt lediglich eines der bei Bakterien wichtigen Sekretionssysteme. Es entsteht der Eindruck, als wäre sich Gottschalk nicht sicher, wie viel Information er dem Leser zumuten kann und wie weit er diese herunter brechen muss. Vielleicht sind das aber auch die Nebenwirkungen eines einführenden Lehrbuches.

Dennoch bietet der „Lektüre“-Part eine Vielzahl interessanter Geschichten. So erzählt Gottschalk fast euphorisch vom Besuch des Ministers am Göttinger Institut; davon wie Frau Fanny Angelina Hesse ihrem Mann, dem Bakteriologen Walther Hesse, mit einem Agar-Agar Rezept von Freunden aus Holland half, das Kultivierungsproblem von Bakterien zu lösen; oder wie Hotelangestellte von der Legionärskrankheit verschont blieben, während sich alle im Hotel einquartierten Veteranen über die Luft der Klimaanlagen mit dem Erreger infizierten. Derartige Anekdoten, die auch in einem Geschichtsbuch stehen könnten, geben interessante Einblicke in Schlüsselereignisse der Biologie.

Viren etwas vernachlässigt

In den Abschnitten „Studium“ scheint sich Gottschalk dennoch wohler zu fühlen. Dort erklärt er in sachlichem Ton vertiefende Grundlagen und passt sich dem Niveau von Studenten an. Während er Stoffwechselkreisläufe, die Evolution der Mirkoorganismen und Gentechnik ausgiebiger beschreibt, kommt der dritte Star des Buches reichlich zu kurz – die Viren. Gerade mal fünfzehn Seiten erhalten die winzigen „Golfbälle“.

Die Abbildungen sind in der Regel eher schlicht und wirken dadurch klar und deutlich. Jedoch könnte die Auflösung mancher Fotografien oder Skizzen besser sein.

Genauso wie die Meinung der Rezensentin ist auch das Buch zwiegespalten. Während Gottschalk im „Studium“ erfolgreich seine Lehr-Kompetenz unter Beweis stellt, nimmt er in „Lektüre“ eher die Aufgabe eines Erzählers an. Laut Untertitel ist das Werk lediglich als Einführung in die Welt der Bakterien, Archaeen und Viren gedacht. Für diejenigen, die sich intensiver mit der Mikrobiologie auseinander setzen müssen oder wollen, reicht das nicht. Wer hingegen neben etwas fachlichem Wissen auch noch ein paar Fakten und Geschichten zu historischen Ereignissen lesen möchte, ist mit Gottschalks Lehrwerk gut bedient – wäre da nur nicht dieser „fischfuttrige“ Geruch beim Umblättern.

Juliet Merz

Gerhard Gottschalk: Welt der Bakterien, Archaeen und Viren. Ein einführendes Lehrbuch der Mikrobiologie. Wiley-VCH, 2015. 422 Seiten, 136 Abb., 30 Euro.



Letzte Änderungen: 06.11.2017