Editorial

Reset ohne Risiko

(12.12.17) Die häufigste epigenetische DNA-Modifikation ist die Methylierung der Nukleobase Cytosin. Wie solche Markierungen für die Zelle risikofrei wieder entfernt werden können, zeigen Chemiker der Ludwig-Maximilians-Universität München.
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Thomas Carell: Chemie der Epigenetik

Ein Mechanismus zur epigenetischen Regulation der Genexpression ist die chemische Veränderung der Nukleobasen in einem bestimmten Sequenzabschnitt. Dabei ist die wichtigste epigenetische Veränderung bei Eukaryoten die DNA-Methylierung, durch die eine Methylgruppe an das Kohlenstoffatom C5 der Nukleobase Cytosin angehängt wird. Dies geschieht vor allem in sogenannten CpG-Inseln – also Sequenzelementen, bei denen auf ein Cytosin ein Guanin folgt. Die Modifikation verändert die Bindung von Proteinen und steuert darüber die Genexpression. Gene mit methyliertem Promotor sind beispielsweise auf diese Weise weitgehend stillgelegt.

In Säugetieren werden die Methylgruppen durch DNA-Methyltransferasen (DNMTs) auf die jeweiligen genomischen Cytosine übertragen. Die „Erhaltungsmethylase“ DNMT1 sorgt dafür, dass das Methylierungsmuster des Doppelstrangs während der Replikation erhalten bleibt. Dabei dient der methylierte „Ausgangsstrang“ als Vorlage für das Methylierungsmuster.

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Methylierungsmuster zurück auf Null

Um ihre regulatorische Funktion zu erfüllen, müssen Methylierungen im Genom jedoch auch wieder aufgehoben werden können. Während der Entstehung der Keimzellen findet gar ein komplettes Reset statt, bei dem das Methylierungsmuster auf „Null“ gesetzt wird, damit nach der Befruchtung ein typisch mütterliches oder väterliches Muster „eingeprägt“ werden kann. Prägungsfehler werden für verschiedene kindliche Krebserkrankungen und Erbkrankheiten wie das Prader-Willi-Syndrom verantwortlich gemacht.

Auch in der Embryonalentwicklung werden Methylierungen gelöscht und neu übertragen. Eine elegante und für die Zelle risikofreie Methode zur Demethylierung von genomischem Cytosin haben zuletzt Thomas Carell und sein Team von der Ludwig-Maximilians-Universität München untersucht (Nat. Chem. Biol., doi: 10.1038/nchembio.2531).

Schon länger ist bekannt, dass Methyl-Cytosin im Genom aktiv durch Oxidation verändert werden kann. Verantwortlich sind bestimmte Dioxygenasen aus der Familie der Tet-(Ten-eleven translocation)-Enzyme. Die Oxidation verläuft über einen dreistufigen Prozess: Zuerst wird eine OH-Gruppe an das C-Atom der Methylgruppe angehängt, die daraufhin zu einer Formyl- und schließlich einer Carboxygruppe oxidiert wird. Diese Zwischenstufen lassen sich im Genom von embryonalen Stammzellen sowie von neuronalem Gewebe nachweisen. Da es für sie – wie für methyliertes Cytosin – spezielle molekulare Leseköpfe gibt, scheinen sie eine bislang unbekannte, regulatorische Funktion zu besitzen.

Gefährliche Rettung

Gewonnen ist so noch nichts, denn noch immer hängt am Cytosin eine chemische Markierung. Hier kommt ein zellulärer DNA-Reparaturmechanismus ins Spiel, der normalerweise dazu dient, fehlerhafte Nukleotide auszutauschen. Das kann beispielsweise ein Cytosin sein, das – beispielsweise durch mutagene Nitrite – seine Aminogruppe verloren hat. Deaminiertes Cytosin ist nichts anderes als Uracil, das im Gegenstrang mit Adenin statt mit Guanin paart. Um dies zu verhindern, entfernt die Basenexzisions-Reparatur das fehlerhafte Nukleotid: Die veränderte Base wird von einer DNA-Glykosylase abgeschnitten, die die glykosidische Bindung zwischen Desoxyribose und Nukleobase kappt. Es entsteht eine basenfreie Stelle, also eine Lücke in der Sequenzabfolge. Als nächstes hydrolysiert die AP-Endonuklease die 5‘-gelegene Phosphorsäureesterbindung und führt so einen Strangbruch ein. Das basenfreie Desoxyribophosphat wird nun durch ein intaktes Nukleotid ersetzt, wobei die DNA-Polymerase den Gegenstrang als Vorlage nutzt. Am Ende repariert eine Ligase den Einzelstrangbruch.

Besser kein Risiko

Formyl- und Carboxy-Cytosin als letzte Zwischenprodukte der Oxidationsreihe von Methyl-Cytosin sind ebenfalls Substrate für eine DNA-Glykosylase. Die Basenexzisions-Reparatur kann also die methylierten Cytosine durch unmodifizierte ersetzen.

Problematisch sind allerdings die im Reparaturprozess eingefügten Strangbrüche, die immer ein Risiko für die Integrität des Erbguts darstellen. Gerade in stark methylierten Sequenzabschnitten sind so Erbgutschäden vorprogrammiert. Besser wäre ein Reparaturmechanismus, der ohne das Entfernen des Desoxyribosephosphats auskommt. Hinweise auf einen solchen Vorgang gab es schon, denn in Mäuse-Zygoten werden sowohl das mütterliche als auch das väterliche Genom aktiv demethyliert, ohne dass eine DNA-Glykosylase daran beteiligt ist. Auch gibt es eine Vielzahl an Enzymen, die eine C-C-Bindung hydrolysieren, also die Formyl- und Carboxygruppe direkt vom Cytosin abspalten könnten. Ob dies aber im Genom stattfindet, war bislang noch ungeklärt.

Spalter im Genom

Jetzt bewiesen die Münchner Chemiker, dass verschiedene Zelltypen tatsächlich diese gefahrlose Methode nutzen, um Methyl-Cytosin zu demethylieren. Sie verwendeten dazu isotopen- oder fluormarkiertes Formyl-Cytosin, das sie über das Nährmedium in embryonale Maus-Stammzellen einbrachten. Anschließend isolierten sie deren genomische DNA und prüften mit einer Kombination aus ultrasensitiver Hochleistungsflüssigkeitschromatographie und Tandem-Massenspektrometrie, wie sich die markierten Cytosin-Varianten veränderten. Offensichtlich wurden diese direkt zu Cytosin umgesetzt – und das ganz ohne Beteiligung von DNMT- oder Tet-Enzymen. Auch die glykosidische Bindung zwischen Nukleobase und Desoxyribose blieb dabei intakt. Da die Abspaltung der Formylgruppe nicht nur in embryonalen Stammzellen, sondern ebenfalls in verschiedenen somatischen Zelltypen stattfand, handelt es sich wohl um einen weit verbreiteten Mechanismus zur Demethylierung von Cytosin.

Welche Enzyme für die Spaltung der C-C-Bindung verantwortlich sind, ist noch unbekannt. Möglicherweise weisen sie Ähnlichkeiten zu Orotat- beziehungsweise Isoorotat-Decarboxylasen auf, die an der Pyrimidinsynthese beteiligt sind und Formylgruppen von aromatischen Heterocyclen (aus denen die Nukleobasen ja aufgebaut sind) abspalten. In den Experimenten der Münchner Wissenschaftler waren die markierten Nukleoside zufällig ins Genom eingebaut worden. Aussagen über eine Sequenz- und Kontextspezifität der Deformylierung sind deshalb noch nicht möglich, aber sicherlich das Ziel zukünftiger Studien.

Larissa Tetsch



Letzte Änderungen: 21.12.2017