Editorial

Eine wissenschaftliche Kriminalgeschichte

(05.02.2018) Mitten im Wald im Schweizer Mittelland werden die Überreste einer Leiche gefunden. Kommissar Hohms ermittelt.
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(05.02.2018) „Gut, dass Sie da sind, Herr Hohms. Hier liegt Ihr nächster Fall“. Der Kriminaltechniker zeigt auf Skelettreste auf dem Waldboden, die von trockenen Blättern und kleinen Ästen bedeckt sind. Hohms betrachtet die Knochen und stellt Brandspuren fest. Auch einige Äste in der näheren Umgebung sind verkohlt.

„Interessant!“ sagt Hohms und legt die Rippe wieder ab. „Nehmen Sie doch noch ein paar Bodenproben und schicken Sie sie an das Labor für Bodenbiodiversität der Universität Neuchatel.“

„Wird gemacht, Herr Kommissar“.

Der Kriminaltechniker tütet sorgfältig Bodenproben (10x10 cm) von unter dem Kopf, dem Oberkörper, dem Unterkörper und von Kontrollflächen aus allen vier Himmelsrichtungen ein. Hohms macht ein weiteres Päckchen für die Universität Bern fertig. Enthalten sind Haar- und Knochenreste für die Radiocarbondatierung, denn als erstes gilt es herauszufinden, wie lange der Leichnam bereits im Wald liegt, das Post-Mortem-Intervall – ein wichtiger Punkt bei der Aufklärung des Todesfalls.

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Erste Indizien

„Ah, Frau Szelecz, haben Sie unsere Bodenproben analysiert? Was können Sie mir über den Fall sagen?“.

„Einiges, Herr Hohms. Aber zuerst lassen Sie mich sagen, dass wir für diesen Fall auf viele verschiedene Datierungsmethoden zurückgegriffen haben. Denn je länger ein Leichnam liegt, umso schwieriger wird es, den Todeszeitpunkt zu ermitteln. Wir haben uns also nicht nur die Bodenchemie angesehen, sondern auch Lebewesen im Boden wie Nematoden, Milben und Mikroeukaryoten. Und alle Daten weisen in die selbe Richtung“.

„Klingt gut, aber spannen Sie mich nicht so lange auf die Folter, Frau Szelecz“ sagt Hohms mit einem Zwinkern in den Augen.

„Haha, also gut, fangen wir mit der Bodenchemie an. Wir haben sowohl den pH gemessen als auch die Konzentration von zum Beispiel Ammonium, Nitrat, Magnesium, Calcium und Kohlenstoff. Erhöhte Werte unter einem Leichnam deuten auf einen aktiven Zerfallsprozess hin. Wir haben allerdings – außer für den Gesamtstickstoffgehalt und für bioverfügbaren Phosphor - keine erhöhten Werte gemessen“.

„Und, was bedeutet das?“, Hohms wurde langsam ungeduldig.

„Dass die meisten Werte vermutlich auf ihren Ausgangswert zurückgegangen sind und das Post-Mortem-Intervall größer ist als ein Jahr.“

Würmer als Zeugen

„Mehr als ein Jahr also! Hmm, seit etwa 2 Jahren wird ein junger Mann aus der Gegend vermisst. Aber Sie hatten ja noch andere Dinge untersucht. Nema...“

„Nematoden, genau, Fadenwürmer! Da sind wir erst noch in der Entwicklung. Hier haben wir uns die Dichte und Diversität der Würmer angeschaut. Unter dem Kopf war die Dichte besonders groß, die Diversität – vor allem Cephalobidae and Myolaimidae - allerdings am geringsten. Der Kopf könnte demnach größerem Stress ausgesetzt gewesen sein als der Rest des Körpers.“

„Interessant, in der Tat“ Hohms streicht sich in Gedanken durch den Bart.

„Ja, aber es gibt noch etwas viel Interessanteres!“

Hohms ist wieder ganz Ohr: „Was Sie nicht sagen! Raus mit der Sprache!“

„Milben haben uns einiges verraten. Die meisten Tiere waren in der adulten Phase, außer Vertreter der Astigmata. Diese befanden sich in der hypopialen Phase, einem Dauerstadium, das sie einnehmen, um auf günstigere Umweltbedingungen zu warten. Interessant ist auch, dass wir die Astigmata ausschließlich in den Knochen-assoziierten Proben fanden. Das Highlight ist jedoch, dass unter den Astigmata sehr seltene Spezies wie Sancassania berlesi sind, die eigentlich gar nicht in den Wald gehören!“

„Sondern?!

„Sondern zum Beispiel auf eine Geflügelfarm.“

Tatort Geflügelfarm

„Daraus könnten wir also schließen, dass das Opfer womöglich auf einer Farm getötet wurde“, grübelt Hohms und nimmt einen weiteren Schluck aus seiner Kaffeetasse.

„Ja, und dass sich die Sancassania-Population von den Überresten eine Weile ernährt hat - bis diese gut entwickelte Population sich plötzlich an schlechtere Umweltbedingungen wie Dürre oder ein Feuer anpassen musste und in das Dauerstadium wechselte.“

„Alles Hinweise auf eine Relokation der Leiche zu einem späteren Zeitpunkt. Vermutlich hat der Täter dann versucht, seine Spuren durch ein Feuer zu verwischen. Danke, Frau Szelecz, oder haben Sie noch was?“

„Ja, Kollegen haben Mikro-Eukaryoten mittels Meta-Barcoding untersucht. Hauptsächlich fanden sie Pilze – Mucoromycotina – in den Knochen-assoziierten Proben. In den Kontrollen waren überwiegend Basidiomycota. In den „Kopf“-Proben gab es auch eine große Zahl von kleinen bakterienfressenden Kleinstlebewesen wie Amöben – Heterolobosea und Tubulina – oder Mikroalgen – Chrysophyceae. Ganz normal bei erhöhten Phosphor- und Stickstoffwerten im Boden, die Bakterien anlocken.“

„Vielen Dank, Frau Szelecz, Sie haben uns sehr geholfen“. Kommissar Hohms setzt seinen Hut auf und verlässt das Labor. Noch im Flur holt er sein Handy aus der Manteltasche. „Meier, besorgen Sie mir sofort einen Durchsuchungsbefehl!“

Kathleen Gransalke

Die Geschichte basiert auf dem Paper „Comparative analysis of bones, mites, soil chemistry, nematodes and soil micro-eukaryotes from a suspected homicide to estimate the post-mortem interval“ by Szelecz et al.



Letzte Änderungen: 02.02.2018