Editorial

Alte Strukturen überdenken

(12.03.2018) Seit Februar ist die Kardiologin Denise Hilfiker-Kleiner von der Medizinischen Hochschule Hannover Mitglied des Wissenschaftsrates. Wir sprachen mit ihr.
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(12.03.2018) Die Professorin für Molekulare Kardiologie und Forschungsdekanin an der MHH ist eines von 24 wissenschaftlichen Mitgliedern des Wissenschaftsrates. Das Gremium berät die Bundesregierung und die Länderregierungen zur Entwicklung von Forschung, Wissenschaft und Hochschulen.

Laborjournal: Was möchten Sie im Wissenschaftsrat erreichen?

Hilfiker-Kleiner: Ich sehe drei Handlungsfelder. Es gelingt uns derzeit nicht ausreichend, Mediziner für eine Forschungskarriere zu begeistern. Wissenschaftlich tätige Mediziner sind ein wichtiges Brückenglied zwischen Grundlagenforschung und Klinik. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass diese Berufsrichtung wieder attraktiver wird. Außerdem bilden wir sehr viele Naturwissenschaftler aus, gerade Biologen und Biomediziner, denen wir eigentlich keine Karriereperspektiven bieten. Wo diese Akademiker schließlich ihren Lebensunterhalt verdienen, ist häufig dem Zufall überlassen. Wir sollten ihnen frühzeitig sinnvolle Perspektiven außerhalb der akademischen Forschung aufzeigen. Das dritte Problem, das ich ansprechen möchte, ist die Problematik der mangelnden Reproduzierbarkeit in der klinischen Forschung. Viele Ergebnisse führen gerade deshalb nicht zu neuen Anwendungen und Konzepten. Wir sollten überlegen, wie wir eine nachhaltige und reproduzierbare Forschung fördern können.

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In welcher Hinsicht könnte das Forschungssystem in Deutschland noch besser werden?

Hilfiker-Kleiner: Wir haben nach wie vor Probleme mit den Standards bei Doktorarbeiten in der Medizin, die sehr stark variieren. Es gilt hier landesweit einen vergleichbar hohen Standard anzustreben. Das ist aus meiner Sicht nur möglich, wenn medizinische Doktorarbeiten in strukturierten Programmen organisiert sind und dabei die wissenschaftliche Qualität, und nicht das bloße Erlangen des Titels, im Vordergrund steht. In anderen Ländern ist es auch üblich, dass forschungsinteressierte Mediziner eine große Forschungsarbeit über mehrere Jahre durchführen, die dann auch mit einem PhD-Titel abgeschlossen wird. Das halte ich für ein gutes Modell.

Ich habe selbst als Doktorandin und Postdoc in den USA gearbeitet. Die Hierarchien sind dort flacher als in Deutschland und auch in der Schweiz. Es gibt in den verschiedenen Departments viele Spezialisten, die auf der gleichen Ebene arbeiten, wodurch auch mehr Karrieremöglichkeiten vorhanden sind. Die junge Generation findet unsere steilen Hierarchien behindernd und akzeptiert sie nicht. Wir sollten diese Strukturen an den Universitäten deshalb überdenken.

Ein weiteres großes Problem ist nach meiner Erfahrung die Überverwaltung der Universitäten in Deutschland und die Überlastung der Wissenschaftler mit Verwaltungsprozessen. Das verbraucht viele Ressourcen, nagt an der Motivation und schadet dem exzellenten Forschungsstandort Deutschland.

Finden Sie neben Ihren Aufgaben als Forschungsdekanin und Mitglied des Wissenschaftsrates noch genügend Zeit für Ihre Forschung?

Hilfiker-Kleiner: Als Forscherin und berufstätige Mutter von zwei Kindern habe ich über viele Jahre sehr gutes Zeitmanagement gelernt. Jeden Tag überlege ich, wie ich die Zeit möglichst sinnvoll nutzen kann. Außerdem habe ich eine tolle, relativ kleine Gruppe mit viel Engagement und Eigeninitiative, die aus höchstens elf bis 15 Leuten besteht. Das funktioniert sehr gut.

Es ist für mich wichtig, dass ich auch als Forschungsdekanin und Mitglied des Wissenschaftsrats weiter aktiv Forschung machen kann. Einerseits, weil dies mein Beruf und auch meine Berufung ist, und andererseits, weil ich nur so Probleme, Chancen und Möglichkeiten in der Wissenschaft wahrnehmen und diese in die Gremien hineintragen kann.

Welche Entdeckungen konnten Sie auf dem Gebiet der molekularen Kardiologie machen?

Hilfiker-Kleiner: Ich bin Expertin für die sogenannte peripartale Kardiomyopathie. Dabei kommt es bei Kindsmüttern in den letzten Wochen vor der Niederkunft und in den ersten Monaten danach zu einer schweren Herzmuskelerkrankung, die zum Tode führen kann. Wir hatten dieses Phänomen zunächst in einem Mausmodell beobachtet. Meine Kollegin Karen Sliwa aus Südafrika hat uns dann auf die entsprechende Krankheit beim Menschen hingewiesen. Meine Gruppe hat das Thema erst neben anderen Projekten beforscht, da unser Chef Helmut Drexler zunächst kein großes Interesse zeigte. Es hat sich dann aber herausgestellt, dass die Krankheit häufiger ist als ursprünglich gedacht. Sie betrifft etwa eine von 1500 Schwangerschaften.

Ursache für diese Erkrankung ist ein Spaltfragment des Stillhormons Prolaktin, das die Blutversorgung und den Stoffwechsel im Herzmuskel beeinträchtigt. In einer randomisierten, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten klinischen Studie konnten wir zeigen, dass durch eine Herzinsuffizienztherapie in Verbindung mit einer ein- bis mehrwöchigen Behandlung mit Bromocriptin die Herzfunktion bei der Hälfte bis zwei Dritteln der Patientinnen wiederhergestellt werden kann. Bromocriptin ist ein bewährtes Medikament, das die Freisetzung von Prolaktin im Körper verhindert und deshalb zur Förderung des Abstillens eingesetzt wird.

Was sind Ihre weiteren Forschungsschwerpunkte?

Hilfiker-Kleiner: Wir interessieren uns für Kardioonkologie. Viele Krebstherapien schädigen das Herz-Kreislaufsystem. Wir versuchen herauszufinden, wie man das Herz bei diesen eingreifenden Behandlungen schützen kann. Dieses Feld nimmt derzeit Fahrt auf und in der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie wurde zu diesem Thema sogar eine eigene Arbeitsgruppe gegründet.

Ihr Mann, Andres Hilfiker, ist ebenfalls Wissenschaftler an der MHH. Wie konnten Sie sich in Ihren Karrieren gegenseitig unterstützen?

Hilfiker-Kleiner: An der Universität Zürich musste ich anfangs darum kämpfen, als junge Mutter eine Doktorarbeit durchführen zu können. Mein Mann war damals Postdoc. Wir haben dann die Einrichtung eines Kinderhorts initiiert, den es noch heute gibt. Zu Beginn haben wir den Hort auch hauptamtlich organisiert. Das war viel Arbeit.

Wissenschaftlich haben wir über weite Strecken zusammengearbeitet. Als Andres eine Postdocstelle an der Emory University in Atlanta, USA, angeboten bekam, hat er zur Bedingung gemacht, dass er nur kommen würde, wenn ich dort meine Dissertation beenden könnte. Wenn ich später Rufe bekommen habe, habe ich immer betont, dass ich nur gemeinsam mit meinem Mann komme. Wir hätten uns nicht vorstellen können, an verschiedenen Orten zu leben.

Sie haben ursprünglich Biologie studiert und in Genetik und Entwicklungsbiologie promoviert. Was hat Ihre Begeisterung für die medizinische Forschung geweckt?

Hilfiker-Kleiner: Das hat sich im Laufe meiner Karriere so entwickelt. Als wir aus den USA nach Europa zurückkehren wollten, haben wir von einem befreundeten Wissenschaftler erfahren, dass der Kardiologe Drexler ein neues Labor in Hannover in der molekularen Herzforschung aufbauen wollte und dafür Molekularbiologen suchte. Wir haben uns dann dafür entschieden, gemeinsam an die MHH zu gehen. Dazu haben wir das Forschungsfeld gewechselt. Das war eine Herausforderung, deren Dimension uns anfangs nicht ganz klar war. Wir mussten uns Kenntnisse und Reputation im neuen Feld erst wieder erarbeiten, was 2 bis 3 Jahre in Anspruch genommen hat.

Was schätzen Sie an Ihrem Umfeld an der MHH besonders?

Hilfiker-Kleiner: Die Einheit von medizinischer Klinik, Forschung und Lehre in einer Institution. Die Wege sind kurz und die Arbeitsweise extrem interdisziplinär. Die Universitätsangehörigen haben eine hohe Motivation und es macht Freude, mit ihnen zu arbeiten.

Die Fragen stellte Bettina Dupont



Letzte Änderungen: 12.03.2018