Editorial

Verpackungskunst für Therapeutika

(04.04.2018) Der Wirkstofftransport mithilfe extrazellulärer Vesikel steckt noch in den Kinderschuhen. Ein erst vor wenigen Jahren entdecktes Vesikel-System könnte ihm jedoch zum Durchbruch verhelfen.
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(04.04.2018) Ohne Kommunikation wären vielzellige Organismen nur wilde Materialanhäufungen. Über Botenstoffe tauschen sich die Zellen untereinander aus und melden ihr Befinden oder mögliche Pathogen-Attacken an weiter entfernte Zellen, die ihre zellulären Prozesse entsprechend anpassen. Der Nachrichtenaustausch geschieht häufig über extrazelluläre Vesikel (EVs), die zum Beispiel Proteine oder RNA mit einer Lipiddoppelschicht umschließen und an ihren Bestimmungsort transportieren.

In den EVs sind die Moleküle vor allgegenwärtigen Proteasen und Nukleasen geschützt. Sie bieten sich deshalb auch als Vehikel für den Transport von Wirkstoffen an. Die Herstellung von Exosomen, die gegenwärtig als künstliche Vesikel für den Wirkstofftransport dienen, ist aber noch nicht zufriedenstellend gelöst. Auch ihre Beladung, etwa mit der Elektroporation, ist alles andere als ausgereift.

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Mikrovesikel statt Exosome

Eine sehr interessante Alternative zu Exosomen stellte ein Team um den Plasmamembran-Spezialisten Quan Lu von der Universität Harvard vor. Lus Team verwendet sogenannte Arrestin domain-containing protein 1(ARRDC1)-mediated microvesicles (ARMMs) für den Wirkstofftransport, die seine Gruppe 2012 entdeckt hat.

Kernstück der ARMMs ist ARRDC1, ein ins Cytosol ragendes Membranprotein mit einem Tetrapeptidmotiv (TAP). TAP rekrutiert normalerweise das ESCRT-Komplex-Protein TSG101 an die Zelloberfläche und leitet dadurch die Abknospung (outward membrane budding) eines Teils der Membran mitsamt den darauf sitzenden Oberflächenrezeptoren ein. Bei diesem Vorgang landet ARRDC1 selbst letztlich auch im neugebildeten Vesikel – und damit sollte auch alles, was an ARRDC1 hängt, in die ARMM-Vesikel aufgenommen werden. Um dies zu testen, fusionierten Lus Mitarbeiter das Tumorsuppressorprotein p53 mit ARRDC1. p53 bot sich hierzu an, denn dessen Gegenwart und Funktionalität lässt sich biochemisch, histologisch und über die Expression von Marker-Genen gut verfolgen.

Fusion funktioniert

Zunächst stellte das Team sicher, dass die Funktionalität von p53 erhalten blieb, wenn es über den N-Terminus mit ARRDC1 fusioniert wurde. Anschließend transfizierten Lus Mitarbeiter die Fusionsproteine (ARRDC1-GFP bzw. ARRDC1-p53) in humane embryonale Leberzellen (HEK293T) und isolierten später deren EVs.

Die erfolgreiche Aufnahme von p53 belegten die Amerikaner durch parallele Western-Blots mit Antikörpern gegen p53 und ARRDC1. Endogenes, nicht-fusioniertes p53 fanden sie in der Vesikelfraktion nicht. Mithilfe einer Verdünnungsreihe der ARRDC1-GFP-Transfektion und rekombinantem GFP als Standard ermittelte das Team anhand von Western-Blots die Ladekapazität der ARMM-Vesikel. Die Auswertung ergab, dass diese etwa 540 Moleküle aufnehmen können.

Die Verpackungsfrage war damit geklärt. Aber wie sah es mit dem Transport und der Übergabe von p53 aus? Hierzu inkubierten die Forscher p53-defiziente Zellen mit den vorab gewonnenen ARMMs. Anschließend quantifizierten sie, wie viele Vesikel eine Zelle schluckt und wie viele der darin verkapselten p53- beziehungsweise GFP-Fusionsproteine heil entladen wurden. Jede Zelle nahm ungefähr 6.000 Vesikel mit insgesamt drei Millionen Proteinen auf.

Neue Logistik auf Prüfstand

Auch die biologische Antwort hierauf ließ nicht lange auf sich warten: Zellen, die ARRDC1-p53 aufnahmen, exprimierten p53-abhängige Gene. Die neue Logistik funktionierte auch im Tiermodell: Injizierte die Gruppe ARMMs intravenös in p53-KO-Mäuse, zeigten die Empfänger von ARRDC1-p53 nach Behandlung mit DNA-ionisierender Strahlung die für den Wildtyp typische Apoptose in Milz und Thymus. Mäuse, die ARRDC1-GFP-Vesikel erhielten, reagierten mangels p53 jedoch nicht.

Dank einer eleganten Lösung funktioniert der Transport in den ARMM-Vesikeln nicht nur mit Proteinen, sondern auch mit anderen Biomolekülen. Die Strategie zur Beladung der Vesikel mit RNA erinnert etwas an das Hefe-2-Hybrid-System. Die Gruppe fusionierte das Tat(Transactivator of transcription)-Protein mit ARRDC1, das sich spezifisch an bestimmte RNA-Haarnadelstrukturen im dazugehörigen TAR(transactivating response)-Element klammert. Mit diesem TAR verknüpften Lus Mitarbeiter die gewünschte mRNA. Der Transaktivator findet sein Element, und bringt ARRDC1 mit der mRNA zusammen.

Stabil genug scheint dieser Komplex zu sein, denn nach der Coexpression (ARRDC1-Tat mit TAR-p53 bzw. mit TAR-gfp) in Säugerzellen stellte das Team eine Anreicherung von p53-mRNA beziehungsweise gfp-Transkript in ARMM-Vesikeln fest. Zellen, die ARMM-Vesikel produzieren, scheinen ihre mRNA-Fracht schnurstracks für den Transport vorzubereiten und nicht etwa selbst zu translatieren. Im Western-Blot von Zellen, die ARMM-Vesikel enthielten, gab es nämlich keine Signale mit anti-GFP oder anti-p53-Antikörpern. Anders dagegen in den Empfängerzellen (A549-Zellen). Das heißt, die mRNA-Fracht wurde erfolgreich transportiert, ausgepackt und aktiviert. Die Rezipienten von TAR-p53 zeigten die zu erwartende Induktion von p53-Ziel-Genen.

Mutige Verpackungskünstler

Ermutigt durch diese Experimente wagten sich Lus Verpackungskünstler an den Transport von CRISPR/Cas9. Mit 160 kDa war Cas9 jedoch zu klobig für die direkte Fusion an ARRDC1. Letzteres interagiert aber mit sogenannten WW-Domänen. Diese handlichen Motive brachte die Gruppe quasi als Adapter an Cas9 an. Tatsächlich produzierten Zellen, die mit ARRDC1 und WW-Cas9 transfiziert wurden, ARMMs, die WW-Cas9-Proteine enthielten.

Die Cas9-ARMMs schleuste die Gruppe zusammen mit einer sgRNA gegen GFP in Zellen ein, die eine einzelne Kopie des GFP-Gens enthielten. Aus dem hieraus resultierenden Anstieg GFP-negativer Zellen sowie dem Verschwinden des GFP-Signals in einigen Zellen, schloss die Gruppe auf ein erfolgreiches Editieren des GFP-Gens.

Lus Gruppe hat auch schon weitere Pläne für die ARMM-Vesikel: Sie will ihre Oberflächen mit Homing-Molekülen als Adressaufklebern ausstatten, damit sie ihre Fracht selektiv in den gewünschten Zelltypen entladen.

Andrea Pitzschke



Letzte Änderungen: 04.04.2018