Editorial

Flüssig oder fest?

(09.04.2018) Einige Proteine organisieren sich in Zellen zu kleinen Tröpfchen und verhalten sich darin wie eine Flüssigkeit. Bei vielen neurodegenerativen Krankheiten werden solche Tröpfchen offenbar fest.
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(09.04.2018) Bei Zellkompartimenten denkt man meist an Zellstrukturen, die sich durch Membranen vom restlichen Zytoplasma abgrenzen. Es gibt aber auch membranfreie Kompartimente. Zum Beispiel kleine Tröpfchen, die sich wie Flüssigkeiten verhalten. Proteine bilden diese Liquid-like Droplets, indem sie sich selbst organisieren. Liquid-to-Liquid-Separation nennt sich dieser Prozess, den man auch bei Öltröpfchen im Wasser beobachtet.

Zellbiologe Anthony Hyman erforscht solche „Tröpfchen“-Kompartimente. Begonnen hatte alles 2009 mit einer Arbeit über P-Granula; diese sind in C. elegans für die Keimzell-Determinierung notwendig. Hyman und seine Kollegen zeigten damals, dass es sich bei den P-Granula um ebensolche Tröpfchen handelt.

In unserer aktuellen Publikationsanalyse zur Zellbiologie landet Anthony Hyman auf Platz 13 der meistzitierten Köpfe. Er forscht am Max Planck Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden und leitet dort eine Arbeitsgruppe. Im Gespräch berichtet uns Hyman, dass Störungen in Liquid Droplet-Kompartimenten auch mit neurodegenerativen Krankheiten in Zusammenhang stehen.

Übrigens: Hymans Team stellt seine Arbeit auch auf einem eigenen Youtube-Kanal vor, in kurzen und leicht verständlichen Erklär-Videos.

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Laborjournal: Einige Proteine finden im Zytoplasma wie von selbst zusammen und bilden Tröpfchen, ähnlich wie Öl im Wasser. Haben diese Proteintröpfchen wirklich eine funktionelle Bedeutung für die Zelle?

Anthony Hyman: Wir denken schon. Der Vergleich mit dem Öl im Wasser ist ein einfaches Beispiel zur Veranschaulichung. In der Zelle ist das natürlich komplizierter. Wir sprechen daher auch gern von komplexen Flüssigkeiten, die sich vom restlichen Zytoplasma abgrenzen. Es beginnt damit, dass Proteine frei herumdiffundieren. Dann gibt es ein Signal, das die Phasentrennung initiiert. Jetzt separieren sich die Proteine aus dem wässrigen Medium und bilden dann eine eigene Flüssigkeit.

Ein Beispiel für solch ein Signal ist eine pH-Wert-Änderung. Sie haben kürzlich in Hefezellen gezeigt, dass sich in saurer Umgebung solche Tröpfchen bilden. Wie kann denn ein Signal bewirken, dass sich Proteine plötzlich zusammenlagern?

Hyman: Wenn zum Beispiel der pH-Wert niedrig ist, dann haben die Proteine eine andere Form. Einzelne Aminosäuren verändern ihre Ladung. Andere Trigger können Phosphorylierungen und andere posttranslationale Modifikationen sein.

Proteine, die solche Liquid-Kompartimente bilden, ähneln sich in ihrer Struktur. Sie haben sogenannte „Prion-like Domains“.

Hyman: Man spricht auch von low complexity sequences, weil in diesen Domänen nur eine kleine Auswahl von Aminosäuren vorkommt. Solche Sequenzen hatte man zuerst in Prionen in der Hefe beschrieben, daher die Bezeichnung prion-like.

Können all diese Proteine dann auch zu Prionen werden, also anders gefalteten Proteinen ihre eigene Konformation aufzwingen?

Hyman: Manche dieser Domänen machen ein Protein zum Prion. Aber in den meisten Fällen ist das nicht der Fall. Es gibt zwar auch unter den Proteinen, die sich über eine Phasentrennung zu Tröpfchen-Kompartimenten separieren, ein paar Prionen. Aber das sind nicht viele.

Welche Funktion haben diese Kompartimente? Finden darin chemische Reaktionen statt?

Hyman: Zum einen können lokal Reaktionen beschleunigt werden, weil die Konzentration eines Proteins im Kompartiment natürlich besonders hoch ist. Andererseits kann die Zelle ein Protein so aber auch aus dem Zytosol entfernen, um dort Reaktionen zu vermeiden und die Zelle zu schützen.

Deswegen nennt man einige dieser Tröpfchen auch Stress-Granula, weil sie dann entstehen, wenn man Zellen in ungünstige Bedingungen bringt.

Hyman: Ja. Diese Proteine sind normalerweise im Zellkern und haben wohl etwas mit der RNA-Prozessierung zu tun. Bei Stress kommen sie aber aus dem Kern heraus und bilden dann diese Stress-Granula.

Normalerweise verhalten sich die tröpfchenartigen Kompartimente ja wie Flüssigkeiten. Die einzelnen Tröpfchen sind sphärisch geformt, die Moleküle darin bewegen sich frei, und wenn sich zwei Tropfen berühren, verschmelzen sie miteinander. Das konnten Sie zum Beispiel für das FUS-Protein zeigen. Es gibt allerdings auch FUS-Kompartimente, die eine feste Struktur haben. Und diese FUS-Aggregate findet man bei ALS(Amyotrophe Lateralsklerose)-Patienten in Motoneuronen. Wie genau unterscheiden sich denn diese beiden FUS-Formen?

Hyman: Die physiologische Form verhält sich wie eine Flüssigkeit und formt das Kompartiment über Phasentrennung. Wir haben aber in vitro beobachtet, dass es nach einiger Zeit zu einem Phasenübergang kommt. Untersucht haben wir das im Reagenzglas und gesehen, dass sich die flüssige Form nach vielen Stunden in eine feste Form umwandelt. Wir haben uns auch eine Variante mit veränderter Aminosäure-Sequenz angeschaut, wie man sie bei einigen ALS-Patienten findet. Und dort geht dieser Phasenübergang schneller als bei der normalen Variante.

Phasenübergang von FUS:

Aber auch die veränderte Variante ist zunächst in flüssigen Tröpfchen. Das könnte erklären, warum ALS erst nach vielen Jahren ausbricht. Andererseits kann ja auch die häufige FUS-Variante in die solide Form übergehen. In der Zelle passiert das aber offenbar nicht. Da müsste es doch noch weitere Mechanismen geben, die zum Beispiel FUS abbauen, bevor es sich verfestigt – so dass ein dynamisches Gleichgewicht besteht.

Hyman: Gute Idee. Von den Stress-Granula wissen wir zum Beispiel, dass sie ungefähr 25 Minuten lang bestehen und sich wieder zurückbilden. Aber es ist eine interessante und noch nicht geklärte Frage, die alle neurodegenerativen Krankheiten betrifft: Wieso beginnt die Symptomatik erst, wenn man älter wird?

Was ist denn die Aufgabe von FUS in der Zelle? Der Name steht ja für fused in sarcoma, was aber nichts über die Funktion sagt.

Hyman: Die genaue Funktion kennen wir leider nicht. FUS ist im Nukleus lokalisiert und hat etwas mit der DNA-Reparatur zu tun. Wahrscheinlich ist FUS auch am Splicing beteiligt. Das hat aber womöglich nicht viel mit der ALS-Symptomatik zu tun. Bei TAU wissen wir zum Beispiel, dass Knockout-Mäuse ohne dieses Protein glücklich und gesund sind. TAU bildet ja bei Alzheimer diese Amyloid-Plaques. Es könnte also sein, dass viele neurodegenerative Erkrankungen durch Proteine ausgelöst werden, die in der normalen Physiologie der Zelle gar nicht so eine große Rolle spielen; die aber Probleme bereiten, wenn sie sich falsch organisieren.

Verhält sich TAU ähnlich wie FUS?

Hyman: Das wissen wir noch nicht genau. Aber wir haben in einem aktuellen Paper gezeigt, dass auch TAU diese Liquid-like Droplets bilden kann und ein Phasenübergang zu einer festen Form möglich ist. Solche Proteinaggregate spielen wohl in allen neuro­degenerativen Erkrankungen eine Rolle.

Die Fragen stellte Mario Rembold



Letzte Änderungen: 09.04.2018