Editorial

Vorbei ist's mit der Ruhe: Nobelpreis nervt Franzosen

Nicht immer sorgen Anrufe aus Stockholm für Begeisterung: Dem Franzosen Yves Chauvin ist der Nobelpreis sogar ausgesprochen "peinlich". Der 74-jährige möchte seine Ruhe haben, und zur Preisverleihung will er auch nicht reisen.

(07.10.2005) Kennen Sie die "Carl-Engler-Medaille"? Diese Plakette wird von der Hamburgischen Deutschen Wissenschaftlichen Gesellschaft für Erdöl, Erdgas und Kohle (DGMK) verliehen. Ihr Namensgeber, der badische Universitätsprofessor Carl Oswald Viktor Engler, war ein bekannter Petrochemiker, später auch Reichstagsabgeordneter und BASF-Aufsichtsrat. Zudem war Engler ein Förderer Fritz Habers, des Miterfinders der synthetischen Ammoniak-Herstellung.

Die DGMK gibt auch schwer verdauliche Bücher heraus, die beispielsweise mit Ermittlung von Schmierfett-Kennwerten zum Reibungsverhalten und zur Schmierwirkungsdauer in schnellaufenden Wälzlagern betitelt sind und sich nicht besonders gut verkaufen. Mit einem Wort: Die DGMK ist ein Verein, dem Normalbürger ohne naturwissenschaftlichen Background eher nicht beitreten sollten.

Französischer Preisträger

Yves Chauvin, geboren am 10. Oktober 1930, hat die Carl-Engler-Medaille der DGMK 1994 verliehen bekommen. Darauf ist er stolz. Der Chemiker mit dem schlohweißen Haarkranz ist Mitglied der französischen AkadŽmie des Sciences und hat sich Zeit seines Lebens mit organischen Kohlenwasserstoffen - auf gut deutsch: Erdöl in allen Spielarten - beschäftigt. Man tut Chauvin kein Unrecht an, wenn man ihn als wichtigen Pionier organischer Katalyse-Reaktionen bezeichnet.

Chauvin klärte unter anderem den Mechanismus der Metathese ("Platzwechsel") auf - einer Technik, mit der Doppelbindungen zwischen Kohlenstoffatomen in Einfachbindungen umgewandelt werden können (und umgekehrt). Gelangweiltes Achselzucken? Chauvins theoretische Forschungen hatten ganz enorme Konsequenzen für uns alle: Die Ringschluss-Metathese, mit der man große ringförmige Moleküle erzeugen kann, ist für die industrielle Herstellung von Antibiotika, Hormonen, Pheromonen oder Herbiziden eine Grundvoraussetzung. Denn viele dieser Substanzen enthalten ringförmige Strukturen.

Wichtig für Antibiotika- und Herbizid-Herstellung

Chauvin weiß, was er wert ist: Dass seine Forschungsergebnisse aus dem Jahr 1971 interessant seien, sei ihm ohnehin längst klar gewesen, ließ er am Tag der Verleihung des diesjährigen Chemie-Nobelpreises gegenüber der französischen Presse verlauten. Zusammen mit dem Franzosen waren 2005 die US-Amerikaner Robert Grubbs und Richard Schrock geehrt worden - sie hatten für erste praxistaugliche und wirksame Katalysatoren gesorgt (Schrock fand 1990 Molybdän, Grubbs 1992 schließlich Ruthenium). Bei den Amerikanern war erstmal ausgelassene Sektlaune angesagt.

Chauvin hingegen grantelte weiter: Er sei glücklicher gewesen, als er vor 35 Jahren seine Entdeckung gemacht habe, als bei der Ankündigung des Nobelpreises. ("J'etais plus heureux quand j'ai fait la decouverte qu'aujourd'hui pour l'annonce du prix"). Seine wichtigen Forschungsergebnisse lägen Jahrzehnte zurück. Er habe die Nachricht vom Nobelpreis ohne besondere Freude aufgenommen und fürchte nun eher um sein ruhiges Dasein.

Dann warf er die Reporter aus seinem Haus im zentralfranzösischen Tours. Zur Preisverleihung nach Stockholm gedenke er nicht zu reisen, gab er ihnen noch mit auf den Weg.

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 07.10.2005