Editorial

Finden ohne zu suchen

Lange suchten Forscher nach einem entscheidenden Schritt in der Vitamin B12-Synthese. Das Team um Graham Walker am Bostoner MIT nicht - fand ihn aber trotzdem. Nur wegen eines Gimmick-Experiments um Studenten zu beeindrucken.

(24.03.2006) Oft findet man nicht, was man gesucht hat, sondern etwas ganz anderes. In der Wissenschaft, wie sonst auch. Wer kennt nicht die Geschichte des Penizillins? Der Wissenschaftler Alexander Fleming züchtete im September 1928 Bakterien, arbeitete aber unsauber und erhielt in der Petrischale einen Schimmelpilz, Penicillium notatum, der die Bakterien um sich herum abgetötet hatte.

Kürzlich hatte ein amerikanisches Team ein ähnliches Erlebnis. Am Massachusetts Institute of Technology (MIT) klärten Graham C. Walker und seine Arbeitsgruppe durch Zufall einen bis jetzt unbekannten Teil der Kobalamin (Vitamin B12)-Synthese auf. Folgendes trug sich dabei zu:

Walker ist bei seinen Studenten wegen seiner kreativen Lehrweise sehr beliebt. Er selbst ist überdies Mitgründer einer Gruppe, die darüber nachdenkt, wie das Biologie-Studium attraktiver gestattet werden kann. Zu seinen beliebtesten Tricks gehört die "Erleuchtung" gramnegativer Bakterien. Das Experiment basiert darauf, dass die Membran-Lipopolysaccharide (LPS) gramnegativer Bakterien mit dem Bleichmittel Calcofluor reagieren. Die so behandelten Bakterien leuchten unter UV-Licht auf.

Walker ergänzte das Nährmedium von Sinorhizobium meliloti mit Calcofluor. Im UV-Licht leuchtet die aktive Substanz des Reinigungsmittels und lässt die Bakterien strahlen wie ein weißes Hemd. Einfach und effektvoll.

Vor ein paar Jahren nun verwendete der Amerikaner sein bakteriologisches Anschauungsmaterial auch als ernsthaftes Forschungsobjekt. Ihn interessierte insbesondere die Symbiosefähigkeit von S. meliloti mit der Futterpflanze Alfalfa: Der Einzeller dringt in die Pflanzenwurzeln ein, wo er Knötchen bildet. Dort produziert er aus dem Stickstoff der Luft Ammonium, das von Alfalfa genutzt wird. Im Austausch erhält S. melilot von der Pflanze Nährstoffe zurück.

Walker fiel auf, dass manche Bakterien keine Symobiose mit Alfalfa eingehen konnten. Er kombinierte dies mit einer zunächst ganz anderen Beobachtung, die er bei seinen "Trickexperimenten" gemacht hatte: Einige Einzeller leuchteten nicht, das heißt sie waren offensichtlich unfähig, mit Calcofluor zu reagieren. Als Ursache fand Walker bestimmte Mutationen.

Die Struktur der membranösen LPS, die für das Eindringen in Alfalfa und für die Symbiose der Pflanze mit dem Mikroorganismus notwendig sind, verändert sich dabei so, dass Calcofluor keinen Angriffspunkt mehr hat und die Bakterien nicht mehr färbt.

Bis jetzt nichts Besonderes, meinen Sie? Der Clou kommt noch, denn Walkers Doktorand Gordon Campbell begann, auffällig stark leuchtende Bakterien zu untersuchen.

Ein besonders helles Leuchten entsprach normalerweise einer Überexpression der LPS, so dass die Bakterien umso besser in Alfalfa eindringen können sollten. Wider Erwarten waren aber gerade diese Bakterien unfähig, eine Symbiose mit der Pflanze einzugehen.

Perplex beschloss Campbell daher, seine Mutanten genetisch zu screenen. Das Ergebnis offenbarte die Insertion des bakteriellen Tn5-Transposons in ein chromosomales Leseraster (Open Reading Frame, ORF). Campbell durchsuchte einige Datenbanken mit der entsprechenden Proteinsequenz - und stieß auf ein Protein, das zu 36 Prozent übereinstimmte: BluB des Rhodobacter capsulatus. Dieses spielt eine Rolle in der Kobalamin-Biosynthese des Bakteriums. Aber es hat nichts mit LPS zu tun!

Das überraschende Ergebnis musste nachgeprüft werden. Walker und seine Mitstreiter wollten schließlich sicher gehen, dass ihnen kein Irrtum unterlaufen war. Sie experimentierten weiter und konnten feststellen: Die Mutation modifizierte das Kobalamin nicht etwa im Kobalt-Kern, sondern in dem wenig dokumentierten unteren Teil, dem DMB (5,6-Dimethylbenzimidazole).

Dies ließ sich aus zwei Beobachtungen ableiten. Zum einen war die Vermehrung der BluB-Mutanten von der Kobalt-Anreicherung im Nährmedium unabhängig. Zum anderen "schaltete" das Einbringen von DMB ins Nährmedium die mit Calcofluor behandelten leuchtenden Mutanten "aus".

Zusätzlich klärte das neugierige Team den Zusammenhang zwischen der erfolglosen Symbiose und dem fehlenden BluB-Gen sowie der DMB-Untereinheit von Kobalamin auf. Für eine erfolgreiche Symbiose mit Alfalfa benötigten die BluB-Mutanten ein künstliches BluB-Gen, das in ein Plasmid kloniert war. Mit diesem transformierten Walker und Co. die Bakterien. Eine geglückte "Ehe" zwischen Pflanze und Bakterium war an der Bildung großer, rosafarbener Symbioseknötchen zu erkennen, während ein Misserfolg sich durch kleine, weiße Knötchen zeigte. Die Symbiose gelang auch BluB-Mutanten, die in DMB-haltigem Nährmittel gewachsen waren (Proc Natl Acad Sci U S A. 103, S. 4634)

Walker und sein Doktoranden wiesen nach, dass ohne DMB kein Vitamin B12 synthetisiert werden kann. Zusätzlich erkannte Walker damit die letzte Stufe der Kobalamin-Biosynthese, nämlich GDP-Kobinamid als "Sackgassen-Molekül" der defekten Synthese.

Forschen ist kein einfacher Job: Manchmal kann man suchen und suchen und immer wieder unverständliche Ergebnisse erhalten. Walker und sein Team ist es aber doch gelungen, ein negatives Ergebnis zu "verstehen" und letztlich in ein positives umzuwandeln. Nach der ersten Enttäuschung, dass zwischen stark leuchtenden Bakterien und Alfalfa keine Symbiose stattfindet, haben sich die munteren Wissenschaftler zusammengerissen. Und so stießen sie auf ein unerwartetes Ergebnis: Sie haben den Teil der Vitamin B12-Synthese erklärt, den weitaus "zielorientiertere" Forscher seit langer Zeit erfolglos untersucht hatten.

Anne Mimault



Letzte Änderungen: 24.03.2006