Editorial

Ideologieresistente Arbeiter?

Die Chance auf ein Universitätsstudium ist abhängig von der sozialen Herkunft – dies behauptet zumindest eine Studie des BMBF, und nennt das Ergebnis "beschämend für die Demokratie". Doch ist die Erlangung eines akademischen Titels wirklich so erstrebenswert?

(02.07.2007) Kürzlich hat das Studentenwerk wieder eine Sau durch die Medien getrieben: Bildung sei immer noch eine Sache des Elternhauses; wenn der Vater studiert habe, studiere auch das Kind. Arbeiterkinder dagegen hätten kaum Chancen auf ein Universitätsstudium. Dies sei "beschämend für die Demokratie", so der Präsident des Studentenwerks, Rolf Dobischat. Er bezieht sich dabei auf die 18. Sozialerhebung, in der 16.590 Studenten etwa fünfzig Fragen nach ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage beantworteten. Finanziert wurde die Studie vom BMBF.

Die Studie hat technische Schwächen. Zum ersten die geringe Rücklaufquote von 31 Prozent. Zum zweiten die schwammigen Begriffe. Es gibt keine Definition der zentralen Begriffe wie Arbeiter, Angestellter, Selbstständiger, Beamter. Herrn Dobischats Vater beispielsweise war Postfacharbeiter, meiner bezeichnete sich als Beamter, als Landbriefträger hätte er aber von Einkommen, Selbstverständnis und Verhalten besser in die Kategorie Arbeiter gepasst. Herr Dobischat und ich stammen also aus der gleichen Schicht und haben auch einen ähnlichen Lebensweg (er lernte Industrie-, ich Großhandelskaufmann, beide kamen wir über den zweiten Bildungsweg an die Uni) und dennoch würde uns Herrn Dobischats Statistik in verschiedene Kategorien stecken.

Nach der Studie – wenn Sie ihr glauben wollen – gehen von 100 Akademikerkindern 83 auf eine Hochschule, von 100 Arbeiterkindern dagegen nur 23. Am universitätssüchtigsten seien die Kinder aus akademischen Beamtenfamilien.

Was sagt uns das (wenn's denn stimmt)?

Es sagt uns, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist. Die Kinder von Akademikern werden wiederum Akademiker, weil sie Vater oder Mutter oder beide als Vorbild haben und ihnen die akademische Karriere und was darauf folgt vertraut ist.

Deswegen werden auch viele Söhne von Schreinern wiederum Schreiner (übrigens ohne dass jemand darin die Demokratie gefährdet sieht). Am Geld liegt es vielleicht auch, aber den "Arbeitern" zu unterstellen, ihre Kinder würden nur deswegen nicht studieren, weil keine finanzielle Chancengleichheit vorhanden sei, diesen Schluss belegen die Daten der Studie nicht. Die Einkommen wurden gar nicht ermittelt, und bitte berücksichtigen Sie, dass es zum Zeitpunkt der Erhebung noch kaum Studiengebühren gab und zudem 39 Prozent der "Arbeiter"-Kinder Bafög erhielten, von den "Beamten"-Kindern dagegen nur 12 Prozent.

Die Studie handhabt "Bildung" als Fetisch. Die Autoren scheinen zu glauben, alleiniges Glück und Ziel des Menschen bestünde darin, sich "Bildung" anzueignen. Ist dem so?

Ich meine, dem ist mitnichten so. Wer nicht studiert, hat mehr Möglichkeiten als ein Akademiker. Er kann Arbeiter werden, er kann eine Lehre machen, er kann Meister werden, er kann einen Handwerksbetrieb gründen, er kann sich mit 18 Jahren selbständig machen. Der Akademiker hockt acht bis zehn Jahre seines Lebens auf Holzbänken herum, um sich eine Weisheit anzueignen, die oft genug von höchst zweifelhaftem Wert ist, und die ihn die wertvollsten Jahre seines Lebens von der Wirklichkeit, vom "wahren Leben" abschirmt und von selbstständigem Entscheiden abhält. Danach hat er zwar Zugangsberechtigungen und Rang erworben, sich aber gleichzeitig in seiner Berufswahl eingeschränkt und viel Zeit verloren.

Korreliert Rang mit Erfolg oder "Glück"? Ist das Anhäufen von meist veraltetem Spezialwissen ein Wert an sich? Ich glaube nicht. Vielleicht will das Arbeiterkind gar nicht auf die Universität. Vielleicht rät der Arbeiter seinem Kind vor der Universität ab, nicht weil er zu dumm oder zu faul ist, Bafög zu beantragen, sondern weil ihm "Rang" gleichgültig ist und er glaubt, auf anderen Wegen ließe sich mehr und echter Erfolg einheimsen.

Hat er damit Unrecht? Ist zum Beispiel die Karriere eines Biologen, der sechs Jahre studiert, drei Jahre promoviert, und dann neun Jahre von Postdocstelle zu Postdocstelle zieht, um schließlich ohne Kinder und Rücklagen aufs Arbeitsamt zu laufen, erstrebenswert und unwahrscheinlich? Der Lebensverdienst eines selbstständigen Kfz-Mechanikers dürfte höher sein als der eines Biologen oder Juristen und zudem – zum Beispiel wenn er Oldtimer restauriert – sogar intellektuell befriedigender. Demokratie zeichnet sich durch Wahlfreiheit aus und die scheinen Dobischats "Arbeiter" wahrzunehmen. Vielleicht sind "Arbeiter" gar nicht benachteiligt, sondern nur ideologieresistenter, in diesem Fall resistent gegen den Bildungswahn. Bezeichnenderweise waren unter der Anhängerschaft der linken Studenten nur ganz wenige Arbeiter- aber sehr viele Akademiker- und Beamtenkinder anzutreffen.

Hubert Rehm

Kommentare zu diesem Artikel

Wieder mal ein sehr interessanter und provokanter Artikel - so wie ich sie an diesem Magazin liebe. Weiter so!

Phobos, 02-Jul-2007 20:56:22




Letzte Änderungen: 02.07.2007