Kryokonservierung mit
Pollen-Waschwasser
(10.05.2023) Hainbuchen-Pollen enthalten eine Substanz, die die Bildung von Eiskristallen verhindert. Ein interessantes Gefrierschutzmittel auch für Zellen.
Wer Zellen für die „Ewigkeit“ oder zumindest für Experimente nach dem Urlaub bewahren will, kommt um das Einfrieren kaum herum. Zwar lassen sich so metabolische Prozesse ebenso wie Diffusion herunterfahren, doch das Erwecken aus dem Dornröschenschlaf führt oft zu einer bösen Überraschung: Nur ein Bruchteil der ursprünglichen Zellen hat überlebt und die Probe ist nicht mehr zu gebrauchen.
Der Knackpunkt ist die durch Unterkühlung (Supercooling) verstärkte Eisbildung in den Zellen. Kristalle, die innerhalb der Zellen entstehen, schädigen die Zellmembran. Ist die erst einmal leck, stirbt die Zelle. Insbesondere kleinvolumige Lösungen tendieren zur Unterkühlung, bei der erst weit unter der eigentlichen Schmelztemperatur die sogenannte Eis-Nukleation beginnt und größere Eiskristalle wachsen. In 96-Well-Platten kultivierte Zellen sind aufgrund der kleinen Volumina für das Supercooling besonders anfällig – in den Wells startet die Eis-Nukleation erst bei Temperaturen von -15 Grad Celsius.
Extrazelluläre Eisbildung
Für die Kryokonservierung von Zellen werden meist Gefrierschutzmittel (Cryoprotectants) eingesetzt. Der Klassiker ist Dimethylsulfoxid (DMSO), das die Zellen dehydriert und osmotisch bedingte Schäden verhindert. Oft genügt DMSO aber nicht und man benötigt zusätzliche Rekristallisations-Inhibitoren oder makromolekulare Substanzen. Diese Substanzen dringen jedoch in die Zellen ein und können ihr Verhalten ändern.
Thomas F. Whales Team an der Warwick University in Großbritannien kam daher auf die Idee, die Eisbildung extrazellulär stattfinden zu lassen, um den Supercooling-Effekt abzuschwächen. Die Eis-Nukleation soll nicht erst bei tiefen Minusgraden, sondern schon früher stattfinden. Damit würde die Zelle allmählich dehydriert und ihr Wasser würde in extrazellulären Eiskristallen „ausgelagert“ werden. In der Zelle bleibt hierdurch weniger Wasser zurück, das die „tödlichen“ Eiskristalle bilden kann.
Polysaccharid von Pollen
Die belebte Natur muss sich schon seit eh und je mit der Eis-Kristallisation auseinandersetzen. Hier könnte man sich also vielleicht etwas für die Kryokonservierung von Zellen abschauen. Schon im vergangenen Jahr hatte die britische Gruppe ein potenzielles Gefrierschutzmittel in den Pollen der Hainbuche (Carpinus betulus) entdeckt (Sci Rep, 12(1):12295). Whales Gruppe fand die Substanz in Wasser, das sie benutzt hatte, um Hainbuchen-Pollen zu waschen (Pollen-Waschwasser, PWW). Sie vermutet, dass es sich dabei um ein Polysaccharid handelt. Tatsächlich reduzierte das Pollen-Waschwasser die Temperatur für die Eis-Nukleation in 96-Well-Platten von -15 Grad Celsius auf -8 Grad Celsius.
Die Waschlösung der Pollen setzten die Briten für die Kryokonservierung der adhärenten Zelllinien A549 (Lungenkarzinom), SW480 (kolorektales Karzinom) sowie HepG2 (Leberkarzinom) ein. Dazu froren sie die Zellen in zehn Prozent DMSO mit oder ohne Pollen-Waschwasser ein und zählten nach dem Auftauen die Überlebensraten. Bei Suspensionen aus Einzelzellen fand die Gruppe nur bei HepG2-Zellen eine signifikant höhere Viabilität in Anwesenheit der Waschlösung. In adhärenten Kulturen war die Überlebensrate dagegen in allen drei Zelllinien mit dem Pollen-Waschwasser deutlich höher.
Von 16 auf 66 Prozent
Auch bei dreidimensionalen Zellkulturen scheint der Gefrierschutz durch die Pollen-Waschlösung zu funktionieren. Die Forscher und Forscherinnen kultivierten in 96-Well-Platten Sphäroide von A549- sowie HepG2-Zellen, die aus 4.000 beziehungsweise 8.000 Zellen bestanden und froren sie bei -80 Celsius in 10 Prozent DMSO mit oder ohne Pollen-Waschlösung ein. Anschließend tauten sie die Sphäroide wieder auf und bestimmten nach einer 24-stündigen Erholungsphase die Viabilität. Bei HepG2-Zellen erhöhte das Pollen-Waschwasser die Viabilität von 16 Prozent (nur mit DMSO) auf 66 Prozent – unabhängig von der Größe der Sphäroide.
Dass die Pollen-Waschlösung nur bei adhärenten Zellen und Sphäroiden einen Effekt zeigt, aber nicht bei Zellsuspensionen, erklären sich die Forscher damit, dass die intrazelluläre Eisbildung zwischen benachbarten Zellen weitergegeben wird.
Um zu sehen, was sich bei der Kryokonservierung in den Zellen abspielt, drehte Whales Team ein Video. Dazu kultivierte es adhärente A549-Zellen auf einem Deckgläschen und behandelte sie danach mit einer DMSO-Lösung mit oder ohne Pollen-Waschlösung. Die auf 0 Grad Celsius vorgekühlten Deckgläschen platzierten die Forscher und Forscherinnen auf einem Cryo-Mikroskop, das die Temperatur sukzessive um 2 Grad Celsius pro Minute herunterkühlte, um die Eis-Nukleation zu induzieren. Bei den ausschließlich mit DMSO behandelten Zellen bildete sich nicht nur außerhalb der Zellen Eis, sondern auch innerhalb. Enthielt das DMSO die zusätzliche Pollen-Waschlösung tauchte das Eis jedoch nur extrazellulär auf.
Andrea Pitzschke
Murray K. et al. (2023): Chemically induced extracellular ice nucleation reduces intracellular ice formation enabling 2D and 3D cellular cryopreservation. JACS Au, DOI: 10.1021/jacsau.3c00056
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