Editorial

Mäuse mit humanem Krebs

(31.01.2024) Ein neues Mausmodell könnte helfen, bessere Therapeutika gegen das Multiple Myelom zu entwickeln – eine Krankheit, die bisher nur schlecht behandelbar ist.
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Die Verheilung von Knochenbrüchen, Osteoporose, rheumatoide Arthritis oder einige Formen von Krebs haben einen gemeinsamen Nenner: Inter­leukin-6, kurz IL-6. Die Expression dieses proinflammatorischen Cytokins steigt vorübergehend beziehungsweise dauerhaft an. Die anti-knochen­bildende (anti-osteogene) sowie pro-knochen­abbauende (pro-osteo­klastische) Wirkung von IL-6 lässt Knochen schwinden. Diesen unschönen Eigenschaften hat es IL-6 zu verdanken, dass es als Biomarker für Krankheiten, aber auch als Zielscheibe für therapeutische Ansätze dient (Front Endocrinol,9: 788).

Aggressive Krebsformen zeichnen sich durch hohe IL-6-Gehalte aus, insbesondere bei wiederauftretenden Tumoren sind die IL-6-Werte erhöht. So spielt IL-6 auch eine prominente Rolle beim Multiplen Myelom (MM), bei dem sich entartete Plasmazellen im Knochenmark einnisten und die Patienten anfälliger für Infektionen und Knochenbrüche machen. Ähnliches gilt für MM-verwandte Krebsformen wie Plasmazelldyskrasien (PCD). Die Betroffenen sprechen auf Therapien meist nur vorübergehend an und müssen sich von Medikament zu Medikament hangeln. Ihr Verlust an Lebensqualität ließe sich mildern, wenn Forschende potenzielle Wirkstoffe in vergleichsweise authentischen MM-Modellen testen könnten, um die Prinzipien der Resistenzentwicklung besser zu verstehen.

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Aggressives Verhalten

Bislang finden In-vivo-Versuche standardmäßig in immundefizienten Mäusen (NSG-Mäuse, NOD Scid Gamma Mouse) statt, denen Multiple-Myelom-Zelllinien transplantiert werden. In dieser fremden Umgebung legen die Krebszellen jedoch meist ein übermäßig aggressives Verhalten an den Tag – der Tumor wächst unverhältnismäßig schnell und überrollt normale Mauszellen. Bei der Alternative, Knochenplättchen von Kaninchen in immundefiziente Mäuse zu implantieren, geht das Wachstum hingegen zu sanft vonstatten, sodass die MM-Zellen nicht ins Mäuseskelett vordringen und krankheitstypische Schäden anrichten können.

Schon 2016 beobachtete ein Team der Yale University in Connecticut, USA, dass Mäuse in Gegenwart von humanisierten Cytokinen, einschließlich IL-6, empfänglicher für Transplantate von Proben aus PCD-Patienten waren (Nat Med, 22: 1351–57). Diese Mauslinie hat aber zwei wesentliche Haken: Sie unterliegt Lizenzierungsbeschränkungen und bedarf einer ständigen Antibiotika-Behandlung.

Sequenz plus Promoter und Enhancer

Die Mauslinie aus Yale gab jedoch den Anstoß zur Entwicklung eines verbesserten MM-Modells. David Allmans Gruppe an der Universität Pennsylvania stellte dazu zunächst ein Gedankenexperiment an, das sie schließlich in die Tat umsetzte. Der humane IL-6-Rezeptor reagiert nicht auf die Anregung durch das IL-6 der Maus. Humanes IL-6 muss demnach im Tiermodell enthalten sein, um Zellen menschlicher Transplantate adäquat ansprechen zu können.

Damit der IL-6-Spiegel, ähnlich wie im echten Krebsgeschehen, durch erhöhte Expression ansteigt, müssen die zugehörigen cis-wirkenden Elemente mit an Bord sein. Daher konstruierten die Forschenden ein künstliches Bakterien-Chromosom (BAC, Bacterial Artificial Chromosome), dessen Abschnitt mit dem humanen Chromosom 7 neben der eigentlichen IL-6-Sequenz auch Promoter und Enhancer-Elemente zur Zelltyp-spezifischen Expression beherbergt. Immundefiziente NSG-Mäuse, die als Präkonditionierung sowohl mit einem Zytostatikum (Busulfan) behandelt worden waren und humanes IL-6 (hIL-6) exprimierten, erwiesen sich als uneingeschränkt empfänglich für transplantierte Knochenmarkzellen, die unter anderem von Patienten mit De-novo-Multiplem-Myelom oder wiederaufgetretenem MM stammten. Auch mit gefrierkonservierten Zellen funktionierte die Transplantation.

Wanderung im Skelett

In allen Fällen vermehrten sich die menschlichen Zellen in den Mäusen, und zwar langsam. Das ergaben unter anderem Einzelzell-RNA-Sequenzanalysen von Knochenmarkzellen, die den Mäusen ein Jahr nach der Transplantation entnommen wurden – rund zwei Prozent waren menschlichen Ursprungs. Im Urin der Mäuse konnten die Forschenden mit ELISAs außerdem humanes Immunoglobulin nachweisen. Erfolgreich transplantierte Tiere zeichneten sich durch ein positives ELISA-(Ig)-Ergebnis fünf Wochen nach der Transplantation aus.

Ganz ähnlich wie bei der typischen Krankheitssymptomatik wanderten die MM-Zellen im Skelett. Die Gruppe hatte jeweils den linken Oberschenkel inokuliert, doch nach acht Wochen tauchten die Krebszellen auch im rechten Oberschenkel auf. Die Knochen der Mäuse wurden dünner oder brachen. Mit durchschnittlich einem Jahr Überlebensdauer ab Transplantation spiegelten die Tiere die Aggressivität der Krebsproben wider. Innerhalb dieser Zeit standen sie aber auch für Behandlungsversuche bereit.

Hier zeigte sich, dass hIL-6-exprimierende Mäuse mit MM-Transplantat auf etablierte Therapien ansprechen. 30 Wochen alte Tiere erhielten eine Behandlung mit dem seit 2013 bei MM verwendeten Proteasom-Inhibitor Bortezomib. Im Serum sanken die IgG-Titer binnen sechs Wochen. Eine zweite Mausgruppe wurde mit einer CAR-T-Zell-Therapie behandelt, die ebenfalls den Krankheitsfortschritt eindämmte. Die CAR-T-Zellen richteten sich gegen das humane B-Zellreifungsantigen (BCMA).

Um das neue MM-Mausmodell für die Forschungswelt nachhaltig am Leben halten zu können, müssen heterozygote Männchen immer mit Wildtyp-Weibchen gekreuzt werden. Weibliche hIL-6-Mäuse sind nicht fruchtbar genug.

Andrea Pitzschke

Hasanali Z. et al. (2024): Human IL-6 fosters long-term engraftment of patient derived disease-driving myeloma cells in immunodeficient mice. BioRxiv, DOI: 10.1101/2024.01.21.576547.

Bild: Pixabay/jhenning




Letzte Änderungen: 31.01.2024