Editorial

Auf Schatzsuche in der
Stammsammlung

(11.03.2024) Neuartige Antibiotika sucht man am besten in noch unbekannten Bakterien-Arten. Jede Menge davon warten in Stammsammlungen auf ihre Untersuchung.
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Mikroorganismen sind eine wertvolle Quelle für bioaktive Substanzen, die beispielsweise als Antibiotikum oder Krebsmedikament in der Humanmedizin zum Einsatz kommen können. Substanzen mit neuartigen Strukturen und Wirkprinzipien zu finden, ist aber schwierig geworden, weil alle „tief hängenden Früchte“, wie Yvonne Mast sie nennt, bereits entdeckt sind. Damit meint die Mikrobiologin am Leibniz-Institut DSMZ – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen in Braunschweig und Professorin an der dortigen Technischen Universität die Sekundärmetabolite, die in von Mikroorganismen bewachsenen Kulturmedien produziert werden und sich mit gängigen Methoden gut nachweisen lassen. Um die höher hängenden Früchte zu ernten, muss man dagegen Tricks anwenden: So stimuliert beispielsweise die Arbeitsgruppe von Axel Brakhage vom Leibniz-Institut für Naturstoffforschung und Infektionsbiologie in Jena die Produktion von Antibiotika durch Bodenbakterien, indem sie mehrere Mikroben-Arten gemeinsam kultiviert und damit die Konkurrenzsituation im Boden nachahmt (siehe „Antibakterielle Schutzkapsel“ auf LJ online).

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Kaum untersuchte Actinomyceten

Einen anderen Weg ist Mast mit ihrem Team und Kolleginnen und Kollegen vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung am Standort Tübingen gegangen. In einer Machbarkeitsstudie haben die Forscher das Potenzial von Stammsammlungen für die Suche nach neuen Antibiotika-Produzenten ausgelotet (LINK unten). Denn da phylogenetisch verwandte Mikroben auch ähnliche Sekundärmetaboliten bilden, ist bei noch unbekannten Bakterien-Arten die Wahrscheinlichkeit am größten, Antibiotika mit neuen Wirkmechanismen zu finden, gegen die in der Natur noch keine Resistenzen existieren. Die Suche konzentrierte sich auf die Gruppe der Actinomyceten, zu denen die Streptomyceten gehören. Diese Bodenbakterien, die mit ihrer fadenförmigen Erscheinung an Pilze erinnern, produzieren mehr als die Hälfte aller als Medikamente verwendeten Antibiotika wie Tetrazykline, Erythromycin, Streptomycin und Vancomycin, aber auch unter anderem das Antipilzmittel Nystatin und das Krebsmittel Doxorubicin.

Die Sammlung der DSMZ ist eine der größten und vielseitigsten weltweit: Sie beherbergt mehr als 6.000 Actinomyceten, von denen viele noch kaum untersucht sind. „Wir haben im Rahmen unserer Sammlungsarbeit im Actinomyceten-Kuratorium zahlreiche dieser alten Stämme mittels phylogenetischer Analyse des 16S-rRNA-Gens und polyphasischer Taxonomie untersucht und phylogenetisch andersartige – und damit für die Antibiotika-Produktion interessante – Stämme priorisiert“, fasst Studienleiterin Mast zusammen. „Von diesen haben wir die genomische DNA isoliert und mittels Next-Generation-Sequencing-Technologie sequenziert. Durch Gesamt­genom-Sequenz­vergleiche und die Ergebnisse der polyphasischen Taxonomie-Arbeiten konnten wir fünf Stämme als neue Spezies der Gattung Streptomyces identifizieren.“

Ein Stamm, viele Substanzen

Mittels bioinformatischer Analysen wiesen Mast und Co. anschließend das Potenzial zur Produktion von Antibiotika und durch Bioassays und analytische Verfahren auch die tatsächliche Biosynthese-Leistung der neuen Arten nach. „Wir haben das sogenannte Genome Mining angewendet“, erklärt Mast. „Dabei wird das Genom mit bioinformatischen Methoden auf das Vorhandensein von Sekundär­metabolit-Biosynthese­genclustern untersucht. Daneben haben wir die Stämme auch in unterschiedlichen Kultivierungsmedien angezogen, da bekannt ist, dass ein Stamm in unterschiedlichen Nährmedien unterschiedliche Substanzen produzieren kann.“ Dieses Verfahren ist als OSMAC (One Strain Many Compounds) bekannt.

Alle neuen Arten hemmten mindestens zwei der Testorganismen, die auf der Prioritätenliste der Weltgesundheitsorganisation für die Suche nach neuen Wirkstoffen stehen. Streptomyces kroppenstedtii produziert beispielsweise das antimikrobiell wirksame, glykosylierte Anthrazyklin Cinerubin B. Zerstörten Mast et al. ein Gen des entsprechenden Biosyntheseclusters, verschwand auch die antimikrobielle Wirkung des Bakterienextrakts. „Damit konnten wir erstmals die Funktionalität des Cinerubin-Biosynthese­genclusters durch genetische Manipulation nachweisen“, betont Mast.

In Extrakten von Streptomyces kutzneri ließen sich außerdem antimikrobielle Phosphonate identifizieren, und im Genom von Streptomyces stackebrandtii fanden sich Gene für SARP-Tran­skriptions­faktoren (Streptomyces antibiotic regulatory proteins), wie die Gruppenleiterin erklärt: „Wir haben in einer vorangegangenen Arbeit die Transkriptionsregulatoren der SARP-Familie als generelle Aktivatoren der Antibiotika-Biosynthese in Actinomyceten ausmachen können (Front Microbiol, 11:225). Jetzt konnten wir zeigen, dass durch die heterologe Expression eines SARP-Regulators aus Streptomyces pristinaespiralis stille Gencluster aktiviert werden können. Das macht vor allem bei solchen Stämmen Sinn, die Biosynthese­gencluster mit eigenen SARP-Regu­lator­genen besitzen wie S. stackebrandtii.“ Für diese Strategie verwenden Mast und Team ein Expressionskonstrukt, das für die Aktivierung von Biosynthese­genclustern in vielen verschiedenen Actinomyceten genutzt werden kann und das gerade in einer groß angelegten Studie mit zahlreichen genom­sequenzierten Actinomyceten zum Einsatz kommt.

Benennung nach deutschen Mikrobiologen

Nach der erfolgreichen Machbarkeitsstudie soll die Suche nach bislang unentdeckten Antibiotika jetzt richtig losgehen: „Aktuell haben wir einen Satz von 30 weiteren Antibiotika produzierenden Strepto­myceten-Spezies, die wir auf ähnliche Weise identifiziert haben und in Kürze beschreiben werden. Die vielversprechendsten Stämme werden wir weiterverfolgen mit dem Ziel, neue Antibiotika zu identifizieren.“

Die in der aktuellen Studie identifizierten Streptomyceten wurden allesamt nach deutschen Mikrobiologen benannt, die sich um die DSMZ oder die Naturstoffforschung verdient gemacht haben: Streptomyces kroppenstedtii und S. stackebrandtii verdanken ihre Namen Reiner Kroppenstedt und Erko Stackebrandt, die beide an der DSMZ tätig waren, Stackebrandt bis 2010 als deren Leiter. Der Namensgeber von S. kutzneri, Hans-Jürgen Kutzner, war Mikrobiologie-Professor an der Technischen Hochschule Darmstadt und auf die Erforschung von Streptomyceten und ihre Naturstoffe spezialisiert. Hans Zähner hatte 30 Jahre lang den Lehrstuhl für Mikrobiologie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen inne und hat den Typstamm S. zaehneri mit seiner Arbeitsgruppe selbst aus einer Bodenprobe isoliert. Joachim Wink beschäftigte sich bis 2022 am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig mit den Naturstoffen der Actinomyceten und freut sich nun über Namensvetter Streptomyces winkii.

Mit der Benennung der neuen Arten nach Forscherpersönlichkeiten nutzen Mast und Kollegen eine Möglichkeit, die im Regelwerk zur Benennung von Mikroorganismen, dem International Code of Nomenclature of Prokaryotes, genannt ist, von einigen Taxonomen derzeit aber hinterfragt wird (mehr dazu in „Streit um Hitler-Käfer und Trump-Motte“ in Laborjournal 1-2/2024).

Larissa Tetsch

Nouioui I. et al. (2024): Challenging old microbial treasures for natural compound biosynthesis capacity. Front Bioeng Biotechnol, 12: 1255151.

Bild: Pixabay/Pexels


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Letzte Änderungen: 11.03.2024