Editorial

Einmal Übernahme und zurück

(21.03.2024) Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt sich Roboscreen mit der Diagnostik von Virus- und neurodegenerativen Erkrankungen – als Teil von Analytik Jena, jetzt wieder solo.
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Herr Lachmann, Sie sind ausgebildeter Biologe mit Schwerpunkt Immunologie. Wie wird man als Wissenschaftler plötzlich Geschäftsführer, der sich, so sagt man, eigentlich nur mit Papier beschäftigt?
Ingolf Lachmann: Mache ich nicht. Das ist der große Vorteil. Ich kann immer noch im Labor arbeiten. Das ist natürlich eine Frage des Zeitumfangs. Ich sage mal so, ich bin 2002 als Wissenschaftler reingegangen in die Firma Roboscreen, die 2000 gegründet wurde. Das war damals mit einem Projekt, das über die Sächsische Aufbaubank gefördert wurde und der Firma auch einen guten Start ermöglicht hat.

Sie sprechen vom BSE-Projekt, richtig?
Lachmann: Richtig. Es war allerdings nicht ganz BSE. Projektinhalt war die Entwicklung eines Bluttests für die Creutz­feld-Jakob-Krank­heit, also das Pendant im menschlichen Organismus. 2003 gab es eine Ausschreibung der EU, weitere BSE-Tests zu entwickeln, weil es damals nur drei gab. Wir haben sehr schnell gehandelt und 2003 einen BSE-Test entwickelt und eingereicht. 2005 haben wir die Zulassung bekommen. Seitdem ist Roboscreen mit BSE-Tests am Markt.

Editorial

2005 war auch das Jahr, in dem Roboscreen zu Analytik Jena gegangen ist. War das eine Fusion oder eine Übernahme?
Lachmann: Es war eine Übernahme, Fusion kann man nicht sagen, weil Analytik Jena viel größer war. Analytik Jena (AJ) hat damals neben der analytischen Chemie einen Life-Sciences-Bereich aufgebaut. Dafür war es sinnvoll, auch Firmen mit reinzunehmen, die die Tests und die Anwendungen für die Instrumente machen, die AJ herstellt. Die Zulassung des BSE-Tests, das war natürlich ein wichtiger Grund für Analytik Jena, Roboscreen zu übernehmen. Zu Ihrer ersten Frage zurück, wie wird aus einem Biologen ein Geschäftsführer? Ich glaube, es fing damit an, dass ich mit meinen Kollegen von der Herstellung bis zum Verkauf alles aufgebaut habe und am Ende selbst bei den Kunden vor Ort war.

Wo haben Sie eigentlich studiert?
Lachmann: Ich habe erst in Jena und dann in Leipzig studiert. Von 1986 bis 1994 war ich in der Akademie der Landwirtschaft, bis diese 1990 aufgelöst und in eine Landesanstalt überführt wurde. 1994 bin ich zurück an die Uni Leipzig gegangen und war bis 2001 dort.

Sie sind also 2002 von der Uni in die freie Marktwirtschaft gewechselt?
Lachmann: Das stimmt. Bis dahin war ich in akademischen Bereichen und habe dort schon ähnliche Sachen gemacht. In der Landesanstalt habe ich zum Beispiel daran gearbeitet, Strukturen aufzubauen. Das hat mir geholfen, weil man da auch mit Mittelplanung und Budgetplanung und dann entsprechend auch Haushaltsdaten arbeitet. Das hat mich schon seit Anfang der 1990er-Jahre begleitet, später an der Universität war es wieder die Wissenschaft.

Momentan arbeiten Sie zusammen mit dem Paul-Flechsig-Institut und der Leipzig Medical Biobank unter anderem auch an ELISA-Tests für die Alzheimer-Krankheit. Was können diese Tests?
Lachmann: Ich muss bei der Antwort ein wenig ausholen. Als wir damals angefangen haben, also mit der Creutz­feld-Jakob-Krank­heit, war das natürlich BSE-geprägt. Man hatte Angst, dass diese Krankheit massiv auf Menschen übergreift. Sie ist übertragen worden, aber nicht so massiv. 2005 begannen wir damit, Labortests für Alzheimer, Parkinson und ähnliche Erkrankungen zu entwickeln. Erste Labortests für Alzheimer wurden Anfang des 21. Jahrhunderts von einer belgischen Firma eingeführt. Daneben gibt es bildgebende Verfahren wie MRT und beides sind Bestätigungstests für die Diagnose der Krankheit.
Die Labortests, die es gibt, haben aber den Nachteil, dass sie auf Rückenmarksflüssigkeit basieren. Das heißt, es wird punktiert und Analysen werden im Labor durchgeführt. Die Punktion ist ein invasiver Eingriff und für viele Menschen entsteht das Gefühl, dass das etwas Schlimmes ist. Wenn man Patienten über längere Zeiträume begleiten will, ist das auch schwierig, weil immer wieder Rückenmarksflüssigkeit entnommen werden muss.

Gibt es Unterschiede in der Diagnostik mit bildgebenden Verfahren beziehungsweise mit Untersuchungen von Rückenmarksflüssigkeit?
Lachmann: Von den diagnostischen Aussagen her sind Bildgebung und die Rückenmarksdiagnostik vergleichbar. Sie haben eine ähnliche Genauigkeit und beide sind darauf ausgerichtet, dass eine Ausfallerscheinung schon bekannt ist. Seit sechs bis acht Jahren hat sich die Diagnostik aber eher in Richtung Blutanalytik verschoben, die jetzt stark im Kommen ist. Die Marker für Alzheimer, aber auch Parkinson und andere neuro­degenerative Erkrankungen, gibt es im Blutplasma, allerdings in sehr niedriger Konzentration. Deswegen haben wir uns seit 2019 darauf fokussiert, diese Testungen auch in Blutplasma durchzuführen.
Neuere Ergebnisse zeigen, dass man mit diesen Markern in Kombination mit psychiatrischen Analysen, Fragebögen und anderen Tests, etwa genetische Analysen, schon etwa 15 Jahre bevor die Krankheit mit Merkmalen offensichtlich wird, diese bereits diagnostizieren kann. Im Laufe des Jahres 2021 sind etwa 440.000 Menschen neu an einer Demenz erkrankt. Die Tests haben aber noch nicht die Genauigkeit für Routineuntersuchungen. Das ist der aktuelle Stand.

Es geht Ihnen aber nicht nur um Alzheimer, sondern um viele neuro­degenerative Erkrankungen und entsprechende Biomarker. Kommen wir so zu einer personalisierten Medizin?
Lachmann: Richtig, aber wir stehen noch am Anfang, eine solche Multi­para­meter-Analyse zu entwickeln. Wir arbeiten natürlich auch an der gängigen Diagnostik und versuchen, uns an der Entwicklung in Richtung Blutplasma zu beteiligen. Wir haben auch schon erste Tests entwickelt. Aber da gehört natürlich mehr dazu, die müssen geprüft, validiert werden. Dafür muss man sehr gute Tests haben, muss diese an einer großen Zahl von Patientenproben testen, um dann ein Profil erstellen zu können. Alzheimer ist nicht immer eindeutig. Es gibt eine Mischung zwischen unterschiedlichen Degenerationsformen. Deswegen ist es interessant, dass man in Zukunft mehr zu den Einzelpatienten kommt.

Im Jahr 2020 gab es eine erneute Wendung in der Firmengeschichte, Roboscreen hat sich von Analytik Jena getrennt. Wie kam es dazu?
Lachmann: Analytik Jena wurde 2015 von der Schweizer Endress+Hauser-Gruppe übernommen. Die sind mehr auf die Bereiche chemische Industrie, Umwelt, Analytik und Life Sciences ausgerichtet. Diagnostik ist nicht ihr Feld. Damals war ich schon Geschäftsführer von Roboscreen und habe 2018 mein Interesse geäußert, die Firma herauszuführen. 2020 gab es ein Zeitfenster, in dem sowohl beim Konzern als auch in Jena die Bereitschaft da war, uns herauszulösen und als selbstständige Firma auszugründen. Das haben wir im Frühjahr 2020 verhandelt und zum 1. Juni 2020 vollzogen.

Sie konnten den wissenschaftlichen Teil übernehmen, aber den administrativen Teil mussten Sie komplett neu aufbauen?
Lachmann: Genau, das haben wir auch ganz passabel hinbekommen. Bis Herbst 2020 war alles gelöst, wir haben vieles über Leipziger Dienstleister umgesetzt und das funktioniert auch wunderbar. Insofern sind wir jetzt wieder eine richtig hier in Leipzig ansässige Firma. Roboscreen ist jetzt eine Privatfirma in der Rechtsform einer GmbH mit drei Gesellschaftern. Einer ist Klaus Berka, das ist der Gründer von Analytik Jena, der dort 2015 ausgeschieden ist und uns unterstützen wollte, weil die Übernahme 2005 seine Idee war. Die anderen sind André Reinhardt, der schon lange in der Firma und hier für Marketing und Vertrieb verantwortlich ist, der Dritte im Bunde bin ich.

Das Gespräch führte Thomas Köhler

Bild: AdobeStock/Sergey Nivens & Roboscreen (Porträt)


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Letzte Änderungen: 21.03.2024