Editorial

Nobelpreis-Promis trommeln für ...?

Trotz aller Umfragen ist der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl ungewiss. Eine Gruppe prominenter US-Forscher wirft sich für einen der Kandidaten ins Zeug.

(29. September 2008) In fünf Wochen wählen die Amerikaner ihren 44. Präsidenten. Knapp 20 Prozent der Wahlberechtigten haben sich laut Umfragen noch nicht für einen der beiden Kandidaten festgelegt. Ein bestimmtes Wählergrüppchen hingegen hat sich längst entschieden: Die überwältigende Mehrzahl der amerikanischen Naturwissenschaftler dürfte am 4. November seine Stimme für den jüngeren der beiden Kandidaten, den juvenil-smarten Barack Obama abgeben*.

Während sich die Forscher von Obama primär eine liberalere Forschungspolitik erhoffen, steht der konservativ-großväterliche John McCain für die Fortsetzung des Bushschen Konservatismus. Darunter fällt die restriktive Stammzellpolitik der aktuellen Regierung, deren Ignoranz gegenüber Klimaforschung und Umweltschutz, sowie die beharrliche Verleugnung (oder zumindest Ignorierung) der Evolutionstheorie.

Es geht auch ums Geld

Auch ums Geld geht es den Wissenschaftlern. Noch-Präsident George Bush hat den US-Forschungsetat seit Jahren bei rund 130 Milliarden Dollar eingefroren, was unter Berücksichtigung der Inflationsrate einer steten Reduzierung gleichkommt. Dazu kommt, dass die derzeitige Regierung laut AAAS (der American Association for the Advancement of Science) einen großen Teil der Forschungsgelder fürs Militär und den sogenannten "Kampf gegen den Terrorismus" ausgibt. Andere Projekte, etwa Grundlagenforschung in Physik und Biomedizin, bleiben wegen der immensen Kosten v.a. für den Irakkrieg auf der Strecke.

Zusätzliche Maßnahmen der Bush-Administration knabbern am Ruf der USA als Wissenschaftsnation Nr.1 - etwa die schikanösen Einreisehürden, die natürlich auch für Wissenschaftler bestehen. Ausländer, die in den USA forschen, studieren oder einen Vortrag halten wollen, werden im Auftrag einer grotesk aufgeblähten "Heimatschutzbehörde" (U.S. Department of Homeland Security) von gleich mehreren Geheimdiensten überprüft, müssen ihr Innerstes offenlegen und monatelang auf eine Einreisebewilligung warten. Oder man lässt sie erst gar nicht ins Land. Besonders Forscher aus Nicht-EU- oder gar islamistischen Ländern haben es schwer, die explodierte Bürokratie auf US-Konsulaten und -Flughäfen zu überwinden.

Immenser Leidensdruck?

Der Leidensdruck amerikanischer Wissenschaftler angesichts dieser, die freie Forschung behindernden Hemmnisse, scheint immens zu sein. Ende vergangener Woche wandte sich gar eine Gruppe amerikanische Nobelpreisträger in einem Aufsehen erregenden Appell an die US-Öffentlichkeit. 61 kluge Köpfe, unter anderem James Watson, Stanley Prusiner und die beiden letztjährigen Nobelpreisträger, Mario Capecchi und Oliver Smithies, beschworen die US-Bürger, sich für Barack Obama zu entscheiden ("An Open Letter to the American People"; die komplette Liste der Petenten samt ihres Appells ist unter folgender Webadresse zu finden: http://sefora.org/wp-content/uploads/2008/09/nobelists-for-obama.pdf):

This year's presidential election is among the most significant in our nation's history. The country urgently needs a visionary leader who can ensure the future of our traditional strengths in science and technology and who can harness those strengths to address many of our greatest problems: energy, disease, climate change, security, and economic competitiveness. We are convinced that Senator Barack Obama is such a leader, and we urge you to join us in supporting him. [...]

2004 glorreich gescheitert

Die Unterzeichner stellen die geballte Prominenz US-amerikanischer Naturwissenschaft dar - die sich über McCains Ankündigung grämt, die öffentlichen Ausgaben für ein Jahr einzufrieren, um sie auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Obama hingegen will das Füllhorn des Staates ausschütten: Er wolle die Budgets der wichtigsten wissenschaftlichen Institute binnen zehn Jahren verdoppeln (sagt er).

Eine ähnliche Wahlinitiative gab es schon mal: 2004 hatten sich 48 US-Forscher engagiert. Doch deren Favorit, der demokratische Präsidentschaftsbewerber John Kerry, war dem späteren Präsidenten George Bush mit 47 zu 53 Prozent unterlegen. Bei der diesjährigen Präsidentschaftswahl werden Obama bessere Chancen gegenüber McCain eingeräumt. Fast alle Umfragen sagen derzeit einen klaren Sieg des Demokraten voraus. Die neuesten Zahlen weissagen ein Stimmenverhältnis Obama:McCain von 50:42 (Gallup vom 28.9.), 48:43 (CBS vom 25.9.) und 49:45 (LA Times/Bloomberg vom 24.9.).

Wenig allerdings vermag sich in den USA derart blitzartig zu ändern wie die Wählerstimmung. Obama hatte die Wählergunst vor kaum acht Wochen mit knapp 50 zu 35 Prozent scheinbar haushoch dominiert - doch nach der Bekanntgabe Sarah Palins als republikanischer Vizepräsidentschaftskandidatin waren McCains Umfragewerte explodiert (44:54 pro McCain laut USA Today/Gallup in der ersten Septemberwoche).

Interessant ist übrigens, dass der ehemalige Vizepräsident und Präsidentschaftsbewerber, der Demokrat Al Gore, den Aufruf nicht unterzeichnet hat. Immerhin ist auch er Nobelpreisträger. Das jedoch hat wohl mindestens zwei Gründe: Zum einen ist Gore Friedensnobelpreisträger und kein Naturwissenschaftler, und zum zweiten will man die Pro-Obama-Initiative vermeintlich unpolitischer Wissenschaftler vermutlich nicht dadurch beeinträchtigen, indem man sich einen Parteigänger des favorisierten Kandidaten mit ins Boot holt.

Winfried Köppelle

*Genaugenommen entscheiden sich die US-Wähler nicht direkt für Obama oder McCain, sondern für einen Wahlmann oder eine Wahlfrau. Deren 538 wählen am 4. November den entsprechenden Präsidentschaftsbewerber. Vom Ergebnis her ist's gleich.



Letzte Änderungen: 30.09.2008