Editorial

Stammzellen aus Haut - Embryonen bleiben ganz

Am 9. März hat Barack Obama viele Beschränkungen zur Stammzellforschung aufgehoben. Das war vielleicht unnötig. Es könnte nämlich sein, dass Sie Ihre Stammzellen in Zukunft selber machen können. Zum Beispiel aus Hautzellen.

(17. März 2009) Mit neuen Techniken ist es britischen und kanadischen Forschern gelungen, Hautzellen umzuprogrammieren, sodass diese die Eigenschaften embryonaler Stammzellen angenommen haben. Dies berichtet das Wissenschaftsmagazin Nature in seiner Online-Ausgabe (K. Kaji et al. Nature doi:10.1038/nature07864; 2009, K. Woltjen et al. Nature doi:10.1038/07863; 2009). Weil die Wissenschaftler dabei ohne Viren auskamen, wächst nun erneut die Hoffnung auf Therapien für unheilbare Krankheiten, ohne dass dafür menschliche Embryonen geopfert werden müssten.

Eine Gruppe von Wissenschaftlern am Zentrum für Regenerative Medizin des Medical Research Council der Universität Edinburgh in Schottland klebte zunächst vier ausgewählte Gene aneinander. Diese "Kassette" verfrachteten die Molekularbiologen in Hautzellen von Menschen und Mäusen. Die Zellen entwickelten sich zurück in ein Stadium wie am Anfang der Embryonalentwicklung. Im Mausversuch, nicht aber mit menschlichen Zellen, gelang es Wissenschaftlern der Universität Toronto (Kanada) zudem, die eingeschleusten Genkassetten hinterher mit einem Enzym (Transposase) wieder restlos zu entfernen. Man befinde sich dennoch am Anfang der Entwicklung, warnten die Experten.

Stammzellforscher hatten seit 1998 zunächst mit Material gearbeitet, das aus wenige Tage alten Embryonen gewonnen wurde. Diese waren vorwiegend in US-amerikanischen Befruchtungskliniken "übrig geblieben" und von den Eltern für die Forschung gespendet worden, nachdem ihr Kinderwunsch in Erfüllung gegangen war. Kritiker halten die Arbeit mit menschlichen embryonalen Stammzellen jedoch für unethisch. Wissenschaftler in Deutschland und - dank Ex-Präsident George Bush - auch in den USA, sehen sich dagegen durch die gesetzlichen Auflagen behindert.

Einen Ausweg aus dem Dilemma eröffnete im Jahr 2006 der Japaner Shinya Yamanaka. Ihm gelang es, Hautzellen der Maus genetisch so zu verändern, dass daraus unterschiedliche Zelltypen gezüchtet werden konnten. 2007 gelang das Kunststück auch mit menschlichen Hautzellen. Seitdem ist die Herstellung dieser Ipse (Kunstwort für induzierte pluripotente Zellen) perfektioniert worden. "Science" kor die vielen kleinen Fortschritte zum "Durchbruch des Jahres 2008".

Yamanaka hatte unter 30 verschiedenen Genen, die bei der Entwicklung von Säugetieren eine Rolle spielen, eine Kombination von vier Genen gefunden, die genügten, um die Hautzellen scheinbar in einen früheren Entwicklungszustand zurück zu versetzen. Allerdings hatte Yamanaka Retroviren benützt, um die Gene in die Hautzellen zu transferieren. Diese Viren wiederum galten als Sicherheitsrisiko, denn sie könnten in den Hautzellen Gene aktivieren, die Krebs auslösen. Zwar gelang es dem Österreicher Konrad Hochedlinger im Vorjahr, die Retroviren bei Mäusen durch Schnupfenviren zu ersetzen, doch auch das war keine ideale Lösung.

Nicht einmal er habe daran geglaubt, dass man Ipsen ohne Viren herstellen könne, gestand der Leiter des Teams aus Edinburgh, Keisuke Kaji. "Dies ist ein Schritt vorwärts auf dem Weg zum Einsatz reprogrammierter Zellen in der medizinischen Praxis, der vielleicht sogar den Einsatz menschlicher Embryonen als Quelle für Stammzellen überflüssig macht", so Kaji. Allerdings müsse der Prozess effizienter werden. Kajis Mitautor Andras Nagy von der Universität Toronto (Kanada) fügte hinzu, er hoffe, "dass diese Stammzellen die Grundlage bilden werden für die Behandlung zahlreicher Krankheiten, die heute noch als unheilbar gelten". Nagy gab sich zuversichtlich, dass es seinem Team gelingen wird, die Spuren der Manipulation bei menschlichen Zellen komplett zu beseitigen.

Ursprünglich hatten Kaji und Nagy unabhängig voneinander nach einer besseren Methode gesucht, um Ipsen herzustellen. Bei einer zufälligen Begegnung stellten sie jedoch fest, dass jeder bereits eine Hälfte des Rätsels gelöst hatte, und so beschlossen sie, die beiden Ansätze zu kombinieren. Kajis Verdienst ist es, die vier Entwicklungsgene für die Reprogrammierung zu einem Fragment vereinigt zu haben, das sich in die Zellen hineinbringen und wieder entfernen lässt. Nagy hingegen war das nicht gelungen, er hatte aber eine Methode gefunden, um die Spuren dieses Eingriffes anscheinend komplett zu beseitigen.

Denkbar ist es, dass selbst der Gentransfer zur Herstellung von Ipse überflüssig wird. So könnte man die Neuprogrammierung beispielsweise mit Hilfe einer Kombination von Wachstumsfaktoren in die Wege leiten. Stammzellen embryonaler Herkunft lassen sich mit dieser Technik zu den verschiedensten Zelltypen weiterentwickeln; mit bereits ausgewachsenen (adulten) Zellen hat dies aber noch nicht geklappt.

Ian Wilmut, Direktor des Forschungszentrums in Edinburgh und "Vater" des Klonschafes Dolly meinte zu den Ergebnissen: Zwar werde es noch einige Zeit dauern, bis man die neuen Zellen an den ersten Patienten erproben kann und man müsse erst noch eine Methode finden, um aus den neuen Ipsen die gewünschten Zellarten herzustellen. "Aber ich glaube, das Team hat einen großen Fortschritt erzielt und wenn wir diese Arbeit mit der von anderen Gruppen kombinieren gibt es Hoffnung, dass das Versprechen der Regenerativen Medizin sich bald erfüllen könnte."

Höhepunkte der Stammzell-Forschung:

- 1998: An der Universität von Wisconsin isoliert James Thomson erstmals menschliche embryonale Stammzellen (ES).

- 2001: US-Präsident Bush beschränkt die staatliche Förderung für die Erforschung menschlicher embryonaler Stammzellen.

- 2004: An der Universität Harvard produziert Douglas Melton mit privaten Forschungsgeldern über 70 embryonale Stammzell-Linien und verteilt diese kostenlos an Forscher weltweit.

- 2006: Shinya Yamanaka verwandelt Hautzellen der Maus in pluripotente Stammzellen ("Ipse"). Statt Embryos braucht er nur vier Gene - die Yamanaka-Faktoren - für die Verwandlung. Sie werden mit Hilfe von Retroviren in die Hautzellen transportiert.

- 2007: Thomson und Yamanaka re-programmieren menschliche Zellen zu Ipsen.

- 2008: Douglas Melton re-programmiert Zellen der Bauchspeicheldrüse, sodass diese beginnen, Insulin zu produzieren. Konrad Hochedlinger ersetzt die Retroviren in der Produktion von Ipsen durch harmlosere Schnupfenviren.

- 23. Januar 2009: Nach fast zehnjähriger Vorbereitung erlaubt die US-Arzneimittelbehörde FDA den ersten Versuch mit embryonalen Stammzellen bei einigen querschnittsgelähmten Patienten.

- 9. März 2009: US-Präsident Obama hebt Beschränkungen zur Erforschung embryonaler Stammzellen auf, die sein Vorgänger erlassen hatte.





Letzte Änderungen: 19.04.2009