Editorial

Der Wünschelruten-Skandal

„Hat der Chef der Herstellerfirma Hunderte Menschen auf dem Gewissen?" fragt Ulrike Putz heute in einem Spiegel-Artikel über unbrauchbare Sprengstoffscanner. – Falsche Frage, Frau Putz. Es müsste heißen: „Haben die zuständigen Behörden, die an Wünschelruten-Technologie glaubten, einen an der Waffel?"

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(24.01.2010)  Heute morgen hatte ich einen Alptraum, und der ging so: Ich schalte meinen Computer an, surfe zu Spiegel Online und lese folgendes:

"Alles Quatsch, wehrte sich McCormick im Sender BBC gegen die Vorwürfe. Sein Gerät beruhe auf denselben Prinzipien wie Wünschelruten, mit denen man unterirdische Wasseradern aufspüren könne."

Oh Schreck, wo bin ich denn da gelandet? Ist meine Maus im frühmorgendlichen Tran (s'ist ja erst halb elf!) verrutscht und hat versehentlich „Spiegel Panorama" angeklickt? Lese ich gerade die Kritik zum Zauberkomödienstadl „The next Uri Geller"?

Falsch. Ich bin wach, alles ist wahr, und staatliche Behörden in aller Welt haben einem Apparillo ihren Segen erteilt, der auf Wünschelruten-Technologie beruht. Leider sollte dieses Wunderding nicht bloß Kalk aus Wasserleitungen ziehen oder Augenfältchen ab 40 lindern, sondern  Sprengstoff in Krisengebieten aufspüren.

Unter „Sicherheitstechnik-Skandal: Dunkle Geschäfte mit dem Sprengstoffschnüffler" erregt sich Spiegel-Online-Autorin Ulrike Putz über den Skandal und fragt gewohnt Spiegel-inquisitorisch: „Hat der Chef der Herstellerfirma Hunderte Menschen auf dem Gewissen?"

Falsche Frage, Frau Putz. Sie sollten besser fragen: „Haben die zuständigen Behörden, die an Wünschelruten-Technologie glaubten und ihr die Freigabe erteilten, noch alle Tassen im  Schrank?"

 

Im Einsatz "an hunderten von Kontrollstellen"

 

Falls man dem glauben kann, was die New York Times herausgefunden hat, dann hat das irakische Innenministerium in den Jahren 2008 und 2009 sage und schreibe 1500 (tausendfünfhundert!!) dieser Wundergeräte namens ADE 651 für zusammengerechnet schlappe 88 Millionen Dollar gekauft. 2009 habe die irakische Armee weitere 100 Detektoren erworben. Erfunden hat die Dinger („hand-held remote portable substance detectors") die britische Firma ATSC, deren Homepage (www.atscltd.com) seit kurzem unerreichbar ist ("Website under  repair").

Benutzt wurden die Geräte, die laut Aussage von Firmenchef Jim McCormick auf Wünschelruten-Technologie beruhen, übrigens fleißig, und zwar an „hundreds of police and military checkpoints, often replacing physical inspections of vehicles".

Dass die Geräte nicht funktionieren, ist im Irak anscheinend auch nach dutzenden gelungenen Attentaten mit hunderten von Toten innerhalb der fast zwei Jahre, in denen die Dinger benutzt wurden, niemandem aufgefallen. Zumindest niemandem, der etwas zu bestimmen hatte (und die toten Polizisten/Soldaten/Zivilisten konnten sich nicht mehr beschweren, klar).

 

"Keine Stromquelle erforderlich"

 

Dabei hätte ein schneller Blick in die Bedienungsanleitung gereicht, um die Dinger mit Fug und Recht unbenutzt in die Mülltonne entsorgen zu können – immerhin standen da Sätze drin wie dieser:

"The ADE 651 [… requires no battery or other power source, its manufacturer stating that it is powered solely by the user's static electricity."

Oder dieser:

"To use the device, the operator must walk for a few moments to "charge" it before holding it at right angles to the body. After a substance-specific "programmed substance detection card" is inserted, the device is supposed to swivel in the user's hand to point its antenna in the direction of the target substance."

Wow, mystisch, zweimal hin- und her latschen und schon läuft das Teil. Vermutlich ist das Ding eh ein Perpetuum Mobile und könnte nebenbei auch noch die Energiekrise beenden.

Dass nicht nur in Deutschland manch verirrte Seele steif und fest an Wünschelruten glaubt, war dem Schreiber dieser Zeilen allerdings unklar. Ein irakischer Polizeioffizier und „erfahrener ADE 651-Nutzer" soll laut einem US-Radiosender doch tatsächlich folgendes zum Protokoll gegeben haben: „If we are tense, the device doesn't work correctly. I start slow, and relax my body, and I try to clear my mind."

Und dann klappt's! Echt!! Noch weitere Wunder gefällig, die das Wünschelwunderteil laut Beipackzettel vermag?


Aber gerne! Mittels hochmoderner (und anscheinend, siehe oben, quasi fast spannungsfrei arbeitender) Hochtechnologie erzielt der Apparillo via „electrostatic magnetic ion attraction", via „nuclear quadrupole resonance (NQR)" und via „nuclear magnetic resonance (NMR)" sensationelle Ergebnisse:

"[… ADE 651 can detect [… guns, ammunition, drugs, truffles, human bodies, contraband ivory and bank notes at distances of up to 1 kilometre (0.62 mi), underground, through walls, underwater or even from airplanes at an altitude of up to 5 kilometres (3.1 mi)."

 

Elfenbein und Trüffel in 1000 Meter Entfernung

 

ADE 651 findet also Schusswaffen, menschliche Körper, Elfenbein und Banknoten, die bis zu einem Kilometer entfernt vergraben, in Wasser versenkt oder hinter Mauern versteckt sind, oder die sich in einem Flugzeug befinden, das gerade in fünf Kilometer Höhe vorbeifliegt! Wieso eigentlich nicht auch noch den Urinstrahl eines Shuttle-Astronauten, der da oben gerade am Pinkeln ist?

Dass seriöse Wissenschaftler weltweit noch Welten entfernt von derartigen Effizienzraten sind, fiel anscheinend auf Behördenseite auch niemandem auf. Der am Deutsch-Französischen Waffenforschungsinstitut ISL arbeitende Karl Darée beispielsweise war schon froh, wenn er bei seinen kniffligen NQR-Experimenten TNT in maximal 15-20 Zentimetern Entfernung aufspüren konnte - und zwar in Mengen, die mindestens ein viertel Kilo betragen müssten. Amerikanische Forscher feierten es bis vor kurzem als Riesenerfolg, wenn ihr experimentelles Vor-Vor-Serien NQR–Spektrometer auf 50 Gramm RDX-Sprengstoff in 20 Zentimetern Entfernung überhaupt  noch reagierte.

 

Aufgefallen ist anscheinend auch niemandem, dass das Wünschelrutenwunderteil weder von einem Physiker noch von einem Ingenieur, sondern - man höre und staune! - von einem ehemaligen Polizisten erfunden wurde: Jim McCormick, der Geschäftsführer und Chefentwickler von ATSC, hat laut The Times übrigens "no scientific or technical background". Immerhin aber wusste er:

„Die Theorie, die hinter dem Wünschelruten-Gehen steckt und dem, wie wir mit ADE 651 Sprengstoffe finden, ist sehr ähnlich."

Tja, liebe Wünschelrutengänger im Irak, in Deutschland und anderswo: Zumindest da hat Hochstapler McCormick absolut recht.

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 04.03.2013