Editorial

Der Fehlerbalken im Auge des Forschers

"Der Charité-Skandal" (Folgen 1-16 und vorläufig letzte Folge 17, Update vom 23. März 2010) -- Es gehen Gerüchte, Forscher an der Charité hätten eine Unzahl von gefälschten Papern veröffentlicht. Höchste Stellen seien verwickelt, der Filz reiche bis nach Hamburg. Selbst Ulrike Beisiegel, Sprecherin des Ombudsman der DFG, Kandidatin für das Präsidentenamt der Göttinger Universität, Ikone der deutschen Wissenschaftsethik, wurde angegriffen.

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Da biegt sich der (Fehler-)Balken

Zusammenfassung und Kommentar

 

Markus Kühbacher dürfte einigen Personen mit seiner Art auf den Senkel gehen: Erbsen und Fehlerbalken zählend, unnachgiebig, formell, akribisch, penibel und ungeheuer umtriebig. Typ Einzelkämpfer. Kühbacher muß monatelang, nächtelang an hunderten von Publikationen die Standardabweichungen vermessen haben. Er meint, das hänge mit seiner Tätigkeit als Analytiker zusammen, da werde man so. Auch mir, dem Kommentator, ging Kühbachers Art anfangs auf die Nerven, doch inzwischen halte ich Kühbacher für einen Wahrheitssucher und bewundere seine Zähigkeit und Standfestigkeit. Freilich: Manchmal verrennt er sich und gelegentlich schießen seine Schlüsse über die Fakten hinaus.

 

Sein Kontrahent Nicolai Savaskan ist liebenswert, intelligent und läßt auch mal fünfe grade sein. Er hat denn auch viele Freunde, die sich für ihn einsetzen. Keiner von denen kann sich vorstellen, daß Savaskan aktiv Daten fälsche.

 

Die beiden Kontrahenten haben auch Gemeinsamkeiten. Beide wohnen in Berlin, beide reden viel, Kühbacher noch mehr als Savaskan.

 

 

Zu den Fakten.


Frau Beisiegels Publikationen sind, bis auf Figur 6a Heeren et al., nicht zu beanstanden. Sie hat zwar die Doktorarbeit einer ihrer Doktorandinnen nicht genau gelesen, doch für seine schriftliche Doktorarbeit ist allein der Doktorand verantwortlich: er ist ja auch alleiniger Autor. Frau Beisiegel hat vorbildlich und offen bei der Aufklärung der Vorwürfe mitgeholfen - wie sich gehört als Sprecherin des DFG-Ombudsman. Frau Beisiegel und Herr Heeren haben auch auf den Laborjournal-Reporter keinerlei Druck ausgeübt - was man nicht von allen Personen, die in dieser Geschichte vorkommen, behaupten kann.

 

Was nun die Figur 6a betrifft: drei Ratten sind keine vier und man rundet nicht willkürlich auf oder ab, auch dann nicht, wenn dies am Ergebnis nichts ändert. Bedenklich ist allerdings, daß die Werte einer Ratte, die so gar nicht ins Bild passen und das Ergebnis verändert hätten, unter den Tisch fielen (Folge 15). Dem Argument, hier sei die „Ratte 3 verstopft“ gewesen, mag man nicht so recht folgen, da man in diesem Fall niedrigere und nicht höhere Werte erwartet hätte. Was das Inset von Figur 6a betrifft: Ja, der Umgang mit Lipoproteinen ist wohl schwierig. Aber wenn sich Lipoproteine mit Centricon Röhrchen nicht sauber von ihren Abbauprodukten trennen lassen, dann greift man eben zur TCA- oder zur Wessel-Flügge- Fällung und wenn man das nicht will, weil man die Proteine nativ benötigt, dann opfert man noch mal vier Ratten oder läßt die Trennung eben ganz weg. Lieber nicht messen als Hausnummern messen (und dann acht Nachkommastellen angeben)! Die im Inset dargestellten Ergebnisse kann man in der Pfeife rauchen.

 

Betrug jedoch liegt nicht vor, denn zu Betrug gehört Vorsatz und Bereicherung, in der Wissenschaft also absichtliche Fälschung, um sich mit bestimmten Ergebnissen schmücken zu können. Das kann ich bei Heeren nicht erkennen.

 

Anerkennen muß der Laborjournal-Reporter aber die gute Arbeit des Adebar Storch. Ohne diesen wahrlich selbstlosen Wissenschaftler, er hat ja nun wirklich gar nichts von der Sache, hätte der Laborjournal-Reporter den Löffel längst abgegeben.

 

 

Savaskan, Nitsch und Ullrich


In Publikationen von Savaskan, Ullrich und Nitsch haben Kühbacher, der Laborjournal Gutachter und der Kommentator Fehler entdeckt. Sind die Autoren dieser Publikationen Betrüger?

 

Auch bei den Publikationen von Nitsch, Ullrich und Savaskan, die ich untersucht habe, kann ich weder Vorsatz noch Bereicherung erkennen. Also: Kein Betrug! Dies gilt mit Ausnahme des Dalla Puppa Papers: Ob es sich hier nur um Schlampigkeit handelt, kann ich nicht beurteilen, da ich die Originaldaten nicht einsehen konnte.

 

Den Fragen, die Markus Kühbacher in seinem jüngsten LJ-Blogbeitrag gegen Herrn Nitsch erhebt, bin ich nicht nachgegangen. Ich kann deswegen, mit Ausnahme der ersten, auch nicht dazu Stellung nehmen. Kühbachers erste Frage bezieht sich auf die in Folge 11 besprochene Abbildung 1 in Diestel et al., The Journal of Experimental Medicine, 198(11):1729-40. Die meisten der OND Werte in Abbildung 1a lagen unter der Nachweisgrenze. Statt nun n.d. (non detectable) einzutragen, hat Ullrich den willkürlichen Wert 0,1 mg/l 7-Ketocholesterol angegeben. Dies ohne in dem Paper auf diesen Sachverhalt hinzuweisen. Wenn ich mich richtig erinnere war Ullrichs Begründung, daß er 0,1 mg/l gerade noch hätte nachweisen können. Das ist nicht ganz sauber. Eine Betrugsabsicht liegt jedoch nicht vor, da es Ullrich darum ging, den Unterschied zwischen OND (other neurological disease) und Ms Patienten herauszuarbeiten und mit einem höhern Wert wie 0,1 mg/ml dieser Unterschied kleiner wurde.

 

Wahr ist freilich, daß sich in erstaunlich vielen Publikationen aus dem Institut für Anatomie der Charité erstaunlich viele Fehler finden (jedenfalls verglichen mit dem was der Kommentator aus eigener Erfahrung kennt). Dazu kommt, daß anscheinend die ImageJ Daten nicht gespeichert wurden, wie dies Vorschrift ist. Das ist peinlich und die Scherereien, die Nitsch, Ullrich und Savaskan davon haben, haben sie zu Recht. Zu Gute halten muß man ihnen, daß sie sich sofort und offen um Aufklärung bemüht haben, Ullrich hat seine Daten sofort offengelegt, Robert Nitsch hat Savaskan gebeten da gleiche zu tun und der war jederzeit bereit, Auskunft zu geben.

Das „Fehlerbalken messen“ scheint sich in der Forscherszene zur Liebhaberei zu entwickeln. Erst gestern teilte mir ein Leser mit, auch er habe in etlichen Publikationen, darunter denen eines Nobelpreisträgers, gleiche Fehlerbalken entdeckt. Der Leser meinte allerdings, dies könne daran liegen, daß kleine Unterschiede in den Fehlerbalken beim mehrmaligen Konvertieren und Umformatieren der Daten verloren gingen. Er meinte freilich auch, daß man 20 bis 30% aller wissenschaftlichen Publikationen wegen Unreproduzierbarkeit „in Ablage P“ abheften könne. Darin gebe ich ihm recht. Das Hauptproblem der deutschen Forschung sind nicht die Fälscher, es sind die Schlamper.

 

Die Schlamper haben eine seltsame Einstellung zu ihren Schlampereien. „Das ist doch kein Mord, das ist wie falsch Parken. Da schäme ich mich nicht, das kann man einfach nicht vermeiden.“, sagte einer.

 

Ich bin sicher, würde man Herrn Kühbacher - seine Stelle läuft 2010 aus - auf den Rest der deutschen Forscher ansetzen, man würde geflutet mit fehlerhaften Publikationen. Das Laborjournal lobt hiermit einen Preis für die Arbeit mit den meisten Fehlerbalken gleicher Größe aus: Ein Exemplar des „Der Untergang des Hauses Rascher“ für denjenigen, der uns eine Arbeit mit mindestens zehn identischen Fehlerbalken zuschickt - so lange der Vorrat reicht, versteht sich.

 

Ein weiterer Eindruck, der sich aufdrängte, ist der, daß die Referees der Journale überfordert sind oder noch schlampiger arbeiten als die von ihnen begutachteten Forscher. Schlamperei allenthalben ist also die Haupterkenntnis im Fall Kühbacher/Savaskan. Viele wird das nicht überraschen.

 

 

Kühbacher und Savaskan


Gehen wir zurück zum Anfang, zum Streit zwischen Kühbacher und Savaskan um die Manuskripte 1 und 2. Wer hat recht?

 

Man kann sich auf den Standpunkt stellen das sei irrelevant, da weder Ms1 noch Ms2 veröffentlicht wurden. Man kann aber auch der Ansicht sein, die Nichtveröffentlichung sei nur Zufall: Ms2 wurde ja zur Veröffentlichung eingereicht, Ms1 5. Version sollte zur Veröffentlichung eingereicht werden.

 

Für Savaskan sprich folgendes: Er hat alle Daten zur Verfügung gestellt, die vom Laborjournal-Reporter angefordert wurden. Der Reporter war auch etliche Stunden mit Savaskan zusammen und hatte nicht den Eindruck, daß der Mann ihn anlüge. Vielmehr schien Savaskan über die zahllosen Fehler und Unstimmigkeiten im Ms2 erstaunt zu sein.

 

Sprechen auch die Fakten für Savaskan? Gehen wir die wichtigsten Punkte kurz durch:

 

1. Wer hat die Hirne und Hoden geschnitten? Für Kühbacher spricht die Aussage des Strahlenschutzbeauftragten Ninnemann, für Savaskan der Eintrag in sein Laborbuch. Die geheimnisvolle Frau Winkler blieb stumm. Ninnemann ist ein unabhängiger Zeuge. In der Summe: Kühbachers Version ist wahrscheinlicher.

 

2. Wer hat die 4. Version des Ms1 verhunzt, z.B. aus einer Ratte drei gemacht? Wer ist also der Verfasser der 5. Version des Ms1? In der 4. Version des Ms1 stimmt alles, sie paßt zu einem Herrn Penibel wie Kühbacher. Die 5. Version des Ms1 dagegen ähnelt in seiner Schlampigkeit und den unzähligen Fehlern dem zweifellos von Savaskan verfaßten Ms2. Bezeichnenderweise steht unter pdf Eigenschaften in der Verfasserrubrik bei der 4. Version nichts und bei der 5. Version Savaskan.

 

3. Wieviele Schnitte wurden für Figur 3B, Ms2 gemacht: zehn, wie Savaskan behauptet, oder einer, wie Kühbacher versichert? Die Zahlenspielereien in Folge 7 deuten daraufhin, daß Savaskan wohl die Figur 3B aus Ms1 übernommen hat (was er zuerst abstritt) und dort ist nur von einem Hodenschnitt die Rede. Mag sein, daß Savaskan dennoch zehn Schnitte auswertete, aber vergaß die Daten anzuwenden  - die Schludrigkeit des gesamten Ms spricht sogar dafür. Auch scheint zumindest eine entsprechende Excel Tabelle zu existieren. Nur wundert es einen, daß diese Tabelle Monate nach dem Einreichen des Papers erstellt wurde und zwar zu einem Zeitpunkt, als Kühbacher anfing Druck zu machen.

 

4. Seltsam auch, daß in der in Punkt 3 erwähnten Excel Tabelle 10 Werte für die caput epididymii angegeben sind aber in den zugehörigen Autoradiogrammen nur fünf caput epididymii vorhanden waren. Herrn Savaskan versichert, daß er von einem Autoradiogramm zwei verschiedene Regionen der caput epididymis gescannt habe und so auch zehn Werte erhielt. In der Legende steht davon nichts.

 

5. Kühbacher behauptet, Savaskan habe beim Ombudsman versichert, es habe mit 8 radioaktiv markierten Ratten gearbeitet. Unstrittig ist inzwischen, daß es zwei waren. Kühbachers Version wird von einem Zeugen bestätigt.

 

6. Die ImageJ Dateien wurden von Savaskan nicht gespeichert - was freilich am Institut für Anatomie üblich zu sein scheint.

 

Wer also, lieber Leser, hat wohl recht: Herr Penibel oder Monsieur Schlamper? Was denken Sie? Was muß man denken?


Richtig! Das glaube ich auch! Oder um mit Savaskan zusprechen: „Ganz genau!“

 

 

Hinweis: Falls Sie Kommentare, Bemerkungen, oder Beobachtungen zu dieser Serie lesen oder gar selber loswerden wollen, können Sie das unter dem gleichnamigen Beitrag in unserem Laborjournal Blog gerne tun.

 

 

von Hubert Rehm

 

Als PDFs zum Download:

 

MS1 v4

MS1 v5

Ms2

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Was bisher geschah:

Folge 1: Die Kontrahenten

 

Folge 2: Der Krach

 

Folge 3: Die Affäre eskaliert

 

Folge 4: Savaskan weist die Vorwürfe zurück

 

Folge 5: Nachforschungen des LJ-Reporters

 

Folge 6: Vermittlungsversuche

 

Folge 7: Der DFG-Ombudsman wird angerufen

 

Folge 8: Der Ombudsman fordert Unterlagen an

 

Folge 9: Der DFG-Ombudsman gibt an den DFG Ausschuß für Fehlverhalten ab

 

Folge 10: Kühbachers Generaluntersuchung

 

Folge 11: Frau Beisiegels Stellungnahme

 

Folge 12: Noch ein fehlerhaftes Paper: Das Nogo Paper

 

Folge 13: Juristische Nullnummer

 

Folge 14: Ein neuer Ermittler schaltet sich ein

 

Folge 15: Hugo Habicht widerspricht Adebar Storch!

 

Folge 16: Seltsame Endziffern

 

Folge 17: Zusammenfassung und Kommentar

 

Folge 18: Ergänzungen und Bemerkungen

 



Letzte Änderungen: 09.08.2010