Editorial

Yes, we can: Amerikaner legalisieren Marihuana!

Was ist nur mit den Amis los? Erst wählen sie einen Präsidenten, der mindestens so cool rüberkommt wie ein jüngerer Bruder von Denzel Washington, und jetzt erlauben sie auch noch den professionellen Hanfanbau.



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Logo des Cannabis-Fanclubs von Oakland

(22. Juli 2010) Zumindest in Oakland, Kalifornien, erlauben sie ihn, und zumindest vorläufig – denn was deutsche Medien verschwiegen: Das Votum des zuständigen Stadtrats-Ausschusses muss in einer zweiten, endgültigen Abstimmung erst noch bestätigt werden („the preliminary ordinance must still be approved on a second, final vote").


Ohnehin sollten sich eingefleischte Pot-Fans nicht zu früh freuen: Der großflächige Anbau der THC-haltigen Hanf-Pflänzlein (Cannabis sativa bzw. C. indica) diene ausschließlich medizinischen Zwecken, berichtete ABC-News, und spricht weiter von Plänen „to license four large-scale marijuana factories". Mit „factory" meint die Nachrichtenagentur voluminöse Gewächshäuser in Fußballfeld-Größe samt angegliederten Verarbeitungs- und Verpackungsstätten.

Umstrittenes Arzneimittel Cannabis

Für die Wirkung von Cannabis und der daraus gewonnenen Produkte (Haschisch, Marihuana, etc.) sind die Komponenten Tetrahydrocannabinol (THC, psychoaktive Effekte), Cannabinol (CBN, krampflösend) sowie Cannabidiol (CBD, wirkt THC entgegen) verantwortlich; sie binden an Rezeptoren des Endocannabinoid-Systems im zentralen Nervensystem. Besonders THC-reich sind die unbefruchteten weiblichen Blütenstände der Pflanze sowie die Blätter nahe der Blüte.

Gerade in konservativ regierten Ländern wird der angebliche oder tatsächliche medizinische Wert von Cannabis immer wieder heiß diskutiert. Zumindest unter Wissenschaftlern unumstritten, da ausreichend dokumentiert, ist die Wirkung der genannten Inhaltsstoffe unter anderem bei Schmerzen, Krankheiten des Stütz- und Bewegungsapparates, Spastiken, Arthritis und Depression. In Ländern wie Österreich, Deutschland, den Niederlanden, Spanien sowie in einigen Bundesstaaten der USA sind bestimmte Cannabis-basierende Arzneimittel erlaubt, wenn auch meist nur in Einzelfällen.

In Deutschland beispielsweise darf das halbsynthetische THC-Mittel Dronabinol für die individuelle Therapie von chronischer Appetitlosigkeit bei AIDS-Patienten und zur Behandlung von durch Zytostatika verursachter Übelkeit und Erbrechen bei Krebspatienten als Rezepturarzneimittel verordnet (beziehungsweise als Einzelimport aus den USA bezogen) werden. Diese Behandlung, die bis zu 800 Euro im Monat kosten kann, wird von den gesetzlichen Krankenkassen nur fallweise übernommen, obwohl sie von Ärzten gerne als „letzte Möglichkeit für solche Patienten" bezeichnet wird.

Andere Mediziner relativieren die therapeutische Bedeutsamkeit derzeit erhältlicher Cannabis-basierter Fertigarzneimittel: Es gebe längst Alternativen mit besserem Nutzen-Risiko-Verhältnis, zumal sei die Zahl möglicher Anwendungsgebiete gering. Allerdings plädieren zahlreiche Wissenschaftler dafür, die bisher verpönte oder gar verbotene Forschung an Cannabis-basierten Mitteln zu steigern.

Probleme mit Schlamper-Gärtnern

Zurück nach Kalifornien. Als wichtigen Grund für den Entschluss der Stadtväter Oaklands, künftig professionell arbeitende,  fabrikähnliche Cannabis-Betriebe genehmigen zu wollen, nennt ABC-News fortwährende Probleme mit den bereits existierenden, semiprofessionell agierenden „mittelgroßen" Cannabis-Anbauern. Diese würden ihre Pflänzchen oftmals vorsintflutlich im Hinterzimmer ihrer Wohnung in feucht-schwüler Umgebung kultivieren, die beispielsweise elektrische Kurzschlüsse und dadurch Brände provoziere. Zudem würde Gewaltkriminalität gefördert. Bei von Gemeindeseite kontrollierter Massenproduktion in weniger, dafür größeren Betrieben träten diese Probleme nicht oder nur vermindert auf, hoffen die Stadträte (wie sie zu dieser Ansicht kommen, sagte ABC allerdings nicht).  


Wie auch immer: Den „hunderten" mittelgroßen „medizinischen" Anbaubetrieben, die es anscheinend allein in Oakland gibt und die nach Schätzungen einen Jahresumsatz von insgesamt 28 Millionen Dollar erzielen, würde die Geschäftstätigkeit mit der neuen Regelung künftig untersagt sein. Schlamper-Gärtner will man dort nicht mehr haben. Der Privatanbau für persönliche Zwecke hingegen werde in der Stadt – sofern der Anbauer ein ärztliches Rezept vorweisen kann – weiterhin erlaubt (oder besser: geduldet, denn nach den Bundesgesetzen ist Marihuana nach wie vor illegal).

Stadt will sich finanziell sanieren

Ein Gegner der Produktionsfreigabe unkte, Oakland würde mit der Produktionserlaubnis zu einem „Silicon Valley of Canabis". Die Befürworter der Anbau-Freigabe hingegen führen, neben bereits genannten Gründen, schlicht finanzielle Argumente ins Feld: es würden Arbeitsplätze geschaffen und die Firmen künftig eine Menge Steuern zahlen. ABC-News nennt unter anderem eine Firma namens iGrow, die bereits Interesse bekundet habe, und zitiert einen Sprecher einer Firma namens Agramed, der die Stadtväter mit knapp 400 Jobs und 1,5 Millionen Dollar an zu erwartenden Gewerbesteuereinnahmen locke. Er wolle 26 Kilogramm Marihuana täglich herstellen, kündigte er weiter an, und zudem Gebüren zahlen, mit denen der Unterhalt für ein städtisches Aufsichtsamt bestitten würde.

 

Die Stadt Oakland ist, wie auch der Staat Kalifornien, faktisch pleite. Die Stadt sei mit „severe budget deficits" konfrontiert und habe beispielsweise, so ABC-News, unlängst „80 police officer positions" abgebaut.  

Den Bundesbehörden ist das alles wurstegal

Ärger mit den Bundesbehörden in Washington ist vorprogrammiert. Die Verantwortlichen bei der amerikanischen Drogenbekämpfungsbehörde DEA kümmern sich selten um regionale Spezialfälle und -regelungen; sie pochen aufs Bundesgesetz und in dem steht: Der Besitz von Marihuana ist illegal. Dabei ist es den Fahndern bisher ziemlich egal, ob die betreffende Person eine Ausnahmegenehmigung vom Hausarzt oder vom örtlichen Sheriff besitzt: der Besitzer/Anbauer wird verhaftet und alles, was auch nur ansatzweise THC-haltig ist, plattgemacht.

Auch in Kalifornien ist das bisher so. Im November allerdings wird über die Legalisierung von Marihuana (und zwar nicht nur für medizinische Zwecke) im Staate Arnold Schwarzeneggers abgestimmt.

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 04.03.2013