Editorial

Wissenschaftszeitvertragsgesetz: Interview mit Gewerkschafter Andreas Keller

Wer in der Wissenschaft beschäftigt ist, hangelt sich fast immer von Zeitvertrag zu Zeitvertrag. Grundlage für die weitreichenden Befristungsmöglichkeiten im Wissenschaftsbetrieb ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das 2007 verabschiedet wurde und mit Inkrafttreten entsprechende Regelungen des Hochschulrahmengesetzes abgelöst hat.  

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(14. März 2011) Andreas Keller ist Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Er engagiert sich für eine Verbesserung der Befristungsregelungen in der Wissenschaft zu Gunsten der Arbeitnehmer und sieht seine Bedenken durch die kürzlich abgeschlossene Evaluation des Wissenschaftszeitvertraggesetzes bestätigt.

 

Laborjournal: Herr Keller, was hat es mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz auf sich?


Andreas Keller: Im Wissenschaftszeitvertragsgesetz werden die Voraussetzungen geregelt, unter denen in der Wissenschaft Zeitverträge abgeschlossen werden können. Das ist eine Art Sonderarbeitsrecht, das nur für die Wissenschaft gilt. Die Hochschulen haben sehr weitreichende Möglichkeiten, auf dieser Basis Zeitverträge abzuschließen, nämlich jeweils sechs Jahre vor und nach der Promotion, in der Medizin sogar neun Jahre. Darüber hinaus darf immer dann befristet werden, wenn Projekte überwiegend drittmittelfinanziert sind.

 

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat das Wissenschaftszeitvertragsgesetz evaluieren lassen, jetzt liegen die Ergebnisse vor. Können Sie die Resultate zusammenfassen?

 

Andreas Keller: Die Evaluation enthält einige interessante Neuigkeiten. Der hohe Anteil der befristet Beschäftigten, den der Bericht mit 83 Prozent angibt, war uns bereits bekannt. Das heißt, nur eine Minderheit sitzt auf unbefristeten Stellen. Völlig neu war uns, dass die Mehrheit der befristet Beschäftigten sowohl an Hochschulen als auch an Forschungseinrichtungen Verträge mit einer Laufzeit von unter einem Jahr hat. Das hat mich schockiert.

 

Es wird aber doch überall befristet. Warum soll es den Wissenschaftlern da besser gehen?

 

Andreas Keller: Es ist in der Tat so, dass Zeitverträge überall auf dem Vormarsch sind. In der Hochschule aber hat sich das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt. Im öffentlichen Dienst dominiert außerhalb der Hochschulen immer noch das unbefristete Beschäftigungsverhältnis. Dort gilt das Teilzeit- und Befristungsgesetz, dessen Möglichkeiten sehr viel eingeschränkter sind und dadurch eine Befristung in der Regel auf maximal zwei Jahre begrenzt ist.

 

Wissenschaftler sind aber auch in einer besonderen Lage, da Projekte häufig zeitlich und finanziell begrenzt sind. Es gibt an Universitäten Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz gerade durch zu sehr eingeschränkte Befristungsmöglichkeiten gefährdet sehen.

 

Andreas Keller: Ich kann das nachvollziehen, weil das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ja eigentlich mal darauf abzielte, dass der Arbeitnehmer nach zwölf Jahren in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis übernommen wird. Das machen die Hochschulen so gut wie gar nicht, somit wirkt das Gesetz wie ein Beschäftigungsverbot nach zwölf Jahren. Ich beobachte aber auch den Wunsch nach mehr Sicherheit, zumindest nach der Postdoc-Phase. Nur so kann ich mir erklären, dass unser Templiner Manifest, in dem wir ja auch mehr Dauerstellen fordern, einen so großen Zuspruch findet – mittlerweile haben wir mehr als 6.000 Unterzeichner. Es geht nicht darum, dass man nur noch Dauerstellen in der Wissenschaft hat, aber es ist völlig klar, dass dieses Verhältnis von 83 zu 17 Prozent eine Schieflage darstellt und wir mehr unbefristete Stellen brauchen. Wir brauchen aber auch Mindeststandards für die Zeitvertragsstellen, die es weiterhin geben wird.

 

Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern?

 

Andreas Keller: Wir haben festgestellt, dass die Hochschulen und Forschungseinrichtungen nicht verantwortungsvoll mit diesem Gesetz umgehen. Das sieht man an dem hohen Befristungsgrad, aber auch an den sehr kurzen Laufzeiten. Die GEW fordert, die Tarifsperre aus dem Gesetz zu streichen. Diese Vorschrift verbietet den Gewerkschaften und den Arbeitgebern, Regelungen auszuhandeln, die zum Beispiel eine Mindestlaufzeit von zwei Jahren für Zeitverträge festlegen würden. Es muss zu einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten kommen, aber im Moment wird alles einseitig vom Staat vorgegeben. Die Hochschulen dürfen machen, was sie wollen. Das hat zu diesen Missständen geführt, unter denen die Beschäftigten leiden.

 

Haben Sie Tipps für Arbeitnehmer, die sich durch ihre befristeten Arbeitsverträge im Nachteil sehen?

 

Andreas Keller: Man sollte individuell prüfen, ob die Befristung des Arbeitsvertrags rechtens ist. Von den Hochschulen werden da viele Fehler gemacht. Als GEW-Mitglied kann man sich von seinem Landesverband beraten lassen und hat im Zweifelsfall auch Anspruch auf Rechtsschutz. Darüber hinaus sollte man an den Rahmenbedingungen etwas ändern – und man kann sich am Templiner Manifest beteiligen: Auf dieser Plattform versuchen wir, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu versammeln, um die Reform der Karrierewege voranzubringen.

 

Interview: Mario Rembold

Bilder: iStock/CrackerClips

            Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)

 

 Lesen Sie zusätzlich unseren Artikel zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz (LJ 6/2007) sowie ein Interview mit Kerstin Elbing (VBIO e.V.) und Matthias Jaroch, Pressesprecher des Deutschen Hochschulverbandes, drei Jahre nach der Einführung des neuen Gesetzes (LJ 6/2010).



Letzte Änderungen: 04.03.2013