Editorial

Beten für den Review Prozess

von Siegfried Bär

Mein Großvater war Gesundbeter. Feierabendgesundbeter. Tagsüber hobelte er Kirschbaumbretter für Kuchikänschterli zu, abends schwang er sich auf sein NSU Quickly und remm demm demm ging es durch Harmersbachtal zum Fischbur, der mit Lungenkrebs im Bett lag, oder zur Ladhofbüri, die an schwerem Asthma litt. Er hat mich nie mitgenommen, ich kann also nicht sagen, welche Bet- und Bittmethode er angewendet hat und welche Wirkung die hatte. Mein Großvater genoß aber im mittleren Schwarzwald einen bescheidenen Ruhm, sogar in dem einen oder anderen Heimatbuch taucht er auf.

Dennoch habe ich nie viel von meines Großvaters Heilmethoden gehalten, um ehrlich zu sein, ich hielt das bis vorgestern sogar für ausgemachten Humbug. Bis Vorgestern eben. Da las ich im Netz einen Artikel von Bruce Flamm. Der berichtet von einer wunderbaren Studie, die an der Columbia University durchgeführt worden war. Kwang Cha, Rogerio Lobo und ein gewisser Daniel Wirth hätten in einer sorgfältig angelegten Studie nachgewiesen, dass Beten die Erfolgsrate der In Vitro Fertilisation um 100% steigert. Nicht Beten am Krankenbett, wie es mein Großvater praktizierte, sondern Beten über den Fotos der Frauen hunderte von Meilen entfernt. Das ist innovativ! Mein Großvater hätte sich so das Benzin für das Quickly sparen können und im Winter die steilen verschneiten Wege zu den Höfen.

Es ist daher berechtigt, dass die Erkenntnisse von Cha et al. nicht in zweifelhaften Heimatromanen erschienen, sondern im renommierten Journal of Reproductive Medicine. Rogerio Lobo, der Seniorautor der Studie, ist auch der Vorsitzender der Abteilung für Gynäkologie der Columbia Universität. Fast noch wunderbarer als die Ergebnisse ist die Bescheidenheit, mit der die Autoren damit umgehen. Herr Cha hat die Columbia Universität verlassen und beantwortet weder Briefe noch Telefonanrufe. Herr Lobo wiederum, obwohl Seniorautor, beteuert ganz unprofessoral, dass er mit der Studie eigentlich nichts am Hut gehabt habe und nur bei der Abfassung behilflich gewesen sei. Und Daniel Wirth? Der scheint auf dem besten Wege zu sein, ein Märtyrer zu werden. Er wurde wegen einem guten dutzend Betrugsstraftaten angeklagt in denen es um mehrere Millionen $ ging. Millionen Dollar! Das ist ein Format! Mein Großvater hat seine Wunder für ein bißchen Speck und ein Gläschen Chriesewasser vollbracht.

Wunder haben viel mit Geheimnis zu tun. So auch hier. Ein Geheimnis bleibt es vorläufig, wie die Cha et al Studie den Peer Review Prozess des Journal of Reproductive Medicine passieren konnte. Die Editoren des Journals schweigen dazu. Doch gibt es vielleicht eine einfache Erklärung: Viele Forscher haben bei vielen Journalen den Eindruck, dass die Referees ihre Paper überhaupt nicht lesen und die Bekanntschaft mit dem Editor der Publikation ungemein förderlich ist - wobei sie der oft auch nicht liest.

Hier könnte eine Abwandlung der Methode von Cha et al segensreich wirken: Man lässt die Referees in Zukunft nur ein Gebet über das Manuskript sprechen, sie müssten dazu nicht einmal den Umschlag öffnen. Das Manuskript geht dann am gleichen Tag - so ein Gebet ist ja ruckzuck runtergeleiert - an den Editor zurück, der spritzt Weihwasser darüber und liest aus den Flecken die Qualität ab. Sicher wird dazu bald ein Studie erscheinen, vielleicht sogar von Herrn Wirth, denn der wird im September zu einigen Jahren Gefängnis verurteilt werden und hat daher Zeit. Das würde den Peer Review der Journale revolutionieren! Und die Qualität des Review Prozesses? Die würde zumindest nicht schlechter. Da bin ich mir ziemlich sicher.



Letzte Änderungen: 24.06.2004