Editorial

Vielfältigkeit und Realitätstreue

"Bedeutende Forschung wird nur an Universitätskliniken gemacht"? – Stimmt nicht! Forschung und Lehre an akademischen Lehrkrankenhäusern, also Krankenhäusern, die nicht an die Medizinische Fakultät einer Universität angegliedert sind, werden nur häufig übersehen.

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(3. Oktober 2011) Für Medizinstudenten steht im letzten Teil ihres Studiums das Praktische Jahr, kurz PJ, an. In dieser Zeit sammeln sie praktische Erfahrung, meist in einem Universitätsklinikum, häufig aber auch in einem akademischen Lehrkrankenhaus außerhalb der Uni. Thomas Schläpfer ist Prodekan für Studium und Lehre an der medizinischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Wir befragten ihn zur Bedeutung der akademischen Lehrkrankenhäuser.

 

Laborjournal: Was ist das Besondere an einem akademischen Lehrkrankenhaus im Vergleich zu einer Universitätsklinik?

 

Thomas Schläpfer: Medizinstudentinnen und -studenten in Lehrkrankenhäusern lernen, wie Medizin in der Versorgung wirklich gemacht wird. An Universitätskliniken sieht man häufig ein selektioniertes Patientengut, an Lehrkrankhäusern begegnet man eher den alltäglichen Patienten. Wir als Universität bieten unseren Studierenden durch die Zusammenarbeit mit Lehrkrankenhäusern also eine vielfältigere und realitätsgetreuere Lehrsituation.

 

Welches Interesse hat ein Krankenhaus, sich zusätzlich zur Patientenversorgung auch noch um Studenten zu kümmern?

 

Thomas Schläpfer: Für die Lehrkrankenhäuser besteht das Interesse ganz klar darin, junge Kandidaten für Assistenzarztstellen zu bekommen. Derzeit haben viele Kliniken Schwierigkeiten, genügend Nachwuchs zu finden, daher ist das Interesse groß. Ein anderer Grund ist vermutlich auch der Imagegewinn, wenn man sich beispielsweise „Lehrkrankenhaus der Universität Bonn“ nennen kann.

 

Die Kliniken bekommen also keine finanzielle Vergütung für ihre Lehraufgabe?

 

Thomas Schläpfer: Einige Universitäten bezahlen etwas für diese Ausbildung, ich kann mir aber nicht vorstellen, dass diese Bezahlung einen wirklich großen Beweggrund darstellt. Wir bezahlen nichts an die Lehrkrankenhäuser. Trotzdem gibt ein großes Interesse seitens der Kliniken, die gerne bei uns mitmachen würden.

 

Besteht nicht die Gefahr, dass die Patientenversorgung leidet, wenn ein Krankenhaus neben dem normalen Betrieb Lehraufgaben übernimmt?

 

Thomas Schläpfer: Im Gegenteil: ich glaube, dass sich die Qualität der Versorgung eher verbessert. Es besteht ein enger Kontakt zur Universität, die Lehrkrankenhäuser werden von uns begangen und müssen überprüfbare Voraussetzungen erfüllen.

 

Als da wären?

 

Thomas Schläpfer: Ein Lehrkrankenhaus muss einen breiten Fächerkanon anbieten, damit es überhaupt vom Landesprüfungsamt anerkannt wird. Nicht nur interne Medizin und Chirurgie, sondern auch Radiologie, Gynäkologie und Anästhesiologie. Darüber hinaus fordern wir als Universität Bonn, dass der verantwortliche Leiter der Abteilung habilitiert ist und möglichst auch eine Verbindung zu unserer Uni besteht. Die räumliche Distanz zu Bonn sollte nicht zu groß sein, um Studierenden den Besuch von Lehrveranstaltungen möglich zu machen. Es muss den PJ-Studenten ein Entgelt von mindestens und zugleich höchstens 400 Euro geboten werden. Unter dem Gesichtspunkt der Wertschätzung und des Respekts finde ich es nämlich wichtig, dass man den Studenten etwas zahlt, aber es soll auch keine Verzerrung des Marktes stattfinden, indem einzelne Krankenhäuser besonders hohe Vergütungen anbieten und die Qualität der Lehre in den Hintergrund rückt. Damit haben wir gleichlange Lanzen geschaffen.

 

Wie bedeutend sind die Lehrkrankenhäuser für Ihre Uni?

 

Thomas Schläpfer: Bei uns geht etwa ein Drittel der Medizinstudenten an Lehrkrankenhäuser, die anderen bleiben bei uns am Universitätsklinikum. Diesen Anteil möchten wir noch ausbauen, denn wir sind natürlich auch interessiert an Ausbildungskandidaten und haben letztlich die gleichen Interessen wie die Lehrkrankenhäuser. Daher sind wir motiviert, die Liste der Lehrkrankenhäuser nicht ins Unendliche wachsen zu lassen.

 

 

Interview: Mario Rembold

Bilder: chriskuddl ZWEISAM/ photocase.com

            Thomas Schläpfer



Letzte Änderungen: 04.03.2013