Editorial

Das größte Bakteriengenom

Neuer Eintrag in Bakterien und Archaeen-Enzyklopädie GEBA

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Ktedonobacter racemifer

(12. Januar 2012) Bis alle (virtuellen) Seiten der Genome Encyclopedia of Bacteria and Archaea Genomes (GEBA) gefüllt sein werden, müssen Forscher noch viele Genome sequenzieren – denn bisher ist erst ein Prozent aller Mikrobengenome entschlüsselt. Braunschweiger Forscher von der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) und dem Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung (HZI) haben kürzlich mit internationalen Kollegen einen neuen Eintrag für die Enzyklopädie geschaffen: Ktedonobacter racemifer hat das bisher größte bekannte Prokaryotengenom.

13,7 Megabasenpaare (Mbp) trägt K. racemifer mit sich herum. Zum Vergleich: das Genom von E. coli ist gerade einmal 4,7 Mbp groß. E. coli allerdings muss weder Sporen noch Myzel ausbilden, wie es das Bodenbakterium K. racemifer tut. „Im Schnitt sind dafür größere Genome erforderlich als bei einfacheren Organismen“, merkt Markus Göker, Bioinformatiker an der DSMZ und Mitautor der Studie, zur Lebensweise von K. racemifer an. „Beispielsweise finden sich auch bei den Myxobakterien mit ihrem noch komplexeren Lebenszyklus sehr große Genome.“ Allerdings sind die Genome von Myxobakterien im Schnitt „nur“ 9 bis 12 Mbp groß.

Doch K. racemifer ist für die Forscher nicht allein wegen der Größe des Genoms interessant. Aufgrund seiner Stellung im Stammbaum ist er einer der zehn wichtigsten Organismen für die Aufklärung der Verwandtschaftsverhältnisse unter den Bakterien. Seine Linie zweigt weit unten in der Entwicklung der Bakterien ab. Die meisten sequenzierten und gut untersuchten Bakterien – häufig Pathogene oder andere beliebte Laborbakterien – zweigen viel höher ab und verraten deshalb wenig über „dunkle Flecken“ im Stammbaum. K. racemifer ist der erste kultivierte Vertreter in seiner Gruppe; zusammen mit den Grünen Nichtschwefelbakterien zählt die Gattung Ktedonobacter zum Phylum der Chloroflexi. Dieses enthält zwar nur wenige bekannte Arten, die weisen dafür aber eine große genetische Vielfalt auf. „Die GEBA-Pilotstudie hatte gezeigt, dass unter anderem mehr neue Genfamilien gefunden werden, wenn gezielt Genome sequenziert werden, die sich an Positionen im Stammbaum des Lebens befinden, in deren Nähe bislang wenig oder keine Organismen mit sequenzierten Genomen zu finden sind“, so Markus Göker. Die Chancen stehen also nicht schlecht neue Proteinfamilien zu finden.

Insgesamt zählten die Wissenschaftler im Genom von K. racemifer 11.540 Gene (Yun-juan Chang et al., Stand Genomic Sci 2011,5(1):97-111). Davon hatten 9.539 keine bekannten Homologen in den zwei zum Vergleich herangezogenen Organismen S. thermophilus und T. Roseum. Kein Wunder, denn diese beiden Arten haben jeweils nur um die 3.000 Gene. Doch waren sie die beiden nächsten Verwandten, deren Genome sequenziert und öffentlich zugänglich waren. Identifizieren konnten die Forscher im Genom von K. racemifer bisher zum Beispiel Gene für Xylose-Isomerasen, ein Hinweis darauf, dass das Bodenbakterium Pentosen verwertet, und einige Gene für potentielle Antibiotika-Resistenzen. Überraschenderweise enthielt das Genom etliche „springende Gene“ – Transposons. Aufgrund dieser mobilen Elemente liegen ungewöhnlich viele identische Sequenzstücke im gesamten Genom verstreut. Weil sich davon einige wenige nicht eindeutig zuordnen ließen, konnte die Assemblierung des Genoms nicht ganz abgeschlossen werden. „Gerade im Vergleich zu den nächstverwandten genomsequenzierten Organismen ist die Größe und die Redundanz im Genom von K. racemifer frappierend“, so Markus Göker.

Für die weitere Forschung an K. racemifer wurde der hier sequenzierte Typenstamm SOSP1-21 bei der DSMZ hinterlegt. Die Bodenprobe, aus der er isoliert wurde, stammt aus einem Robinienwald in Norditalien. Dass nun eine Referenz-Kultur dieses Stammes bei der DSMZ liegt, ist besonders wichtig: „Leider sind viel zu oft Genome von nicht in Sammlungen hinterlegten Stämmen verwendet worden, was es langfristig unmöglich macht die Genomdaten mit experimentellen Daten in Verbindung zu bringen“, betont Markus Göker. Der Eintrag in die GEBA-Enzyklopädie – in Zusammenarbeit mit dem kalifornischen DOE Joint Genome Institute (JGI) – ergänzt die Katalogisierung noch. Denn nur mit möglichst vielen öffentlich zugänglichen Sequenzinformationen können in Zukunft die Lücken im Stammbaum der Bacteria geschlossen werden.


Valérie Labonté
Bild: Manfred Rohde, HZI



Letzte Änderungen: 01.02.2012
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