Editorial

Arsen und spitze Thesen

Doch keine kalifornischen Alien-Bakterien

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(26. Juli 2012) Im Dezember 2010 verkündeten NASA-Forscher, dass sie im kalifornischen Mono Lake ein Bakterium gefunden hätten, das Arsen statt Phosphor in seine DNA einbauen könnte (Science 2011, 332(6034):1163-6). Damals ließ die wissenschaftliche Gemeinschaft kein gutes Haar an dem Paper über die „Alien-Bakterien“. Laborjournal sprach mit dem Mikrobiologen Tobias Erb von der ETH Zürich, der sich mit seinen Kollegen die Arsen-Bakterien noch einmal genau ansah.

Laborjournal: Jetzt sind zeitgleich zwei Paper in Science erschienen, die zeigen, dass der Halomonas-Stamm GFAJ-1 doch nur ganz irdische Eigenschaften hat und Phosphat in seine DNA einbaut. Was lief damals bei der NASA-Forschergruppe schief?

Tobias Erb: Ich glaube, dass die Schlüsse, die in dem NASA-Paper gezogen wurden, zu frühzeitig und zu weitreichend waren. Es ist eine Sache zu sagen, dass GFAJ-1 in Gegenwart extrem hoher Arsenat-Konzentrationen leben kann, eine andere Sache ist zu sagen, dass er davon lebt, dass er Arsen in die DNA einbaut. Wenn man solch eine außergewöhnliche Behauptung aufstellt, braucht man außergewöhnlich gute Beweise. Die haben aber gefehlt. Viele Daten der Originalpublikation stimmen allerdings. Zum Beispiel ist wirklich wahr, dass GFAJ-1 extrem hohe Arsen-Konzentrationen toleriert, und es gibt Daten, die eindeutig zeigen, dass der Organismus Organoarsen-Verbindungen akkumuliert. Die Frage aber, wie diese Organoarsen-Verbindungen entstehen, wie sie in das Bakterium gelangen und welche biologische Relevanz sie haben, wurde damals nicht genau angeschaut. Die Schlüsse waren zu voreilig. Man hat zu viel in die erhobenen Daten interpretiert und einige entscheidende Daten haben gefehlt. Man kann sich natürlich fragen, ob die Reviewer besser hätten darauf achten können? Aber das ist schwer zu beurteilen, ohne die Kommentare der Reviewer zu kennen.

Gerade, wenn man eine Grundannahme der Biochemie in Frage stellt, sollte man doch bei der Interpretation ein bisschen aufpassen, zumindest der Senior-Autor oder eben die Reviewer?

Tobias Erb: Ja, das ist richtig. Ich glaube, wirklich verhängnisvoll an dieser Geschichte war, dass sie vorher relativ unbekannt war. Es fehlte ein wichtiger Teil des Review-Prozesses. Peer-Review fängt für mich nicht nur auf der Ebene des Papers an, sondern damit, dass man innerhalb des Labors offen diskutiert, gerade auch während des Labormeetings. Die kritischsten Fragen sind und sollten die innerhalb des eigenen Labors sein. Dann schließt sich der nächste Level des Peer-Reviews an: man geht raus und diskutiert mit Kollegen, die man gut kennt, geht auf Konferenzen, spricht dort mit anderen Wissenschaftlern und holt sich Feedback. Erst, wenn man dieses Feedback verarbeitet hat, reicht man, nach meinem Verständnis, den Artikel ein. Wenn eine solche Diskussion damals schon vorher stattgefunden hätte, bin ich mir sicher, wäre der Artikel nicht so erschienen. Weil die Autoren gesehen haben, dass die vermeintlichen Schlussfolgerungen sehr außergewöhnlich sind, haben sie die Geschichte unter Verschluss gehalten und dann direkt zu Science gegeben. Dazu kommt, dass dieses Manuskript sehr viele unterschiedliche Daten und Methoden enthält. Das erfordert verschiedene Fachgebiete, die miteinander arbeiten müssen.

… zum Beispiel? …

Tobias Erb: Ich vertraue den Messungen absolut, was zum Beispiel die Quantifizierung von Phosphat im Medium angeht oder den Nachweis von Organoarsen-Verbindungen im Bakterium. Die Frage ist nur: Wer ist in der Lage die Daten zu interpretieren? Fragt man einen Chemiker, sagt der 'Viele Organoarsen-Verbindungen sind einfach nicht stabil, Punkt. Es gibt so viel Literatur über unstabile Arsenat-Ester in wässriger Lösung, das kann nicht funktionieren'. Fragt man einen Geochemiker, sagt der 'Arsen kann Phosphat in Mineralien ersetzen, kein Problem'. Der Chemiker hat ein anderes Verständnis über Organoarsen-Verbindungen als ein Geochemiker über Arsenophosphat-Mischkristalle. Je nachdem, wer den Reviewprozess begleitet, für den sind manche Sachen logische Schlussfolgerungen, die für einen anderen nicht so sind. Aber ich glaube, dass die Scientific Community ab und zu so ein Paper braucht, damit man sich wieder darauf besinnt, was guter Review bedeutet, was es heißt ein gutes Paper zu schreiben. Es sind ja relativ wenige Paper, die erscheinen und dann wieder so zurückgepfiffen werden. Das zeigt auch, dass das System eigentlich ganz gut funktioniert: In relativ kurzer Zeit sind jetzt zwei Paper rausgekommen, die mehr Daten liefern (Erb et al., Science 2012, epub ahead of print, und Reaves et al., Science 2012, epub ahead of print).

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die „Arsen-Bakterien“ zu untersuchen?

Tobias Erb: Julia Vorholt und ich interessieren uns beide für mikrobielle Stoffwechsel-Wege und neue Biochemie. Für uns war klar, dass wir uns diesen Organismus auf jeden Fall anschauen. Selbst wenn kein Arsen in die DNA eingebaut wird, hätte es ja trotzdem sein können, dass es einen spannenden Detoxifizierungs-Stoffwechsel gibt. Dass jetzt rauskam, dass es wirklich keinen biologisch relevanten Organoarsen-Stoffwechsel in dem Bakterium gibt, ist natürlich in gewisser Weise enttäuschend, andererseits auch wieder gut bezüglich unseres chemischen Verständnisses von Leben. Wir müssen auch erwähnen, dass der Letztautor der Originalpublikation, Ron Oremland, uns den Bakterienstamm geschickt hat und uns eingeladen hat die Ergebnisse zu überprüfen. Die Kommunikation mit ihm war sehr offen, nett und ehrlich. Wir sind das Projekt relativ neutral angegangen, obwohl es für mich sehr fraglich war, dass das Phosphat in Biomolekülen komplett ersetzt werden kann. Wir wollten auch nichts „widerlegen“, solch konzeptionelle Herangehensweisen können extrem einschränken. Wenn man sich zum Beispiel die NASA-Pressekonferenz anschaut ist wirklich spannend zu sehen, wie die Erstautorin Felisa Wolfe-Simon mit einer extremen Überzeugung sagt Phosphat und Arsenat seien so ähnlich, da müsse es sicher auch Organismen geben, die mit Arsenat anstatt Phosphat leben können. Solch eine Haltung kann die Datenauswertung extrem beeinflussen. Wie gesagt, greifen wir auch wirklich nicht die Daten der Erstpublikation per se an, sondern nur deren Interpretation. Wir können jetzt sagen: es stimmt, ihr habt Organoarsen-Verbindungen in der Zelle, aber die sind da, weil sie abiotisch gebildet werden, weil die also automatisch im Wachstumsmedium sind. Eure Daten stimmen, aber sie sind halt leider nicht biologisch relevant!


Interview: Valérie Labonté
Bild: privat



Letzte Änderungen: 14.08.2012
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