Editorial

"Transparenz ist unerlässlich"

Ein Gespräch mit Stefan Treue, Deutsches Primatenzentrum (DPZ) Göttingen, über die geplante Novellierung des Tierschutzgesetzes.

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(18. September 2012Der Göttinger Neurowissenschaftler Stefan Treue stemmt sich gegen ein kategorisches Verbot von Tierversuchen. Er sieht das Problem eher in fehlender Aufklärung als in rücksichtslosem Tierverbrauch.

 

 

Tierversuche. Allein das Wort beschwört grauenerregende Bilder herauf, von denen man immer hofft, dass sie der Vergangenheit angehören. Kaninchen, deren Augenlider mit Zangen fixiert werden, um den Augapfel für Testsubstanzen offen zu halten. Oder Menschenaffen, die in zahllosen Versuchslaboren der Welt gequält und ermordet werden.

 

Nur ein kleiner Teil der Öffentlichkeit – Gegner wie Befürworter von Tierversuchen – weiß jedoch, was heute wirklich noch an Tierversuchen durchgeführt oder unter länderspezifischen Auflagen erlaubt ist. In Europa etwa werden Tierversuche an Menschenaffen bereits seit den 1990er Jahren nicht mehr durchgeführt, weshalb man diesen Passus nun in die Neufassung des europäischen Tierschutzgesetzes (TierSchG) aufnehmen möchte.

 

In Europa und vor allem in Deutschland gelten mehr oder weniger strenge Tierschutzgesetze, die dafür sorgen sollen, dass „kein Tier dieser Welt ohne Grund leiden muss“ – weder in Tierversuchen noch in der Zucht. Doch gerade in Massentierhaltung oder Zuchtbetrieben leiden womöglich um ein Vielfaches mehr Tiere als in allen Tierversuchen zusammen. Und hierbei wird keinesfalls gegen gültige TierSchG verstoßen. Aktuelle Beispiele sind die Ferkelkastrationen in der Ebermast ohne Betäubung, der Schenkelbrand bei Rennpferden oder die Schnabelkürzung bei Hähnchen.

 

Was erforscht man in Deutschland mit Hilfe von Versuchstieren, wo setzt man Tiere, vor allem Affen, zu wissenschaftlichen Zwecken ein? Und wie steht es um Alternativmethoden zu Tierversuchen? Die Öffentlichkeit erfährt darüber meist zu wenig, um sich eine differenzierte Meinung bilden zu können. Genau das kritisiert der Direktor des Deutschen Primatenzentrums (DPZ), Leibniz-Institut für Primatenforschung, in Göttingen, Stefan Treue. Im Leibniz-Journal 1/2012 fordert er: „Transparenz zu Tierversuchen ist politisch und ethisch unerlässlich.“

 

Treue und seine Mitarbeiter am DPZ beschäftigen sich mit den neuronalen Grundlagen der Informationsverarbeitung. Hierzu zählt etwa die Aufmerksamkeit – „ein Prozess, um unsere Sinnesinformationen zu filtern, zu verändern oder zu verstärken“, beschreibt Treue. Viele neuropsychiatrische oder neurologische Erkrankungen, wie ADHS – das „Zappelphilipp-Syndrom“ –, führen zu Veränderungen in der Aufmerksamkeit.

 

Für seine Forschung ist Treue auf die Zusammenarbeit mit nicht-menschlichen Primaten angewiesen, die im DPZ leben und auch für Forschungsgruppen in ganz Deutschland gezüchtet werden. Rund 1.500 Tiere beherbergt das DPZ, darunter Paviane, Lemuren, Krallen- und Rhesusaffen. 40 bis 80 Tiere werden jährlich an wissenschaftliche Institute geliefert.

 

Laborjournal sprach mit Treue über seine Forschungsarbeit und seine Haltung zu Tierversuchen sowie über mögliche Alternativen.

 

 

Laborjournal: Herr Treue, Sie führen Ihre Aufmerksamkeitstests an nicht-menschlichen Primaten durch. Könnte man für diese Tests nicht genauso gut Ratten nehmen?


Stefan Treue: Bei der Aufmerksamkeit geht es uns wesentlich darum, menschliche Prozesse zu verstehen. Und dann brauchen Sie einen Organismus, der in seiner Leistungsfähigkeit und in seiner Physiologie/Anatomie vergleichbar der des Menschen ist. Kein Rhesusaffe ist ein Mensch und man muss daher natürlich Abstriche in der Übertragbarkeit der Ergebnisse machen. Aber die sind geringer als wenn Sie die Versuche zum Beispiel mit einer Maus durchführen würden, deren Gehirnstruktur der des Menschen weniger ähnlich ist als beispielsweise diejenige des Rhesusaffen. Wie bei allen Forschungsmethoden kommt es letztendlich auf die Mischung an, weshalb viele Tierversuche gar nicht an Primaten durchgeführt werden, sondern an, wie man es gesetzlich nennt, „sinnesphysiologisch einfacheren Arten“ wie Drosophila.

 

 

„Keiner meiner Mitarbeiter würde diese Versuche durchführen,

wenn die Tiere schmerzgequält gezwungen würden, irgendwelche Sachen zu machen.“

 

 

Betrachtet man die vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) jährlich veröffentlichten Statistiken über die Anzahl der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Wirbeltiere, so fällt auf, dass sich deren Gesamtanzahl seit 2000 nahezu verdoppelt hat. Hat die Umsetzung des „3R-Prinzips“ – Replacement, Reduction, Refinement – zur Vermeidung, Verminderung und Verbesserung der Tierverwendung zu wissenschaftlichen Zwecken überhaupt gegriffen?


Stefan Treue: Sie müssen bei der Betrachtung dieser Zahlen und der dazugehörigen Texte sehr sorgfältig formulieren. Die Tabellen führen alle Tiere auf, die für wissenschaftliche Zwecke genutzt werden. Das sind also nicht nur Tierversuche. Denn ein Tierversuch involviert potenzielles Leiden der Tiere, wie es auch die Definition eines Tierversuchs ist. Untersuchen Sie beispielsweise eine Krebserkrankung bei einer Maus, ist das ein Tierversuch.

 

Die Tabellen beinhalten also auch Zahlen, hinter denen keine Tierversuche stehen?


Stefan Treue: Wenn wir über Alternativmethoden in der Tierversuchsforschung reden, geht es oft darum, etwas an Zellkulturen statt an lebenden Tieren zu untersuchen. Die Entnahme dieser Zellen erfordert Eingriffe oder die Tötung von Tieren. Diese Tiere erscheinen in den Tabellen, obwohl es sich eigentlich um eine Alternativmethode handelt. Was die Tierversuchszahlen betrifft, so ist ein dramatischer Trend kaum zu verzeichnen. Ein deutlicher Trend ist aber die Zunahme der Forschung an und mit transgenen Tieren, vor allem Mäusen. An diesen gentechnisch manipulierten Tieren kann man bestimmte Krankheiten „simulieren“. Bei nicht-humanen Primaten sind die Versuchstierzahlen langfristig betrachtet stabil. Da diese Tiere nur dann in Tierversuchen eingesetzt werden, wenn es keine Alternativen gibt, machen sie nur 0,1 Prozent der Versuchstiere aus [laut BMELV kamen im Jahr 2011 etwa 2.000 Primaten auf insgesamt 2,9 Mio. Versuchstiere].

 

Auf den Internetseiten des DPZ gibt es ein Video, welches zeigt, wie Sie an Ihren Versuchstieren die Ereignisse im Gehirn hör- und sichtbar messen. Wie schaffen Sie es, die Tiere dabei nicht unter Stress zu setzen, was die Ergebnisse verfälschen würde?


Stefan Treue: Ohne Training geht gar nichts. Das nennt sich in der Fachwelt Positive Reinforcement Training – positives Verstärkungstraining. Genauso wie wenn Sie Ihren Hund dazu bringen wollen, bei einem Pfiff zu Ihnen zu kommen oder auf einen Befehl hin sitzen zu bleiben und nicht etwa wegzulaufen. Es ist immer das selbe Trainingsprinzip – man belohnt das Tier für das richtige Verhalten, positive Verstärkung eben.

 

Wenn Sie möchten, dass ein Rhesusaffe eine komplizierte Aufgabe an einem Computerbildschirm löst, müssen Sie ihn Schritt für Schritt an das Problem heranführen. Das Tier weiß ja gar nicht, was es machen soll, wenn es zum erstem Mal vor einem Computerbildschirm sitzt. Womöglich findet es die Situation sogar bedrohlich, so alleine mit einer großen Kiste vor sich.

Im Durchschnitt trainieren wir unsere Tiere ein Jahr lang. Wir führen es in den kleinstmöglichen Schritten an die Aufgabe heran und arbeiten ausschließlich mit positiver Verstärkung und ohne Bestrafung. Für uns hat das den Vorteil, dass man erstens den Tieren relativ komplizierte Aufgaben beibringen kann, und dass das Ganze weitgehend stressfrei funktioniert. Sie lassen das Tier sich einfach „verhalten“. Und wenn es das richtige Verhalten zeigt – was es letztendlich zufällig tut –, dann bekommt es eine Belohnung.

 

Aber konditionieren Sie die Tiere denn nicht eigentlich auf diese Aufgaben? Was wollen Sie messen?


Stefan Treue: Meine wissenschaftliche Frage ist nicht, ob Rhesusaffen komplizierte Aufgaben lösen können. Sondern wir möchten wissen, was im Gehirn bei der Informationsverarbeitung passiert, wenn das Tier eine solche Aufgabe durchführt. Wenn Sie beispielsweise wissen wollen, was im menschlichen Gehirn beim Autofahren passiert, dann müssen Sie natürlich dem Probanden erst einmal das Autofahren beibringen. Wir wollen wissen, wie der Autofahrer bei 180 Sachen auf der Autobahn reagiert, wenn vor ihm plötzlich jemand auf die Bremse tritt und er die beiden roten Lichter sieht. Wie wird diese Information umgesetzt?

 

Haben die Tiere auch mal Feierabend oder Wochenende, Sport und Auslauf – kurz, Zeit zum Regenerieren?


Stefan Treue: Sie müssen sich das vorstellen wie einen Halbtagsjob. Üblicherweise sitzt ein gut trainierter Rhesusaffe ein paar Stunden vor einem Computer, bis er keine Lust mehr hat. Dann kommt er wieder zurück in seine Gruppe, um für den Rest des Tages mit den anderen Tieren zusammen zu sein, um zu spielen, zu klettern oder in den Außenbereich zu gehen und frische Luft zu schnappen – das gehört alles dazu.

 

 

„Der politische Druck durch die Tierschutzverbände war so hoch,

dass die EU das Verbot von Versuchen an Menschenaffen in die neue Richtlinie aufgenommen hat.

Wissenschaftlich und ethisch betrachtet gibt es für ein kategorisches Verbot eigentlich keine überzeugenden Argumente.“


 

Wie kam es eigentlich dazu, dass die EU letztes Jahr die Menschenaffen explizit von Tierversuchen ausgeschlossen hat? Warum hat man hier eine kategorische gesetzliche Grenze gezogen?


Stefan Treue: Wissenschaftlich und ethisch betrachtet gibt es für ein kategorisches Verbot eigentlich keine überzeugenden Argumente. Vielmehr ist der bestehende ethische und rechtliche Ansatz, Tierversuche in den sinnesphysiologisch einfachsten Arten durchzuführen, in denen die wissenschaftliche Frage beantwortet werden kann, viel umfassender und sinnvoller, als Sondergesetze für einzelne Arten zu erlassen. Schon dieser lange etablierte Ansatz hat dazu geführt, dass in Europa auch ohne ein solches Verbot seit über zehn Jahren an Menschenaffen keine Versuche mehr durchgeführt wurden. Der politische Druck von Seiten der Tierschutzverbände war aber bei den Menschenaffen so hoch, dass die EU das Verbot von Versuchen an Menschenaffen in die neue Richtlinie aufgenommen hat. Ähnlich ist es bei Hunden und Katzen, die in der EU-Tierschutzrichtlinie eine Sonderstellung erhalten. Diese Arten sind Haustiere und wir fühlen uns ihnen als Mensch besonders eng verbunden. Das hat politisches Gewicht.

 

In der kürzlich erschienenen Ausgabe des Leibniz-Journals fordern Sie „mehr Transparenz bei Tierversuchen“. Was verstehen Sie darunter?


Stefan Treue: In der Öffentlichkeit präsentiert man Ihnen häufig nur eine Seite der Argumentation. Von aktiven Tierschutzverbänden auf Marktständen, in Zeitungsanzeigen oder in Pressemitteilungen. Das ist eine schwierige Situation, denn das, was dort dargestellt wird, entspricht oft nicht den Fakten oder es ist zumindest sehr einseitig. Wenn dem aber niemand widerspricht oder wenn man keine wissenschaftlichen Fakten präsentiert, die der Öffentlichkeit erklären, wo und in welchem Umfang Tierversuche in der biomedizinischen Forschung eine unersetzliche Rolle spielen, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, dass in der Öffentlichkeit Vorbehalte gegen Tierversuche existieren.

 

 

Interview: Daniela Knoll

Fotos: Dmitrij/Fotolia; Stefan Treue privat


(Der Artikel ist in der aktuellen Laborjournal-Ausgabe 9/2012 auf Seite 23 erschienen.)


 



Letzte Änderungen: 05.10.2012
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