Editorial

Gen-Geflüster

Jörn Petersen fand bei pinken Meeresbakterien eine besondere Form der "Kommunikation": über Plasmide.

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(11. Dezember 2012) Ozeane, Evolutionsforschung, Plasmide - und pinke Bakterien. Wie hübsch, denke ich, während ich am Eingang der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) im Braunschweiger Vorort Stöckheim auf Jörn Petersen warte. Abgesehen von ihrem trendigen Outfit gehören die rosafarbenen Mikroben aus der Familie der Rhodobacteraceae zu den erfolgreichsten nicht obligat phototrophen Prokaryonten in den Weltmeeren.

Was sie so erfolgreich macht, das wollen die Wissenschaftler des Roseobacter-Sonderforschungsbereichs/Transregio 51 ergründen, zu denen auch Petersens Arbeitsgruppe gehört.

Rosa, das neue Grün?

In seinem winzigen Büro am Ende eines langen Flures angekommen, das mit seinen weißen Wänden und einem kleinen Schreibtisch mit ganz viel Papierkram erstmal gar nicht nach Meeresforschung aussieht, stelle ich die Frage, die mir keine Ruhe lässt: Warum sind die Bakterien eigentlich rosa?

"Die rosa Farbe ist typisch für die Roseobacter-Gruppe und lässt sich durch die photosynthetische Pigmentierung erklären", sagt Petersen. Photosynthese mitten im tiefen Ozean, aha. Und das nicht in pflanzlichen Chloroplasten, sondern in Bakterien? Das ist tatsächlich viel weniger abwegig, als es zunächst klingen mag. Denn die Mitglieder der Gattung Roseobacter, die in ihrer Gesamtheit rund ein Viertel aller Organismen der Weltmeere ausmachen, sind fähig zur aeroben, anoxygenen Photosynthese. Damit haben sie sich einen photoheterotrophen Lebensstil angeeignet, der ihnen im nährstoffarmen Ozean einen waschechten überlebensvorteil verschaffte.

Die grundlegenden genetischen Informationen, die für die notwendigen photosynthetischen Stoffwechselwege - von der Herstellung eines Protonengradienten bis hin zur enzymatischen Produktion des Energieträgers Adenosintriphosphat (ATP) - codieren, sind innerhalb der prokaryotischen Zelle in sogenannten Photosynthetese-Genclustern (PGCs) gespeichert. Um ebendiese PGCs bzw. die übertragung und Vererbung der PGCs innerhalb der Roseobacter-Gattung dreht sich eines der Petersen-Projekte.

Auf den Spuren der Evolution

Gemeinsam mit dem Evolutionsbiologen und Spezialisten für Stammbaumanalysen Henner Brinkmann, University Montreal, sequenzierten die Braunschweiger die drei Plasmide des Meeresbakteriums Sulfitobacter guttiformis - das ebenfalls zu den rosanen gehört - und analysierten die PGCs auf den Plasmiden von S. guttiformis und Roseobacter litoralis. Anschließende phylogenetische Analysen ließen Petersen vermuten, dass Roseobacter auf ganz eigene Art kommunizieren, und zwar über ihre Gene.

"Das Stichwort lautet horizontaler Gentransfer", fasst Petersen seine zentrale Hypothese zur Erklärung der Verteilung der PGCs über die einzelnen Roseobacter-Arten zusammen. "Dieser Mechanismus ist die Klammer des Ganzen", schwärmt er. "Die Plasmide bilden sogenannte Genfähren, die über Konjugation Informationen von einer Zelle auf die andere übertragen können."

Möglicherweise wurden die PGCs auf diese Weise zwischen den verschiedenen Roseobacter-Arten hin- und hergeschoben. So fanden die Wissenschaftler etwa die Replikationsmodule von S. guttiformis und R. litoralis an exakt derselben Position innerhalb des 45 kb großen PGC (Environ Microbiol 2012, 14(10):2661-72). Und da die Plasmide bislang weitgehend ignoriert worden sind, wollen Petersen und seine Kollegen selbstredend an ihrer rosa Materie dranbleiben: "Wir wissen erst sehr wenig über die Plasmide, hier sind noch viele Fragen offen!"

Rotalgen und Malaria

Wie sieht der Alltag eines Experten für marine Mikroben aus? Fahren die Wissenschaftler jedesmal raus aufs Meer, wenn sie ein neues Experiment starten wollen? Nicht direkt.

"Die Bakterien werden an ihrem Lebensort isoliert und im Labor kultiviert. An der DSMZ lagern sie gemeinsam mit 20.000 anderen Verwandten gefriergetrocknet in Ampullen", erzählt Petersen. "In einem speziellen Nährmedium werden sie dann zu neuem Leben erweckt und vermehrt, bevor wir in unseren Laboren ihre DNA isolieren und weiter bearbeiten." Dabei gehen die Pipettierkünste der Braunschweiger weit über die Standardtechniken hinaus: "Wir haben bereits neue Methoden zur genetischen Manipulation der Bakterien etabliert, zum Beispiel das 'Ausknocken' von Plasmiden oder einzelnen Genen", verkündet er stolz. "Wir wollen versuchen, die Plasmidbiologie besser zu verstehen, und erklären, wie die Evolution dieser Bakterien wirklich funktioniert hat!" Bei aller Begeisterung für die pinkfarbenen Winzlinge sind sie nicht die einzigen "Laborhaustiere" des Teams um Petersen.

Rund ein Drittel der wissenschaftlichen Energie der Arbeitsgruppe geht in die Erforschung von Algen - "Von der Malaria bis zum Meeresleuchten - Evolution der Plastiden in Alveolata" lautet der öffentlichkeitswirksame Titel des Projekts. Hierbei geht es erneut um Evolution und Gentransfer, allerdings werden diesmal einzellige Algen genauer unter die Lupe genommen. "Die wenigsten Mediziner wissen heute, dass der Malariaerreger eigentlich von einer Rotalge abstammt", wirft mir Petersen gleich den "dicksten Fisch" seiner Forschung über kernhaltige Mikroorganismen hin.

"Meine Kollegin Silke Pradella hatte bereits bedeutende Vorarbeit zu den Roseobacter geleistet, ich habe zusätzlich das eukaryotische Thema mitgebracht." Ein beachtlicher Schritt für jemanden, der als Hauptfach Biochemie studiert hatte und später in die Mikrobiologie und Phylogenetik "hineinrutschte", finde ich und sage das auch zu Petersen. Er hat es geschafft, sich völlig neuer Themen anzunehmen und dabei gleichzeitig seinen wissenschaftlichen Wurzeln treu zu bleiben, indem er einfach alles in interdisziplinärem Sinne in einem "Ozean" zusammenbrachte.

Petersen kommentiert meinen philosophischen Versuch grinsend mit "Plasmid oder Plastid - Hauptsache Evolution" frei nach dem berühmten Ausspruch des ehemaligen deutschen Fußballnationalspielers Andreas Möller: "Mailand oder Madrid - Hauptsache Italien!"

Annika Simon



Letzte Änderungen: 11.04.2013