Editorial

Morphosys pfeift auf Forschungsantikörper

Der oberbayerische Antikörper-Hersteller wittert längst das große Geschäft mit Medikamenten. Mit Peanuts mag man sich da nicht mehr abgeben.  

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Morphosys verkauft seine Forschungsantikörper-Sparte an Bio-Rad.

 

(20. Dezember 2012) Erinnern Sie sich an den Neuen Markt (NM)? Sieben Jahre lang, zwischen Frühjahr 1997 und Sommer 2003, regierte dort der Wahnwitz. Das neugeschaffene Marktsegment der Deutschen Börse und die Aktien der dort versammelten Firmen taumelten in immer verrücktere Extreme – angefeuert von entfesselten Aktienzockern, naiven Wirtschaftsjournalisten und seltsamen TV-Experten.

Die Martinsrieder Morphosys AG erreichte zur Jahrtausendwende gar Kultstatus – ein oberfränkischer Aktienguru empfahl seinen Fans die Aktie der Firma beim haarsträubend hohen Stand von 360 Euro zum Kauf („Kursziel tausend Euro"). Es kam anders. Binnen zwölf Monaten stürzte die Aktie auf kaum 100 Euro ab, nach weiteren zwölf Monaten lag sie bei rund 40 Euro.

Bald danach kollabierte der gesamte NM – die dort noch versammelten Firmen gingen reihenweise pleite und auch diverse Staatsanwaltschaften hatten so einiges zu tun. Firmen wie Brokat (Größenwahn, Insolvenz, Kurscrash von 200 Euro auf wenige Cent) und Comroad (erfundene Umsatzzahlen und darauffolgende Verurteilung des Gründers wegen Kursbetrug und Insiderhandel) wurden zum Symbol für den Niedergang der am NM versammelten Börsenhoffnungen.

Mit einem blauen Auge davongekommen

Vergleichsweise glimpflich ging das Abenteuer NM für Morphosys aus. Den weitgehend fremdgesteuerten Börsen-Hype um die hauseigene Antikörpertechnologie konnten die Firmenmanager ohnehin kaum beeinflussen, und eine sich anschließende Episode der Geldknappheit überstand man auch.

Inzwischen ist aus der einstigen NM-Luftnummer ein wirtschaftlich solides Unternehmen erwachsen, das seit Jahren Millionengewinne erwirtschaftet, beständig wächst und längst eine der umsatz- und mitarbeitermäßig größten Biotechfirmen des Landes geworden ist. Ohne den aus "optischen Gründen" im Jahr 2008 durchgeführten 1:3-Aktiensplit (damals wurde der Wert einer Aktie gedrittelt und zum Ausgleich aus einem Wertpapier drei gemacht) läge der Kurs inzwischen wieder bei rund 90 Euro.

Der zuletzt stark gestiegene Aktienkurs allerdings ist nicht ungefährlich für diejenigen, dem diese Aktien gehören: Ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von rund 300 wie aktuell im Fall von Morphosys besagt nämlich: Die Aktie ist nach konservativen Bewertungskriterien extrem überteuert. DAX-Konzerne weisen traditionell ein KGV irgendwo zwischen 10 und 25 auf (10 = "billig"; 25 = "teuer").

Das Augenmerk legen die Morphosys-Verantwortlichen seit Jahren auf therapeutische Antikörpern – sprich: Die Firmenforscher entwickeln Medikamente; teils in Eigenregie, teils in Zusammenarbeit mit bzw. Auftragsarbeit für Pharmakonzerne(n). Mehr als 70 Antikörper-basierte Medikamenten-Kandidaten füllen die Pipeline; die potenziellen Anwendungsgebiete umfassen unter anderem Krebs, rheumatoide Arthritis und Alzheimer. Die mit diesen künftigen Arzneimitteln erzielten Einnahmen dürften, die eine und andere erfolgreiche Zulassungen vorausgesetzt, im Milliardenbereich liegen. Eine Goldgrube. Wohl nicht ohne Grund hat die Firma eine ihrer Schlüsseltechnologien zur Antikörper-Herstellung „HuCAL GOLD" getauft.

Forschungsantikörper nicht mehr sexy genug

Wenn man all sein Augenmerk auf eine Sache legt, mag man alles andere nicht mehr so gerne. "Alles andere" - das sind in erster Linie die Forschungsantikörper. Und so verwundert es nicht, dass der Überflieger aus Martinsried diese vor sieben Jahren heiß erstrebte Sparte schnöde abstößt: Die Morphosys-Abteilung Forschungsantikörper („AbD Serotec") soll für 53 Millionen Euro an die US-Firma Biorad Laboratories gehen. Im Januar 2013, so der Plan, soll der Deal in trockenen Tüchern sein. AbD Serotec erwirtschaftete im letzten Jahr ein knappes Fünftel des Morphosys-Gesamtumsatzes von 100 Millionen Euro. Diese künftig fehlenden 19 Millionen Euro müssen die therapeutischen Antikörper auffangen.

Weg mit Nutzen!

Morphosys wäre jedoch nicht Morphosys, würde man auch hier nicht noch ein gutes Geschäft machen wollen.
Und in der Tat gelang dies auch: Die Forschungsantikörper-Sparte hatte Morphosys im Januar 2006 für 29 Millionen Euro erworben. Dass sich die damalige Übernahme des britischen Antikörper-Produzenten Serotec, ursprünglich primär als Umsatzbringer gedacht, einmal als so lukrativ erweisen würde, hätten wohl selbst Optimisten nicht gedacht. Aus 29 mach - schwuppdiwupp! - 53 Millionen! Annähernd eine Wertverdoppelung binnen sieben Jahren - nicht schlecht.

Künftig wird sich Morphosys – umbeschwert von der weniger profitablen AbD Serotec-Division, also noch stärker auf das therapeutische Segment konzentrieren, wie der Vorstandsvorsitzende Simon Moroney in der zum Verkauf veröffentlichten Pressemitteilung bekräftigte. Er glaube, die Medikamententwicklung habe erhebliches Wachstumspotenzial, sagte er sinngemäß weiter.

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 11.04.2013