Editorial

Laborgeschichten (15) – Ungeliebte Lab Meetings

Zuviel des Guten wird schnell kontraproduktiv.

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(08. April 2013) Wer sich ein Labor für eine potentielle Promotion anschaut, kann manchmal eigenartige Dinge erleben.

So etwa vor einiger Zeit der frisch gebackene Diplom-Biologe Runzler. Eine Stunde Führung durch Labor und Institut hatte er bereits hinter sich, als Arbeitsgruppenleiter Leinig seinem Bewerber vorschlug: „Wir haben in einer halben Stunde Lab Meeting. Komm’ doch einfach dazu – da erfährst Du gleich, wo wir mit unseren Projekten gerade stehen.“

Eigentlich keine schlechte Idee – auch wenn es schon früher Mittag war, und Runzlers Magen langsam wohlbekannte Signale an sein Hirn sendete. „Kann ich mir noch vorher was zu essen holen?“, fragte er daher. „Klar, wir halten das Lab Meeting sowieso eher als eine Art Lab Lunch. Also bis gleich!“

Das kannte Runzler von seinen drei, vier Lab Meetings während der Diplomarbeit zwar nicht, aber... ja, von so etwas hatte er schon gehört: Dass das Lab Meeting geradezu als allseits lieb gewonnenes Ritual zelebriert wird. Sicher, irgendwie müssen die pipettierenden Einzelkämpfer einer Gruppe ja regelmäßig zusammenkommen, um mit den Kollegen ihre Probleme, Pläne oder Fortschritte kreativ zu diskutieren. Doch scheinbar ist das nur die halbe Wahrheit. Denn oft genug sind Lab Meetings offenbar zugleich verkappter Höhepunkt des Soziallebens einer ansonsten vor Einzelgängertum nur so strotzenden Arbeitsgruppe. Da bringt jeder sein Getränk mit, meist stehen noch Kekse und andere Knabbereien bereit; oder, wie hier bei Leinig, man zelebriert das Ganze gar rund um den gemeinsamen Verzehr des mitgebrachten Mittags-Imbisses.

Arbeiten mit möglichst hohem Wohlfühlfaktor, heißt wohl das Prinzip. Denn ist es zudem nicht so, dass einem die besten Ideen in möglichst entspannter Atmosphäre kommen? Wie auch immer, von der TA bis zum Prof müsste demnach eigentlich jeder die Lab Meetings lieben. Solange man es nicht übertreibt.

Und bezüglich letzterem wurde Runzel dann doch etwas skeptisch. Geschlagene zweieinhalb Stunden dauerte Leinigs Lab Lunch. Und besonders zufrieden sahen dessen Mitarbeiter am Ende nicht gerade aus.

„Läuft euer Lab Lunch immer so lange?“, fragte er daher Leinigs Postdoc Daut.

Worauf dieser mit einem Seufzer antwortete: „Ja, immer. Oft machen wir sogar zwei pro Woche. Und immer über Mittag, so dass man vorher kein richtiges Experiment anfangen kann.“

„Klingt kontraproduktiv“, stellte Runzel fest. „Kapiert Leinig das nicht?“

„Der will das nicht kapieren“, entgegnete Daut. „Ich weiß, es klingt sarkastisch, aber wir haben folgende These dazu formuliert: Lange und zahlreiche Lab Meetings gibt es bei Chefs, die keine Kinder (mehr) zu Hause haben oder frisch geschieden sind – die kurzum unter »sozialer Deprivation« leiden. Junge Gruppenleiter ohne solche  »soziale Deprivation« veranstalten dagegen kurze und fokussierte Lab-Meetings. Aber sei dies, wie es wolle – am Ende bleibt wegen der vielen Meeting-Zeit, so nett die ja eigentlich sind, immer weniger Zeit für das schlichte Experimentieren. Und irgendwann geht das auf die Performance der gesamten Gruppe.“

Runzel sagte nichts dazu. Und als Daut sich zum Gehen umdrehte, gab er fast wie im Selbstgespräch schnell noch von sich: „Also, von daher rate ich Dir ab, zu uns zu kommen – denn Du siehst ja, unser Chef lässt uns kaum pipettieren.“

Daran musste Runzel mit seinem vollen Magen erstmal knabbern.

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 12.07.2013