Editorial

"Es hängt immer an der Software!"

Der Pipettierautomaten-Experte Martin von Lueder ist als Geschäftsführer von LVL Laborbedarf (Crailsheim) ein alter Hase in der Laborausrüster-Branche. Ein Gespräch über Sinn und Unsinn zunehmender Laborautomatisierung.
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(22. April 2013) LJ: Herr von Lüder, die sogenannte „Laborautomatisierung“ startete in den 1970er Jahren in der chemischen Industrie; später zogen die Life-Science-Labore nach. Ist diese jahrzehntelange Entwicklung nicht allmählich abgeschlossen? Gibt es denn überhaupt noch Potenzial für weitere Automatisierung?

Martin von Lueder: Ich kann hier nur für Pipettieranlagen sprechen, denn da kenne ich mich am besten aus. Und bei Pipettieranlagen ist es sogar so, dass man derzeit wieder etwas zurückgeht. Die extrem komplexen, wartungsintensiven Anlagen, die man noch vor wenigen Jahren für das Non-Plus-Ultra hielt, sind auf dem Rückzug. Die Leute wollen inzwischen kleinere, flexiblere Anlagen für ihren persönlichen Arbeitsplatz, die sie schnell auf ihre Bedürfnisse anpassen können.

Aber hatten Sie selbst früher nicht auch Großanlagen im Programm?

von Lueder: Natürlich haben wir damals solche Riesenungetüme verkauft, die eine halbe oder ganze Million Euro kosteten und einen Haufen Geräte integrieren sollten. Die Leute wollten die ja auch. Diese Geräte sollten dann Tag und Nacht laufen. Doch womit man nicht gerechnet hatte: Dauernd ist die eine oder andere Komponente kaputt; es müssen immer erst Spezialisten anrücken, um das Ding wieder zum Laufen zu bekommen und man weiterarbeiten kann. Letztlich haben die Leute den erhofften Durchsatz nie erreicht. Solche Großanlagen sind zu komplex und zu unflexibel, wenn sich die Anforderungen oder das Forschungsthema ändern.

Und wohl auch zu teuer.

von Lueder: Klar. Lieber eine kleinere, schicke Anlage, die sich vom Budget her auch unbürokratischer beschaffen lässt.

Ist Automatisierung also gar nicht immer billiger?

von Lueder: Die Mitarbeiterkosten eines Labors betragen rund 80 Prozent der Gesamtkosten. Und diesen hohen Anteil versucht man zu deckeln, indem man mit der gleichen Mitarbeiterzahl einen höheren Durchsatz zu erzielen versucht. Dazu brauchen Sie Roboter, eben um eine höhere Effizienz zu erreichen. Wenn Sie aber eine der vorhin erwähnten Riesenanlagen anschaffen und es ändert sich, wie‘s in Forschung und Entwicklung eben vorkommt, plötzlich das Projekt, oder ein Teilprojekt wird ganz aufgegeben, dann steht plötzlich eine sündhaft teure Anlage ungenutzt herum. Was machen Sie dann damit? Solche Großanlagen haben auch noch zehn oder zwanzig Peripheriegeräte, mit denen niemand vernünftig umgehen kann. Am liebsten würde man das Ding dann aus dem Fenster werden, weil es nur Platz wegnimmt. Eine kleinere Workstation hingegen könnte man in so einem Fall blitzschnell an ein neues Projekt anpassen.

Liefert Automatisierung denn automatisch bessere Ergebnisse?

von Lueder: Die Ergebnisse, die man mit Automaten erhält, sind zumindest standardisiert. Und sie sind, was heute immer wichtiger wird, protokollier- und dokumentierbar. Man kann die Ergebnisse anhand der Originaldaten überprüfen, und man kann nachträglich kontrollieren, was der Experimentator denn eigentlich gemacht hat. Handschriftlich ist das in dieser Genauigkeit und Detailfülle kaum machbar. Manchmal denke ich mir allerdings, dass das Dokumentieren heute viel wichtiger ist als der eigentliche Prozess selbst (lacht).

Gibt es eigentlich Arbeitsbereiche, die man nicht automatisieren kann?

von Lueder: Automatisierung ist immer dann angeraten, wenn die Probenanzahl ein bestimmtes Maß übersteigt. Wenn es nur um ein paar Proben geht; wenn ich nur mal schnell was ausprobieren will, hier eine kleine Photometermessung und dort ein paar Fluoreszenzbestimmungen – das kann und soll man bei geringen Probenzahlen schon noch manuell machen. Aber wenn die Probenzahl steigt, kommt eben schnell der Punkt, an dem man sich klarmachen muss: Jetzt hat‘s keinen Sinn mehr, das per Hand zu machen, weil ich mich dabei kaputt mache. Zudem nimmt die Fehlerhäufigkeit ja auch zu. Sobald also etwas zur Routine wird; wenn ich zweimal täglich etwas durchtesten muss, komme ich nicht mehr um eine Automatisierung herum.

Alles, was nicht Routine ist, ist also nicht zur Automatisierung geeignet?

von Lueder: Jeder Forschungsansatz fängt manuell an. Man arbeitet sich heran, optimiert Prozessabläufe, und wenn das Verfahren dann irgendwann mal steht, dann ist es Zeit für eine Automatisierung.

Sie sprachen vorhin über Effizienz, also vom Ziel, durch Automatisierung aus dem vorhandenen Personalbestand den maximalen Gewinn zu ziehen. Ist aber nicht oft das Ziel ein anderes, nämlich bei gleichbleibendem Output Personal einzusparen?

von Lueder: Klar, früher haben die Leute Existenzängste bekommen, wenn der Chef von Automatisierung geschwärmt hat. Aber das waren die 1980er und 1990er Jahre; das ist längst anders. Die heutige Generation lebt mit den Automaten, die ist das gewohnt. Viele können wohl gar nicht mehr manuell arbeiten. Die Arbeitsweise des Laborpersonals hat sich wahnsinnig geändert in den letzten Jahrzehnten. Inzwischen ist alles sehr IT-lastig. Das ist ein ganz anderer Berufstyp geworden. Ich denke, heutige Labormitarbeiter können sich eine Umgebung ohne Roboter gar nicht mehr vorstellen – und würden das auch gar nicht wollen.

So ein Automat kann einem ja auch eine Menge unangenehmer Arbeit abnehmen.

von Lueder: In der Tat. Stellen wir uns mal vor, ich pipettiere 200 Proben auf eine Mikrotiterplatte. Ich muss jedes Mal aufpassen, „bin ich jetzt auf G3 oder doch schon auf G4?“ – und dann kommt auch noch ein Telefonanruf – so etwas ist total anstrengend! Das stresst unheimlich. Wenn das aber ein Pipettierroboter macht – fehlerfrei und automatisch protokollierend; wenn der dann auch noch den Barcode liest und alles nachvollziehbar macht: Etwas Besseres kann einer TA doch gar nicht passieren!

Es kommt immer wieder vor, dass die Person, die für einen Automaten verantwortlich ist, das Labor verlässt. Anschließend weiß keiner mehr, wie das teure Gerät bedient wird mit der Folge, dass es unnütz herumsteht. Kommt Ihnen diese Szenerie bekannt vor?

von Lueder: Natürlich. Gerade bei den komplexeren Anlagen gab es immer diese Freaks, diese Modelleisenbahn-Bastler, die den ganzen Tag mit dem Schraubenzieher unter der Anlage herumkrabbelten, mit allen Tricks das Ding am Laufen hielten; und wenn die mal nicht da waren, war das Gerät mausetot. Ich habe viele teure Anlagen sterben sehen, die eigentlich voll funktionstüchtig waren. Deshalb mein altes Lied: kleine, überschaubare, standardisierte Anlagen!

Heutzutage erzeugt jedes Gerät Unmengen an Daten. Wo gibt‘s den Automaten zu kaufen, der diesen Datenberg auswertet?

von Lueder: Ich habe da auch so meine Zweifel, ob man all diese Daten jemals sinnvoll verwerten wird. Dazu kommt, dass die heutigen Ärzte noch gar nicht so richtig im digitalen Zeitalter angekommen sind. Die stehen oftmals ratlos vor den vielen Daten, die ein modernes Analysegerät ausspuckt, und wissen nicht so recht, was sie damit anfangen sollen. Die Molekulardiagnostik ist inzwischen viel weiter vorangeschritten als der normale Arzt oder auch Facharzt vor Ort dem Rechnung tragen kann.

Wie steht‘s um die Barrierefreiheit zwischen den Plattformen verschiedener Hersteller? Existiert ein firmenübergreifender Software-Standard?

von Lueder: Leider nein. Jeder Hersteller kocht sein eigenes Süppchen; lediglich die Schnittstellen sind genormt. Übrigens hakt es immer an der Software. Die Geräte können noch so ausgefeilt sein – die Betriebs- oder Auswertesoftware hinkt immer hinterher und ist zum Auslieferungszeitpunkt oft nicht mal fertig. Daher ist die Software kauf-entscheidend – ist sie leicht verständlich und logisch bedienbar, dann ist der Automat so gut wie gekauft. Wir als Geräteverkäufer haben immer gewonnen oder auch verloren wegen der Software.

Interview: Winni Köppelle

(Foto: LVL)

Der Artikel erschien bereits in der letzten Laborjournal-Druckausgabe 4/2013 auf den Seiten 48-49



Letzte Änderungen: 12.07.2013