Editorial

It’s in Nature so it must be true

Die Selbstreinigungskraft der Wissenschaft wird oft beschworen. Nur nutzt sie wenig, solange die Journals nicht mitziehen.
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(10. Mai 2013) „Die Wissenschaft bereinigt sich selbst” – wie oft wird dieses Mantra wiederholt, wenn es um Fälle von „schlechter Wissenschaft” geht. Wenn Schlussfolgerungen falsch sind, wenn Ergebnisse nicht stimmen oder wenn gar Daten manipuliert wurden – am Ende würden die Fehler auf jeden Fall erkannt und korrigiert werden. Ganz klar, denn schließlich macht schon die Art und Weise, wie Wissenschaft im Kern funktioniert, sie ganz automatisch zu einem sich stetig selbst korrigierenden Geschäft. Behauptet etwa jemand, dass etwas nicht korrekt ist, wird niemand sonst als die Wissenschaft selbst dies durch weitere Forschung und Tests zeigen. Auf diese Weise würde alles Falsche und Fehlerhafte während des unaufhaltsamen Vormarschs der Wissenschaft zwangsweise auf der Strecke bleiben.

Klingt gut. Aber wie läuft das in der Praxis? Natürlich vor allem in den Journals. Schließlich sind sie es, die die Resultate und Schlussfolgerungen veröffentlichen – also sollten sie auch Fehler und Falsches darin offiziell richtigstellen und damit den Scientific Record von allem Inkorrektem bereinigen. Ob das aber zuverlässig funktioniert? Zuletzt säten jedenfalls gleich mehrere Berichte ernsthafte Zweifel, ob gerade die Spitzenjournals nicht etwas zu wenig Verantwortung in diesem Punkt zeigen.

Vor einigen Monaten berichtete beispielsweise Paul Brookes von der University of Rochester dem Blog Retraction Watch über die Erfahrungen mit Nature Cell Biology, als er deren Editoren über fundamentale Probleme mit einem bestimmten Papier informierte – darunter fehlerhafte Bildlegenden und die Verwendung falschen Gewebematerials. Sein erster Brief wurde unverblümt zurückgewiesen. Brookes erinnerte sich: „Sie wollten schlichtweg jegliche Kritik nicht akzeptieren, die ein schlechtes Licht auf ihre Peer Review-System werfen könnte.” Daraufhin rekrutierte er eine Gruppe von Kollegen („ein veritables Who-is-Who der Mitochondrienforschung mit zusammengerechnet über 200 Jahren Forschungserfahrung zu diesem Thema“) und wiederholte mit ihnen einige der Experimente des Papers. Die Ergebnisse zeigten klar, dass alle seine Vorwürfe berechtigt waren. Dennoch dauerte es drei Review-Runden und ein ganzes Jahr, nur um am Ende eine zweiseitige Korrespondenz veröffentlicht zu bekommen – 18 Monate nach dem ursprünglichen Paper.

In seinem Kommentar beschreibt Brookes diese Review-Runden in frustrierendem Detail. Seine bittere „Final Conclusion“: „Du kannst alle ‚Schwergewichte’ auf Deiner Seite haben, aber wenn Du irgendetwas in einem Nature Publishing Group (NPG)-Journal herausforderst, wirst Du schon hart darum kämpfen müssen, überhaupt einen Fuß in die Tür zu bekommen. Danach aber folgt erst die wahre Schlacht, um am Ende etwas veröffentlicht zu bekommen – und in der fliegen Dir während des gesamten Review-und-Revisions-Prozesses alle möglichen bösen Überraschungen um die Ohren. NPG mag es einfach nicht, wenn Du Fehler findest, die sie schon während ihres Peer-Reviews hätten finden müssen. Die Phrase ‚It’s in Nature so it must be true’ passt nirgendwo besser.“

Ein weiteres Beispiel, ebenfalls im gleichen Retraction Watch-Beitrag beschrieben, tritt die Pflicht der Zeitschriften den Scientific Record zu korrigieren noch heftiger mit Füßen. Im Jahr 2009 verkündete die University of Alabama in Birmingham offiziell die Ergebnisse der Untersuchung einer Expertenkommission, nach denen einer ihrer Forscher in gleich zehn Artikeln Kristallstrukturdaten eindeutig gefälscht hatte. Folgerichtig forderte der Ausschuss, dass die entsprechenden Proteinstruktur-Daten aus den öffentlichen Proteindatenbanken entfernt werden und die Artikel von den betroffenen Zeitschriften zurückgezogen werden sollten. Bei sechs der zehn Paper geschah dies umgehend, vier dagegen sind bis zum heutigen Tag nicht offiziell zurückgezogen worden – unter ihnen eines in Nature und ein weiteres in Cell. Der abschließende Kommentar dazu im Retraction Watch-Beitrag lautete: „Eigentlich mag ich diese Titel, aber leider sind sie offenbar sehr starrsinnig in einem Bereich, in dem sie eine Menge Gutes leisten könnten.”

Noch ein Beispiel. Vor eineinhalb Jahren veröffentlichte die Gruppe von Yoram Groner am Weizmann-Institut in Rehovot nach jahrelanger „Schlacht” endlich einen Artikel in EMBO Molecular Medicine (Vol. 3 (10): 593-604), der die vermeintlichen Erkenntnisse eines hochzitierten 2002er Cell-Papers über den Tumor-Suppressor Runx3 klar widerlegte. Laborjournal fragte Groner damals, ob er versucht hätte, die Widerlegung direkt in Cell zu veröffentlichen. Schließlich wäre dies angemessen gewesen, weil ebendort das widerlegte Paper erschienen war. Groner antwortete: „Ja! Wir schrieben das Manuskript damals ursrünglich für die Cell-Rubrik „Matters Arising”, wo es aber sofort abgelehnt wurde, ohne dass auch nur irgendeine Vorbegutachtung stattgefunden hatte. Ich wandte ein, dass Cell eine moralische Verpflichtung habe, das falsche Paper zu berichtigen, da sie es immerhin ursprünglich veröffentlicht hatten. Doch ich kam nicht durch damit. Mein Eindruck war, dass Cell einfach keine Scherereien wollte. Ich war tief enttäuscht und traurig über solch einen Mangel an Verantwortung für die wissenschaftliche Integrität.“

Ein letztes Beispiel. Vor kurzem veröffentlichte eine belgische Gruppe um Vincent Detours von der Freien Universität Brüssel eine Studie, die zeigt, dass man mit rein zufällig ausgewählten Sets von Genen die Überlebensraten bei Krebs sogar besser voraussagen kann als mit der Mehrheit der zuvor als spezifisch publizierten prognostischen Gensignaturen. Ein echter Fall von multipler „De-Entdeckung”, sozusagen. Würde man nun nicht erwarten, über diese wichtige „Selbst-Korrektur” in einem absoluten Spitzenblatt zu lesen? Oder wenigstens in einer onkologischen Zeitschrift? Falsch! Detour schreibt dazu selbst in The Scientist: „Es dauerte vier Jahre mit sechs Ablehnungen um diese Arbeit schließlich in einem Journal für Computational Biology zu veröffentlichen [PLoS Comp. Biol. 7(10), e1002240] – nicht gerade der effizienteste Ort, um die Krebsforscher-Community zu erreichen.“ Und er fügte schließlich hinzu: „Es muss einmal klar gesagt werden: Man kann nicht länger still schweigen zu diesem arg begrenzten Korrekturwillen der Spitzenjournale (Cell, Nature Genetics, PNAS, etc.), die diese Studien doch überhaupt erst vorangetrieben haben.“

Diese Beispiele zeigen, dass der Wissenschaft in der Tat eine starke Kraft zur Selbst-Korrektur innewohnt. Aber all das scheint nahezu für die Katz’, wenn die Zeitschriften nicht mitmachen.

Ralf Neumann

(Der Artikel ist die übersetzte und überarbeite Version des Editorials aus Lab Times 1-2012)



Letzte Änderungen: 31.05.2013