Editorial

23andMe: Ärger mit der Aufsichtsbehörde

Genomanalyse als lukratives Geschäft – diese Idee des kalifornischen Unternehmens 23andMe hat durch das Eingreifen der Regulierungsbehörde FDA einen Dämpfer bekommen. Richtig so, denn Grundlagenforscher sollten zuerst methodische Probleme klären.
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(29. November 2013) Die USA sind das Eldorado der unterregulierten Märkte, auch im Gesundheitswesen. Die Firma 23andMe etwa bietet eine Komplett-Analyse des Genoms an – gegen Bezahlung, versteht sich. Auch Deutsche haben den Service schon genutzt. Zumindest einer der deutschen Kunden bekam einen Schreck, denn 23andMe schien ihn für todkrank zu erklären – aufgrund einer fehlerhaften Software, wie sich herausstellte. Wenn die amerikanische Gesundheits-Regulierungsbehörde FDA nun eingreift, dann darf man getrost annehmen, dass mehr im Argen liegt. Und in der Tat zanken sich Regulierer und Unternehmen schon seit Monaten.

Aus Sicht der Behörde darf 23andMe seine Genomanalysen nicht ohne ausdrückliche Genehmigung an Endkunden vertreiben. Die FDA ist aber offenbar im Moment nicht bereit, diese Erlaubnis zu erteilen und stellt kritische Fragen zu Sicherheit und Nutzen der angebotenen Leistungen.

Neugier und echte Sorgen

Die persönliche Genomanalyse hat auch eine harmlose Seite. Manche, vor allem auch Wissenschaftler, ließen ihr Genom aus reiner Neugier analysieren – wo sind die Gene für meine Augenfarbe, für meine Haar- und Hautfarbe? Aber meist steckt doch ein anderes, ernsteres Anliegen dahinter. Trage ich genetische Risikofaktoren für Krebs, Bluthochdruck, Schlaganfall, Parkinson oder Alzheimer mit mir herum?

Und hier steckt das Problem: eine für den einzelnen Patienten brauchbare und zuverlässige Antwort auf diese Fragen und Sorgen können Unternehmen wie 23andMe nicht liefern – das zumindest ist die begründete Befürchtung der FDA. Denn die meisten dieser Erkrankungen beruhen auf einen Kombination aus Umwelteinflüssen und einer ganzen Reihe von genetischen Risikofaktoren.

„Aufgrund genetischer Risikofaktoren haben Sie ein 8% höheres Risiko als der Durchschnittsbürger, an Krankheit XY zu erkranken“. Was nützt dem Patienten dieses Ergebnis? Korrigieren lässt sich das Risikogen nicht. Gesund essen, nicht rauchen, Sport treiben ist nie falsch. Aber weiß man das nicht auch ohne Gentest?

Vorgetäuschte Präzision

Zumal solche Aussagen (etwa „15,5% höheres Risiko“) eine Präzision vortäuschen, die, auf den individuellen Fall bezogen, einfach nicht gegeben ist. Auch vermeintlich beruhigende Ergebnisse können problematisch sein: Was fängt der Kunde zum Beispiel mit der Information an, laut Genomanalyse kein erhöhtes Krebsrisiko zu haben? Falsch verstanden ist so ein Resultat nicht gerade ein Anstoß, das Rauchen aufzugeben.

Ergebnisse der Genomanalysen sollten den Kunden meiner Meinung nach deshalb nicht einfach per Email zugeschickt werden. Ausführliche, persönliche Beratung ist angezeigt, damit der Patient die richtigen Schlüsse aus dem Datenwust zieht – sofern denn überhaupt etwas Brauchbares herauskommt. Insofern ist das Eingreifen der FDA mehr als verständlich.

Für das genetisch interessierte Publikum von Laborjournal Online will ich noch einen interessanten technischen Aspekt ansprechen. Es ist ja nicht so, dass hier eine einzelne Firma inkompetent mit genomischen Methoden umginge. Vielmehr kämpft das ganze Feld der Genome Wide Association Studies (GWAS) mit fundamentalen Problemen, die noch auf eine befriedigende Antwort warten. Man kann das beispielsweise am Stichwort „missing heritability“ festmachen.

Wo versteckt sich die Erblichkeit?

Mit traditionellen Methoden können Genetiker recht gut herausfinden, wie hoch der erbliche Anteil an einem Krankheitsrisiko ist und wieviel die Umwelt beisteuert, durch Vergleich vieler Familiengeschichten etwa. Dazu muss man keine Gene sequenzieren.

Den Grad der  „Erblichkeit“ (heritability) einer Krankheit kann man aber auch bottom-up aus den Genomdaten von Patienten und Kontrollen errechnen. Die aus den analysierten Genomen kalkulierte heritability ist aber regelmässig deutlich kleiner als der Wert, den die traditionelle Methode ausspuckt – das ist die berüchtigte „missing heritability“.

Wo liegt die Ursache für diesen Widerspruch? Vielleicht überschätzen die traditionellen Methoden systematisch die erbliche Komponente. Vielleicht gibt es aber auch einfach unzählige Risikogen-Varianten, mit jeweils sehr kleinem Beitrag zum Krankheitsrisiko, die sich in den üblichen Studiendesigns unter der Signifikanzschwelle verstecken. Das wären dann schlechte Aussichten für das ganze Projekt der GWAS. Forscher müssten riesige Studien entwerfen, um eine Chance zu haben, noch unbekannte Risikogenvarianten einzufangen – die dann individuell meist bedeutungslos wären.

Ist die Epistase eingepreist?

Oder stimmt mit der Methodik der GWAS etwas nicht? Das wäre auch eine schlechte Nachricht für Humangenetiker, die Jahre ihres Forscherlebens in solche Projekte investiert hatten. Aber zumindest gäbe es Hoffnung, es in Zukunft besser zu machen.

Einer der methodischen Aspekte, den Forscher als mögliche Ursache der missing heritability diskutieren, ist die Epistase – also das Phänomen, dass die Beiträge verschiedener Gene auf den Krankheits-Phänotyp nicht immer additiv sind.

Anders gesagt: nehmen wir an, dass Genvariante X an Genort A das Risiko um 3% erhöht, und Genvariante Y an Genort B um 2 %. Daraus ergibt sich nicht zwangsläufig, dass ein Mensch, der beide Genvarianten X und Y trägt, ein 5 % höheres Krankheitsrisiko hat. Es kann auch deutlich mehr oder weniger sein, denn Genvarianten wirken oft in genetischen Netzwerken zusammen und können so ihre jeweiligen Einzeleffekte verstärken oder dämpfen. Diesen Effekt kennen Genetiker seit Jahrzehnten. Aber ob Epistase-Effekte in GWAS-Studien richtig „eingepreist“ sind, ist eine interessante Frage (siehe hierzu zum Beispiel diese Arbeit von Eric Lander).

Heilsame Warnung

Wie auch immer: 14 Jahre nach der ersten Sequenzierung des Humangenoms ist es erst in Ausnahmefällen gelungen, für andere als monogenische Krankheiten brauchbare Aussagen über genetische Risikofaktoren zu machen. Es ist noch nicht einmal klar, wo genau die Ursachen für das häufige Scheitern dieses diagnostischen Ansatzes liegen. Das Angebot der Firma 23andMe war sicher eine mutige Pioniertat. Aber dass die FDA jetzt ein Stoppschild aufstellt, ist eine heilsame Warnung: es ist noch Einiges an Grundlagenforschung zu erledigen, bevor Genomik-Unternehmer mit gutem Gewissen Kunden zur Kasse bitten können.

 

Hans Zauner

Abb.: Montage / iStockPhoto

 

 

Quellen:

Brief der FDA an 23andMe

Reaktion von 23andMe

Artikel von David Dobbs im "New Yorker"

Verschiedene Ansichten zu "Missing Heritability" (Nature Reviews Genetics, doi:  10.1038/nrg2809)

 

 

 



Letzte Änderungen: 17.01.2014