Editorial

Das Labor steht still und schweiget

Zwischen Weihnachten und Neujahr sind die meisten Labore menschenleer. Gehen in den Rauhnächten wirklich böse Geister um, die tiefgekühlte Proben auftauen und Versuchstiere umbringen? Und wovon ernährt sich der Postdoc, wenn die Kantine geschlossen ist?
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(30. Dezember 2013) Leere, Stillstand, gespenstische Ruhe. Leise brummen nur Kühlschränke und Gefriertruhen vor sich hin, kleine und große Geräte blinken in festtäglicher Freude in rot und grün. Der Labor-typische Geruch nach Nährmedien ist mit einer feinen Glühwein-Note angereichert, die Weihnachtsfeier ist ja erst ein paar Tage her. Aber Menschen sucht man in den langen Fluren der Forschungsstätten an diesen Tagen meist vergeblich. Selbst mancher Chef mit Sklavenhalter-Ambitionen bezeichnet die offiziellen Arbeitstage „zwischen den Jahren“ – je nach Kalender gibt es mal mehr, mal weniger davon – als „Zwinkertage“. Anwesenheit wird ausnahmsweise nicht erwartet, soll dieses freundliche Augenzwinkern bedeuten.

An vielen Instituten und Unis ist zwischen Weihnachten und Neujahr gar offiziell der ganze Laden dicht und der Hausmeister dreht am 24. Dezember die Heizung ab. Dieser Kniff hat schon manchem ehrgeizigen Vorhaben - endlich einmal gemütlich und ungestört forschen! - einen arg winterlichen Anstrich verpasst. Der hartnäckige Weihnachtsmuffel-Postdoc lässt sich jedoch nicht beirren, hüllt sich in wärmende Decken und greift mit Wollhandschuhen nach der Pipette.

Aber bevor sich die große Stille über die Laborflure legt, mussten die Laborarbeiter hier und da noch lästige Pflichten aushandeln. Beispielsweise dort, wo lebende Tiere oder Zellkulturen versorgt werden wollen. Wer pflegt die Mäuse, die Ratten und die Fische? Wer „flippt“ die Fliegen, wer pickt die Würmer und wer bringt zwischen Weihnachtsgelage und Silvesterparty den Kaninchen ein paar Karotten?

Denn gute Vorsätze und Neujahrs-Optimismus sind schnell verflogen, wenn am 2. Januar die wertvollen Versuchsfische kieloben im Aquarium treiben. Solche Unterhaltspflichten treffen meist einen Mitarbeiter, dessen Familie am Ort wohnt – wenn nicht gar der Chef selbst nach dem Rechten sieht, etwas wehmütig angesichts der leeren Flure und all der teuren Geräte, die unbenutzt herumstehen.

„Rauhnächte“ nennt man die tote Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr. Gemäß alten Legenden gehen die Geister um. Und böse Geister können in einem verlassenen Labor allerhand anrichten. Tiefkühltruhen schrotten zum Beispiel. Unfestliche Flüche dringen aus dem Institutskeller, wenn das automatische Warnsystem anschlägt und die arme Sau, die an oberster Stelle auf der Anrufliste steht, Boxen über Boxen mit schon nicht mehr ganz tiefgefrorenen Gefäßen umräumt.

Ich weiß von einem Fadenwurm-Forscher, der seine wichtigsten Mutanten über Weihnachten im heimischen Kühlschrank aufbewahrte, neben Resten von Gans und Rosenkohl. Denn man weiß ja nie, ob im Labor nicht räuberische Milben umgehen oder sonstiges Unheil die Grundlage für die Promotion vernichtet.

Ein ganz anderer Fluch des Laborstillstands sind die halbvollen Kaffeetassen, die Kuchenstücke und Bananenreste, die, neben Mikroskop oder Computer vergessen, über den Jahreswechsel ein dynamisches Eigenleben entwickeln. Der Doktorand, der solches in der vorweihnachtlichen Aufbruchshektik hinterlassen hatte, wird im neuen Jahr im besten Fall von einem übelriechenden Häufchen Schimmelpilz begrüßt – oder, schlimmer, von der Chef-TA, die mit Gusto zum ersten Rüffel des Jahres ansetzt.

Aber es gibt sie, die Forscher, die sich nicht vom Leitkultur-Anspruch des tagelangen  Feiertagsfaulenzens beeindrucken lassen und auch zwischen den Jahren einfach weitermachen. Neben der Heizungs-Situation warten aber noch andere Herausforderungen auf den Wissenschaftler, der zwischen 25. Dezember und 2. Januar durcharbeitet. Passwörter für Geräte und Computer sind in dieser Zeit nicht zu erfahren, Räume mit wichtigen Utensilien abgeschlossen.

Auch die Nahrungssuche in den Rauhnächten gestaltet sich oft schwierig. Besonders hart betroffen: wissenschaftliche Mitarbeiter aus dem Ausland, die ihren ersten Jahreswechsel in Deutschland verbringen. Die Kantine – geschlossen. Der Snack-Automat – schon lange geplündert. Und auch beim Supermarkt steht der Deutschland-Neuling wegen der sich häufenden Feiertage immer wieder vor verschlossenen Türen; ein Umstand, der schon manchen amerikanischen oder asiatischen Postdoc wenn nicht in den Hungertod, dann aber doch zur Verzweiflung getrieben hat.

Aber gerade als der ausgehungerte Postdoc ernsthaft darüber nachdenkt, ein Versuchstier zu braten, kommt die Erlösung - in Form der Kollegen, die nach Neujahr nicht nur mit guten Vorsätzen, sondern auch mit Blechschachteln voller harter Weihnachtsplätzchen eintrudeln. Nach dem obligatorischen Austauschen der Feiertags-Erlebnisse brummt das Labor dann wieder. Doktoranden rangeln sich um die viel zu wenigen PCR-Maschinen und Gelkammern. Studenten  und Praktikanten steigen sich an der Bench auf die Füße und halten den Postdoc von der Arbeit ab. Auch die Heizung springt wieder an. Und der Chef atmet auf.

 

Hans Zauner



Letzte Änderungen: 18.02.2014