Editorial

Bunte Pillen sind (noch) keine Lösung

(1.12.2014) Unsere (andere) TA findet kleine bunte Kapseln im Paket eines Laborausstatters. Eine neue Methode der Kundenbindung?
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Die Außerirdischen kommunizieren wieder. Diesmal nicht über meinen Timer, sondern über das pH-Meter. Muss wirklich was Wichtiges sein, wenn sie schon wieder mit mir in Kontakt treten wollen. Leider überschätzen sie diesmal meine kryptologischen Fähigkeiten. Außer einigen kreuz und quer verlaufenden Strichen zeigt das Display nichts weiter an. Bei diesen Hieroglyphen kann mir nicht mal die Suchmaschine helfen. Von Hand dechiffrieren dauert mir zu lange, daher gehe ich zunächst von der einfacheren Deutung der rätselhaften Zeichen aus: Das Ding ist kaputt.

Selbst mit einer gründlichen Reinigung, einer Elektrolyttransfusion, sowie einer liebevollen Rekalibrierung lässt es sich nicht reanimieren. Für jede pH-Messung im Nachbarlabor vorstellig zu werden, ist doch etwas mühselig, also muss Ersatz beschafft werden.

Dankenswerterweise hat sich das Gerät für sein Ableben das Ende des Jahres ausgesucht, da muss für gewöhnlich Restgeld ausgegeben werden. Die Laborausstatter sollen schließlich auch was vom Weihnachtsgeschäft haben.

Vier Wochen später packe ich begierig das neue Gerät aus. Zwischen den einzelnen Bauteilen entdecke ich ein kleines Plastiktütchen, darin drei kleine Kapseln. Eine rote, eine weiße, eine grüne. Was mag das sein? Kann sich die Firma über Laborartikel nicht mehr finanzieren und steigt jetzt in den Drogenhandel ein? Sind das Gratisproben? Gelegentlich ist die Laborarbeit ja frustrierend, aber so schlimm ist es nun auch wieder nicht.

Doch ich tue der Firma Unrecht, es sind Kalibrierlösungen. Pulverisiert und in Kapseln verpackt, die ich vor Gebrauch vorsichtig aufdrehen und den Inhalt in destilliertem Wasser lösen soll, wie mir die beigefügte Anleitung verheißt. Aha. Vielen Dank! Die Laborgötter mögen wissen was ich ohne diese Packungsbeilage getan hätte. Da wir Standardkalibrierlösungen vorrätig haben, bin ich von den Pillen nicht abhängig (Achtung, Wortspiel!). So bleibt das Tütchen mit ungenutztem Inhalt auf meinem Platz liegen.

Für den Rest des Tages mache ich die Erfahrung, dass ich mit meinem Vorurteil über bunte Pillen keineswegs allein da stehe. Jeder, der bei mir vorbeischaut, wirft erst einen konsternierten Blick auf das Tütchen, der, sobald er sich anschließend auf mich richtet, in Unglauben umschlägt. „Es ist nicht was du denkst!“, wiegle ich jedes Mal ab. Nicht jeder Kollege scheint gänzlich überzeugt. “Das ist keine Lösung!“, erklärt mir ein PostDoc besorgt nach kurzem Blick auf das Corpus Delicti. „Aber wenn ich Wasser dazu gebe, dann wird es eine!“, erkläre ich augenzwinkernd. Er zieht irritiert ab. Tja, Kollege, das Leben ist voller Rätsel. Und manche davon kann man nicht mal googeln.

 

Maike Ruprecht

 





Letzte Änderungen: 02.02.2015