Editorial

Botschafter für den freien Zugang

(12.12.2014) "Open Access Ambassadors" der Max Planck-Institute trafen sich vor kurzem in München. Leonid Schneider hat sich unter die Botschafter gemischt und berichtet über seine Eindrücke.
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Anfang Dezember veranstaltete die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) eine „Open Access Ambassadors“-Konferenz, organisiert von der Max Planck Digital Library und dem MPG-Doktorandennetzwerk PhDnet. Eingeladen waren interessierte Jungwissenschaftler aller Max-Planck-Institute. Sie sollten sich bei der Münchener Tagung über den aktuellen Stand der Open Access (OA)-Bewegung informieren und danach als „Botschafter“ ihre Kollegen an den jeweiligen Instituten von OA überzeugen.

Eine der größten Überraschungen für die Teilnehmer der Konferenz war die Summe, die die MPG jährlich für Journal-Abos ausgibt: über 10 Millionen Euro. So kommt es, dass ein MPI-beschäftigter Wissenschaftler kaum wahrnimmt, dass ein Großteil der internationalen Forschungsgemeinde nur eingeschränkt oder überhaupt nicht an relevante Publikationen herankommt. Wie die Wissenschaftlerin und OA-Aktivistin Erin McKiernan berichtete, kann sich das Mexikanische Nationale Institut für Öffentliche Gesundheit (INSP) gerade mal jeweils eine einzige aktuelle Druckausgabe von Nature, Cell und Science leisten. Die digitalen Abos dieser Zeitschriften sind für INSP schlicht unbezahlbar.

#icanhazpdf

Ein Wissenschaftler außerhalb der reichen Elite-Institute kann seine Hoffnung auf den Open Access Button oder den #icanhazpdf Twitter-Hashtag setzen. Oder er kann versuchen, das vom Autor archivierte PDF in öffentlichen Repositorien zu finden (z.B. PubMedCentral, Academia oder ResearchGate). Wenn das alles ins Leere läuft, bleibt nur noch, den korrespondierenden Autor persönlich anzuschreiben und um das PDF zu bitten.

Viele Autoren sind dann auch sehr hilfsbereit. Aber unter Umständen ist das Archivieren oder Weiterverbreiten an Kollegen ein Vertragsbruch – selbst bei den PDFs eigener Paper. Oft darf der Autor auch nur unformatierte Manuskripte verbreiten (diese Online-Datenbank hilft, die jeweiligen Verbreitungs- und Verwendungsrechte für jedes Journal zu erfahren). So hat eines der größten Verlagshäuser, Elsevier, neulich mehrere öffentlich zugängliche Repositiorien dazu gezwungen, die Elsevier-„eigenen“ PDFs zu entfernen. Die MPG kann daher auf ihrem Publikationsrepositorium PuRe nur knapp 10% der Paper von Max-Planck-Autoren als Volltext zur Verfügung stellen. Weiterhin verbieten etablierte Abo-Verlage maschinellen Zugriff (Crawling), was sogenannte Data- und Text-Mining Studien stark erschwert.

Wie Nick Shockey von der Scholarly Publishing and Academic Resources Coalition (SPARC) vortrug, übertreffen die Gewinnmargen der wissenschaftlichen Abo-Verlage wie Elsevier diejenigen von Apple und Google. Selbst wenn die etablierten Journals mal kostenfreies Lesen gestatten, wird es eine Farce – wie aktuell bei Nature zu beobachten. Laut einer neuen Regelung, die das Teilen von Links zu Volltext-Artikeln „für private Zwecke“ erlaubt, kann man mit so einem Link nichts weiter anstellen, als den Artikel über eine spezielle Software auf dem Bildschirm zu lesen. Herunterladen, Drucken oder Data-mining erlaubt die Software nicht. Selbst das Ausleihen einer Nature-Druckausgabe wäre da augenfreundlicher und komfortabler. Und man könnte davon wenigstens eine Photokopie anfertigen.

OA-Artikel werden häufiger zitiert

Dagegen gibt es bei den inzwischen mehr als 10.000 OA-Journals so gut wie keine Einschränkungen für Zugang und Benutzung ihrer Publikationen. Diese sind im Directory of Open Access Journals (DOAJ) nach Fachgebieten und Herausgebern sortiert und leicht auffindbar. Laut einem aktuellen EU-Kommisionsbericht werden OA-Publikationen auch um 40 % öfter zitiert als Publikationen hinter einer „Paywall“.

Der leidige Impact Factor

Der Regensburger Neurobiologe Björn Brembs erinnerte die Konferenzteilnehmer aber schon in seinem Vortragstitel daran, dass die Bezahlschranke in der Fachliteratur nur eines der aktuellen Probleme des wissenschaftlichen Publizierens ist. Daneben macht vor allem der Journal Impact Factor (IF) den Wandel schwer, weil er leider weiterhin über Karriere und Förderanträge entscheidet. Dieser unselige Zitationsindex ist mathematisch nicht nachvollziehbar bis widersprüchlich. Die scheinbar so exakte Zahl kann sogar bis zu einem gewissen Grad zwischen dem jeweiligen Journal und Thomson Reuters, dem kommerziellen Anbieter der Metrik, ausgehandelt werden. Das wäre vielleicht alles nicht so schlimm, wenn die publizierte Wissenschaft in den Hoch-IF Journals denn wirklich besser wäre.

Laut Brembs (aber auch anderen Wissenschaftlern) ist die statistische Aussagekraft der Daten in solchen Elite-Journals aber überhaupt nicht besser als in „kleinen Journals“, eher schon ist sie maßlos geschönt und übertrieben. Das allerschlimmste aber, wie Ferric Fang und Arturo Casadevall zeigten: die Verlockung für wissenschaftliches Fehlverhalten und Betrug würde mit dem höheren IF ebenfalls steigen, was sich wiederum in immer häufigeren Retractions widerspiegelt.

Mut und etwas Risikobereitschaft sind gefragt

Zudem gehen etablierte Journals zu sorglos mit Rohdaten, Sequenzen und Programm-Codes um, oft müssen oder können diese der Leserschaft gar nicht zur Verfügung gestellt werden. Ein Kollaps des aktuellen Systems ist laut Brembs unvermeidlich, denn mit dieser Dynamik müsste es bald für jede neue Publikation eine Retraction geben. Daher fordert Brembs von den heutigen Jungwissenschaftlern den Mut und die Risikobereitschaft für eine Abkehr vom gesamten Journal-basierten Status Quo, damit alle Daten möglichst schnell und für alle abrufbar im wahren Sinne des Wortes veröffentlicht werden. [Korrektur 16.12: Björn Brembs stellte keine Forderungen speziell an Jungwissenschaftler, sondern warb ganz grundsätzlich für Mut zur Abkehr vom  Journal-basierten System. Gemeint waren damit insbesondere auch die Institutionen. Wir entschuldigen uns für das Missverständnis. Die Red. ].

Allen jungen Teilnehmern war aber bewusst, dass das prinzipienfeste, IF-unabhängige OA-Publizieren sehr wohl ein Karriere-Suizid sein kann. Dies müsste aber nicht sein, wenn die etablierten Forscher und Förderer von heute beim Umdenken mitmachen würden. Die ersten Zeichen sind bereits da.

So beschloss EMBO, Impaktfaktoren und beeindruckende Journal-Namen bei der Vergabe von Langzeitstipendien grundsätzlich nicht mehr zu berücksichtigen. Die San Francisco Declaration on Research Assessment (DORA, Bericht hier) fordert eine Abkehr von herkömmlichen Evaluationsmethoden bei akademischen Stellenbesetzungen und Fördermittelvergaben. Anträge und Bewerbungen sollten demnach nicht mehr nach Impact Factor bewertet werden, ein Nature-Paper beispielsweise soll nicht zwangsläufig die sofortige Stellen- und Fördermittelzusage bewirken.

Obwohl es inzwischen hilfreiche Alternativen zum IF gibt (sogenannte Altmetrics ­– also die Bewertung von Downloads, Kommentaren, Verlinkungen, Sozialnetzwerk-Empfehlungen usw), muss man bei der Bewertung dieser Metriken vorsichtig sein. Denn ein lustiger Titel tut‘s manchmal auch, um gute Altmetrics-Zahlen zu erzielen.

Bewerber und Antragsteller sollten also statt mit den Journal-Titeln und Publikationen eher in der Sache argumentieren: mit ihren wichtigsten wissenschaftlichen Beiträgen und Entdeckungen in Form einer knappen Zusammenfassung.

Die Forschung selbst sollte objektiv bewertet werden, und nicht die Fähigkeit der Autoren, diese auf welche Art auch immer in Markenjournals zu platzieren. OA wird immer mehr zu einem wichtigen Argument bei akademischen Bewertungen (auch bei der MPG), und auch Groß-Förderer wie die Gates Foundation haben sich bereits festgelegt.

Das OA-Publizieren hat das Potential, unfaire und oft verlogene Zustände in der Wissenschaft zu beenden. Dazu mehr in meinem nächsten Beitrag.

Leonid Schneider


Der Autor war zum Zeitpunkt der Konferenz selbst an einem Max Planck Institut beschäftigt, hat aber nicht als "Ambassador" eines Instituts, sondern als beobachtender Gast teilgenommen.

 

Illustration: Fotolia




Letzte Änderungen: 10.02.2015