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Elsevier holt sich eine sächsische Abfuhr

(5.2.2015) Die Universität Leipzig bricht Verhandlungen mit dem Verlagsgiganten Elsevier ab und verzichtet ab sofort auf die teuren Zugangs-Lizenzen.
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Die Universität Leipzig wird den 2014 abgelaufenen Lizenzvertrag mit Elsevier über den Zugang zu rund 300 Fachzeitschriften nicht verlängern. „Wir sahen uns zum wiederholten Male damit konfrontiert, dass eine Reduzierung des Angebots mit einer deutlichen Preissteigerung einhergehen sollte. Dieser aggressiven Preispolitik können und wollen wir nicht mehr folgen", sagt Rektorin Beate Schücking laut einer Pressemitteilung. Für das teuerste Elsevier-Journal musste die Uni Leipzig zuletzt 21.000 Euro pro Jahr bezahlen; eine fünfstellige Jahresgebühr sei auch für eine Anzahl anderer Fachzeitschriften angefallen.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Elsevier eine Abfuhr von einer deutschen Uni einhandelt. Schon im März 2014 hatte die Universität Konstanz ihrerseits auf eine Verlängerung des Vertrags mit dem umstrittenen niederländischen Verleger verzichtet, mit ähnlicher Begründung. Wie die Konstanzer Bibliotheksdirektorin Petra Hätscher bestätigt, hat die Uni am Bodensee seither auch keinen neuen Vertrag mit Elsevier abgeschlossen. Man setzt also weiter auf Behelfslösungen wie Fernleihe oder „Pay-per-view“, um den Konstanzer Wissenschaftlern Zugang zu Elsevier-Papers zu geben.

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Big Deal mit großem Preisschild

Wieso ist die Beziehung zwischen Wissenschaftsverlagen und Unis oft so schwierig? Raffinierterweise haben die Verlage die wissenschaftlichen Bibliotheken weltweit schon vor Jahren in sogenannte Big Deals verwickelt. Das Geschäftsmodell dieser Paket-Vereinbarungen zwingt die Bibliothekare, Lizenzen für große Zeitschriften-Bündel einzukaufen – anstatt nur für ausgewählte Titel, die wirklich nachgefragt werden. Und die Preise für diese Pakete steigen und steigen. Um welchen Gesamtbetrag es in Leipzig konkret ging, ist nicht bekannt.

In Großbritannien ist es jedoch kürzlich gelungen, Vergleichszahlen zu erfahren. So zahlt diesen Daten zufolge beispielsweise die University of Birmingham, mit knapp 29.000 Studierenden etwa gleich groß wie die Uni Leipzig, im Moment über 950.000 britische Pfund (ca. 1,3 Millionen Euro) pro Jahr – nur an Elsevier. Der Zugang zu den Produkten der „Großen Sieben“ der Wissenschaftsverlage kostet die Uni Birmingham umgerechnet über zehn Millionen Euro pro Jahr.

Sehr aussagekräftig ist dieser Vergleich für das aktuelle Beispiel Leipzig aber nicht. Denn bei der britischen Untersuchung kam auch heraus, dass die verschiedenen Preise für Journal-Lizenzen in keiner klaren Beziehung zur Größe der Uni (oder anderen vernünftigen Kennzahlen) steht.

Die Universität Konstanz vermeldete vor einem Jahr jedenfalls, dass der Durchschnittspreis für eine Elsevier-Zeitschrift vor der Kündigung bei etwa 3400 Euro pro Jahr lag. Genaue Zahlen über den Preis des Gesamtpakets nennen die deutschen Unibibliotheken nicht öffentlich.

Ausgebuffte Pokerspieler

Was man aber sicher sagen kann: Es geht bei diesen Verhandlungen über Uni-weite Lizenzen ganzer Zeitschriftenbündel um sehr viel Geld. Dementsprechend ausgebufft und ausdauernd  dürften beide Seiten in der Regel pokern. Dass Bibliothekare und Wissenschaftler über zu hohe Preise schimpfen, während die Verlags-Verkäufer auf die Vorzüge ihres Produkts verweisen, ist nicht neu. Man kennt das von jedem Basar, seit die Menschen aus Höhlen gekrochen kamen um Mammutfelle einzutauschen. Der Besitzer der Felle lobt die wärmenden Eigenschaften und stellt heraus, wie viel Arbeit er mit der Herstellung hatte, während der potentielle Kunde behauptet, zur Not auch ohne Mammutfell durch den Winter zu kommen. Aber früher oder später bleibt ihm doch nichts anders übrig, als sich auf einen Deal einzulassen, will er sich nicht den Hintern abfrieren.

Nun müssen Forscher zwar nicht erfrieren, wenn sie keinen direkten Zugang zu Elsevier-Zeitschriften mehr haben. Aber es wird schon unbequem. Dass man sich am Ende überhaupt nicht einigt und die Uni gleich ganz auf direkten Zugang zu allen Zeitschriften eines Verlags verzichtet – das ist bisher eine große Ausnahme.

„Eine gute Nachricht für die Forscher ist das nicht“, sagt auch der Pressesprecher der Uni Leipzig, Carsten Heckmann. „Aber gleichzeitig gibt es unter den Forschern auch Rückendeckung und viel Verständnis für die Entscheidung“. Man müsse eben auch die Wirtschaftlichkeit im Auge behalten.

Und die Leipziger Forscher werden auch weiterhin Fachartikel von Elsevier beziehen können, zum Beispiel über den Dokumentenlieferdienst der Bibliothek, ähnlich wie das auch die Uni Konstanz praktiziert. Es wird nur etwas mühsamer.

Der Abbruch der Verhandlungen könnte jedenfalls ein Weckruf für die traditionellen Verlage sein. Solange alle wichtigen Journals in den Klauen von Elsevier, Springer, Wiley und Co waren, blieb den Unis nichts anderes übrig, als teuer für den Zugang zu bezahlen – und im Prinzip ist das immer noch so. Aber es gibt einen Veränderungsdruck, den die großen Verlage zu spüren bekommen: Immer mehr Fachartikel sind frei zugänglich, auch weil Forschungsförderer zunehmend darauf bestehen („Open-Access-Mandate“).

Konstanz und Leipzig zeigen: Es geht auch anders

Desto mehr Artikel frei zugänglich sind, desto weniger sind die hinter Paywalls eingesperrten Journals wert, könnte man meinen. Für Preissteigerungen sollte in dieser Lage kein Raum sein. Die Verlage sehen das naturgemäß anders und verweisen gerne auf Zugriffsstatistiken und ihre Investitionen in digitale Infrastruktur, die der Kunde bitteschön belohnen soll.

Der Marktmacht der großen Verlage würden gerade viele kleine und mittelgroße Unis gerne etwas entgegensetzen – auch in diesem Zusammenhang ist der öffentlichkeitswirksame Ausstieg der Unis Konstanz und Leipzig zu sehen. Petra Hätscher: „Wenn die Verlage den Eindruck bekommen, man müsse bei ihnen kaufen, weil es nicht anders geht, dann hat man auch keine Verhandlungsmacht“.

Und nicht nur an der Uni Leipzig hofft man darauf, dass in Zukunft nicht mehr jede Universität alleine über Lizenzen mit den Journal-Giganten verhandelt, sondern dass man sich zusammenschließt und idealerweise gleich Nationallizenzen aushandelt, wie in der Schweiz oder in Schweden schon üblich.

Aber am Ende sind es weniger die Bibliothekare und Uni-Verwaltungen, die Fortschritte in den verkrusteten Publikationsstrukturen erzwingen können – das schaffen nur die Wissenschaftler selbst. Sie sind es schließlich, die den Journals freigebig ihre Manuskripte schenken und auch noch die Last des Peer Review übernehmen, bevor die Verlage die ein wenig aufpolierten Fachartikel an die Forscher zurück-verkaufen. Diese irrsinnige Großzügigkeit sollten sich vernünftige Wissenschaftler nicht mehr leisten.

 

Hans Zauner


Illustration: © designsoliman (Fotolia)



Letzte Änderungen: 17.02.2015