Editorial

Homologie in Scheibchen

(5.3.2015) Wann sind zwei Gene homolog? Ein vetracktes Thema. Aber soviel ist klar: Homologie kann man nicht in Prozent-Bruchteilen messen.
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„Evolutionsbiologin erschießt ihren Mikrobio-Kollegen, als er zum x-ten Mal das Wort 'Homologie' benutzt, obwohl er eigentlich 'Ähnlichkeit' hätte sagen sollen“. So steht es auf der Seite The Allium, laut Eigenwerbung ein Portal, das Wissenschaftsnachrichten bringt „die du sonst nirgends nicht liest“. Fans der „ehrlichen Nachrichten“ des Postillon können sich denken, wie das gemeint ist.

Laut Allium erklärt die Täterin ihren Ausraster so: „Er sagte, er habe zwei paraloge DNA-Sequenzen verglichen, und CLUSTAL zufolge seien sie zu 75 % homolog. Da habe ich rot gesehen. Ich habe komplett den Verstand verloren.“

Und weiter: „Der Typ ist angeblich Biologe, aber dann kommt er mir mit so einer Kacke daher? Es tut mir nur leid, dass ich ihn nicht schon früher erschossen habe“.

Auch wenn sich die Szene nicht ganz so blutig abgespielt hat, so ist doch was Wahres dran. Denn vielen Evolutionsbiologen geht tatsächlich die Hutschnur hoch, wenn Kollegen etwa sagen, das Gen X zeige „46 % Homologie“ zu Gen Y.

Editorial

entweder homolog oder nicht

Homologie ist ein zentrales Konzept der Evolutionsbiologie – und kommt nicht in Scheibchen. Entweder zwei Strukturen sind homolog, oder sie sind es nicht. Und das gilt für Gene genauso wie für morphologische Merkmale. Homologie bedeutet, dass die Merkmale auf eine definierte Struktur in einem gemeinsamen Vorfahren zurückgehen. Wal-Flosse, Fledermaus-Flügel und Menschen-Hand sind homolog. Punkt. Zu behaupten, zwei Organe seien „zu 80,5 %“ homolog, ergäbe ersichtlich keinen Sinn. Und das gleiche gilt auch für DNA- und Protein-Sequenzen.

Schon bei morphologischen Strukturen ist Homologie aber ein rutschiges Konzept und man muss aufpassen, dass man nicht auf die Nase fällt. So sind beispielsweise Wal-Flossen und Fisch-Flossen nicht homolog, wenn man sie als Flossen betrachtet. Die Brustflossen der Wale sind sekundär aus Säuger-Beinen entstanden. Aber als Gliedmaßen betrachtet gehen Säuger-Beine (und damit auch die Wal-Brustflossen) und die paarigen Flossen der Fische wie dem Quastenflosser sehr wohl auf eine gemeinsame Abstammung zurück; sie sind in diesem Sinne eben doch homolog. Homologie hängt also vom stammesgeschichtlichen Bezugsrahmen ab.

Irreführende Bezeichnungen

Genau das gleiche Problem gibt es auch auf molekularer Ebene. Daher liest man manchmal, Gen X und Y seien „entfernte Homologe“ (distant homologs). Das ist zwar nicht sonderlich exakt (ab wann sind sie denn „entfernt“?), aber im Gegensatz zu Prozentangaben zumindest nicht falsch.

Völlig irreführend ist aber wiederum der Begriff „funktionelle Homologie“, der gelegentlich durch die Literatur geistert. Gemeint ist damit, dass zwei Gene eine vergleichbare Funktion ausüben, die aber nicht auf gemeinsame Abstammung zurückgeht. Anders gesagt, „funktionelle Homologe“ sind gar nicht homolog. In Gegenwart schießwütiger Evolutionsbiologinnen sollte man den Begriff vermeiden.

Das Reden über Homologie ist also vertrackt und voller Fallen, wenn es um Gene geht. Zum Teil liegt das auch daran, dass sich Gene duplizieren und Gen-Familien bilden. Auf genetischer Ebene gibt es deshalb zwei Arten von Homologie: Der gemeinsame Ursprung zweier Sequenzlinien ist oft eine Art-Aufspaltung. In diesem Fall sagt man, die zwei Gene sind „ortholog“.

Aber es kann auch sein, dass Gene schon vor der Aufspaltung der Art getrennte Wege gegangen sind – nämlich dann, wenn es zuvor zu einer Genduplikation kam. Gene, die ihren gemeinsamen Ursprung in einer Gen-(oder Genom-)Duplikation haben, nennt man „paralog“.

Ob man es mit Orthologen oder Paralogen zu tun hat ist manchmal schwierig festzustellen, zumal in großen Gen-Familien mit vielen Duplikationsrunden. Zum Beispiel können Gene nach Duplikationsereignissen in einzelnen Abstammungslinien wieder verloren gehen, was unter Umständen Kopfzerbrechen bereiten kann.

...und wozu ist das gut?

Und wieso nun ist die Unterscheidung zwischen Orthologen und Paralogen in der Praxis wichtig? Als Beispiel sei das Genpaar TBX-4 und TBX-5 im Zebrabärbling genannt. Der Transkriptionsfaktor TBX-5 wird während der Zebrabärbling-Entwicklung in den Knospen der Brustflossen exprimiert, TBX-4 dagegen in den Bauchflossen. Phylogenetische Studien legen nahe, dass TBX-4 und TBX-5 Paraloge sind, d.h., sie gingen aus einem Duplikationsereignis hervor. Die Interpretation: Nach einer Genduplikation haben sich die zwei redundanten TBX-Kopien die Aufgaben neu geteilt, und tragen so dazu bei, Vorder- und Hintergliedmaßen ihre je eigene Identität zu geben (siehe diesen Review von Ruvinsky et al.).

Um solche evolutionsgenetischen Prozesse nachzuvollziehen, muss man aber die richtigen, verwandten Gene miteinander vergleichen. Denn auch für Genome gilt Dobzhanskys altes Wort: Sinn macht das alles nur im Licht der Evolution.


Hans Zauner


Foto: © Igor Normann  / Fotolia



Letzte Änderungen: 08.05.2015