Editorial

Blaues Blut aus der Kälte

(21.3.2015) Der antarktische Krake Pareledone charcoti lebt bei Wassertemperaturen um den Gefrierpunkt. Diese ungemütliche Umwelt hat auch Auswirkungen auf die Sauerstoff-Versorgung.
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Die Evolution hat Anpassungen hervorgebracht, die Eismeerbewohner von Verwandten aus wärmeren Gegenden unterscheiden. So ist etwa die Versorgung Wasser-bewohnender Tiere mit Sauerstoff ein Prozess, der stark temperaturabhängig ist. Nahe 0°C gibt es reichlich Sauerstoff, da kaltes Wasser mehr davon aufnehmen kann als warmes. Antarktische Fische beispielsweise haben deshalb eine deutlich niedrigere Konzentration des roten Blutpigments Hämoglobin als verwandte Arten, die weiter nördlich leben. Die Krokodileisfische (Channichthyidae) kommen sogar ganz ohne Hämoglobin aus, ihr Blut ist quasi farblos.

Kraken nutzen allerdings statt Hämoglobin das blaue Pigment Hämocyanin als Sauerstofftransporter. Sauerstoff wird im Hämocyanin an ein zentrales Kupferion gebunden, das Krakenblut bekommt dadurch seine blaue Farbe. In Analogie zum niedrigen Hämoglobin-Spiegel der antarktischen Fischen könnte man nun meinen, dass auch der antarktische Krake mit weniger Blutfarbstoff auskommen sollte als die Octopus-Verwandtschaft in nördlicheren Breiten.

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Deshalb waren Michael Oellermann und seine Kollegen vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut für Polarforschung zunächst überrascht, als sie die Hämocyanin-Konzentration im Blut von Pareledone charcoti mit der verwandter Arten aus wärmeren Gegenden verglichen – und feststellten, dass der Krake aus der Kälte eine um 40 % höhere Konzentration des Pigments aufweist als Eledone moschata aus dem Mittelmeer oder Octopus pallidus von der südostaustralischen Küste.

Ein Teil der Erklärung der Bremerhavener Forscher: Hämocyanin gibt bei niedrigen Temperaturen den Sauerstoff nur ineffektiv wieder her. Selbst wenn Sauerstoff eigentlich im Überfluss vorhanden ist, kann er im eiskalten Wasser also schlecht verfügbar gemacht werden. Wettgemacht wird das durch die höhere Konzentration des Blutfarbstoffs.

Ein zweiter Aspekt kommt aber noch hinzu. Denn P. charcoti lebt nicht ausschließlich in Wasser am Gefrierpunkt, sondern auch in wärmeren Flachwassertümpeln. Für Tiere, die an Temperaturen im unteren einstelligen Bereich angepasst sind, wird es bei einer Wassertemperatur von 10°C oder mehr schon ausgesprochen stressig. Das Eismeer-Kraken-Hämocyanin gibt bei 10°C einen großen Teil des gebundenen Sauerstoffs ab – der bei erhöhter Herzfrequenz im vergleichsweise(!) warmen Wasser auch dringend benötigt wird.

Die hohe Konzentration an blauen Blutpigmenten kompensiert also einerseits die geringe Fähigkeit des Hämocyanins, bei geringen Temperaturen Sauerstoff abzugeben; andererseits kommt der Krake so auch gut mit höheren Temperaturen zurecht. Eventuell könnte diese Temperaturtoleranz der antarktischen Krake auch helfen, mit den Folgen der Klimaerwärmung fertig zu werden, spekulieren die Forscher.


Hans Zauner

 

Originalpublikation:

Frontiers in Zoology 2015, 12:6

Weitere Quellen:

Artikel des Erstautors Michael Oellermann im BMC Blog

Pressemitteilung des AWI

Illustration: © honeyflavour/ Fotolia



Letzte Änderungen: 18.05.2015