Editorial

Fremde Gene in der Süßkartoffel

(28.4.15) Die Kulturform der Süßkartoffel wurde genetisch transformiert und enthält fremde DNA – schon seit vielen tausend Jahren. 
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In deutschen Supermärkten wird seit Jahrzehnten transgenes Gemüse verkauft, ohne jegliche Kennzeichnung. Das geschieht derart heimlich, dass Kunden, Händler und Landwirte davon nichts mitbekommen haben. Aber nun ist der Schwindel aufgeflogen, dank einer PNAS-Publikation eines internationalen Forscherteams um Tina Kyndt (Universität Ghent, Belgien), Dora Quispe (Universität Ghent und International Potato Center, Lima, Peru) und Jan Kreuze (ebenfalls vom International Potato Center, Lima).

Kreuze und seine Kollegen waren dabei, die nicht-kodierenden kleinen RNAs der Süßkartoffel zu sequenzieren, als sie auf Erstaunliches stießen: Sämtliche kultivierten Formen der Süßkartoffel (Ipomoea batatas) beherbergen die sogenannte Transfer-DNA (T-DNA) von Agrobacterium! Dabei handelte es sich in erster Linie um die sogenannte IbT-DNA1-Kassette.

Wer hat die Gene in die Süßkartoffel getan?

Nicht nur das, die Autoren fanden im Süßkartoffel-Genom mehrere auf diese Weise eingeschleuste Fremdgene, die erstens in der gesamten Pflanze exprimiert werden und sich zweitens auch nicht immer einem bestimmten Organismus zuordnen ließen. Womöglich stammten diese Gene aus einer dritten Spezies, und das Agrobacterium hat sie in die spätere Kulturform der Süßkartoffel eingebracht.

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Agrobacterium gibt es in zwei bekannten Arten, A. tumefaciens und A. rhizogenes. Diese Mikroorganismen infizieren Pflanzen mit Hilfe des tumor-induzierenden (Ti) Plasmids. Die transferierte DNA enthält Gene, die das Bakterium braucht, um eine tumorartige Wucherung in der befallenen Pflanze zu erzeugen und darin gedeihen zu können (Übersichtsartikel hier).

Die grünen Biotechnologen haben sich A. tumefaciens längst als Standard-Werkzeug angeeignet, um Pflanzen genetisch zu modifizieren. Dabei werden die gewünschten Gene in die T-DNA-Kassette des Ti-Plasmids eingebaut und von A. tumefaciens in das Zielpflanzen-Genom integriert.

Wenn die Kulturform der Süßkartoffel nun Fremdgene und die T-DNA von Agrobacterium enthält – ist das nicht ein klarer Fall von Genmanipulation?

Prähistorischer Gentransfer

Anders als die Zuchtform sind die wilden Ipomoea-Verwandten allesamt frei von T-DNA, zumindest von der IbT-DNA1-Kassette. Die Süßkartoffel wird in ihrer ursprünglichen Heimat Südamerika aber schon seit etwa zehntausend Jahren angebaut. Der Gentransfer muss vor Jahrtausenden passiert sein.

Hatten die Steinzeit-Südamerikaner die Gentechnik entdeckt? Oder haben irre Wissenschaftler aus der Zukunft eine Zeitmaschine gekapert, um unsere Lebensmittel mit Fremdgenen zu verseuchen?

Cartoon: Leonid Schneider

Die Autoren der PNAS-Studie beruhigen: die Gen-Einschleusung in die Süßkartoffel geschah auf natürlichem Wege durch horizontalen Gentransfer. Die Kulturform der Süßkartoffel ist also ein natürlich gentechnisch veränderter Organismus (GVO). Das Agrobacterium gibt es ja schon etwas länger als unsere menschliche Gentechnologie oder Landwirtschaft. In früheren Studien wurde die T-DNA des Agrobacteriums bereits im Wildtabak (Nicotiana glauca) und im wilden Leinkraut (Linaria vulgaris) entdeckt.

Das Besondere an der jetzigen Entdeckung ist also nur, dass zum ersten Mal eine vom Menschen als Nahrungsmittel kultivierte Pflanze als transgen enttarnt wurde. Ob diese natürliche Gen-Transformation auch etwas mit den Eigenschaften der Kultur-Süßkartoffel hat, wissen die Autoren der PNAS-Studie nicht genau. Sie spekulieren, dass die transferierten Gene zu einem wertvollen Phänotyp der Pflanze beigetragen haben könnten, der dann von den südamerikanischen Ur-Bauern erkannt und durch künstliche Selektion weitergezüchtet wurde.

Darf die natürliche GVO-Süßkartoffel überhaupt verkauft werden?

Wenn das stimmt, wären eigentlich alle Voraussetzungen der GVO-Definition erfüllt und die europäischen Behörden müssten die Süßkartoffel aus den Geschäften verbannen. Tatsächlich kommt der PNAS-Bericht ausgerechnet zu einer Zeit, zu der sich die deutsche und europäische Politik mal wieder intensiv mit grüner Gentechnik befasst. Es geht um mögliche neue Regelungen  für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen und den Import von Futtermitteln. Soll es dazu EU-weit, EU-länderspezifisch oder gar für jedes deutsche Bundesland eigene Regeln geben?

Die Politiker halten sich dabei an die Wünsche der Wähler, und die wollen mehrheitlich keine "Gen-Pflanzen". Ganz besonders ausgeprägt ist diese Haltung in Deutschland, wo immer mehr Produktlinien auf Kundenwunsch als „frei von Gentechnik“ beworben werden. Kreuze und Kollegen bringen in ihrem Artikel die Hoffnung zum Ausdruck, dass die skeptische Bevölkerung nun einsehen könne, dass genetisch veränderte Pflanzen überhaupt nicht unnatürlich sind.

Der Freiburger Biotechnologie-Professor Ralf Reski lobte gegenüber Laborjournal die Qualität und die Bedeutung der PNAS-Studie und machte in diesem Zusammenhang auf das „Golden Rice“-Projekt  aufmerksam. Dieser transgene Reis wurde an der Universität Freiburg und der ETH Zürich unter Einsatz von A. tumefaciens entwickelt und enthält dank der Genmodifikation eine erhöhte Menge an Beta-Carotin.

Der "goldene Reis" soll der Mangelernährung in der Dritten Welt entgegenwirken. Aufgrund der aktuellen Gentechnik-feindlichen Einstellung der europäischen Bevölkerung und Politik seien Freisetzungsversuche mit GVOs hierzulande aber leider kaum möglich und scheitern am Widerstand von Behörden und Gentechnik-Gegnern. Obwohl eine potenziell schädliche Wirkung der transgenen Pflanzen trotz zahlreicher Studien bis jetzt nicht nachgewiesen werden konnte, so Reski.

Leonid Schneider



Letzte Änderungen: 16.06.2015