Editorial

Im Sumpf der Moralisten

(18.5.15) Eine Minderheit glühender Aktivisten zwingt einem Forscher ihre Moral auf. Das erzeugt Unbehagen über die Wissenschaft hinaus, meint Brynja Adam-Radmanic.
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Eigentlich war sein Text gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Doch die private Ankündigung des Tübinger Hirnforschers Nikos Logothetis, er werde seine Forschung an Affen bald aufgeben, schlug zu hohe Wellen, um lange unter der Decke zu bleiben. Laut Science schrieb Logothetis in einem Brief an einige Kollegen, dass er sich nicht länger im Stande fühle, den Anfeindungen der Tierrechtsbewegung gegen sich und seine Mitarbeiter standzuhalten.

                                       Die Macht der Bilder

Angefangen hatte die Kampagne gegen den Forscher mit den Videos eines Aktivisten. Der Mann, der für die Tierrechtsorganisationen "Soko Tierschutz" und  "British Union for the Abolition of Vivisection" (BUAV) tätig war, hat als Tierpfleger in Logothetis' Affenhaltung angeheuert. Auszüge aus seinen heimlich aufgenommenen Filmen wurden im letzten September bei sternTV gezeigt.

Zu sehen war dort etwa, wie sich ein Affe an den frischen OP-Nähten auf dem Kopf kratzt und an der Elektroden-Verankerung reißt, die ihm oben wie der Knopf eines Lego-Männchens aus dem Schädel ragt. Zu den Bildern eines Affen, der die Stäbe seines Käfigs ableckt, wird dem Zuschauer erzählt, er würde durch Wasserentzug gefügig gemacht und so zur Teilnahme an Versuchen gezwungen. Ein weiterer Affe wird zitternd und halb gelähmt gezeigt, er erbricht sich und leidet. Die Öffentlichkeit war verstört und entsetzt.

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In einer Stellungnahme hatte Logothetis damals die Vorwürfe der Tierrechtsorganisationen zurückgewiesen. Bei dem Gezeigten handele es sich keineswegs um den Alltag in der Affenhaltung. Indem nur kranke oder frisch operierte Tiere gezeigt und ihr Leiden als Normalität dargestellt werde, würden die Gefühle der Zuschauer manipuliert und ein falscher Eindruck erweckt.

Es stimme außerdem nicht, dass die Affen starken Durst leiden. Vielmehr werde ihnen nur kurz vor dem Versuch verwehrt, ihren Durst vollständig zu stillen, damit sie die Gabe des süßen Saftes während des Experiments auch tatsächlich als Belohnung empfinden.

Und bei dem kranken Tier sei es zu einer schweren Entzündung des Implantats gekommen. Wie bei Eingriffen am Menschen gebe es auch hier immer ein Operationsrisiko.

Widerstand zwecklos?

Logothetis ging in der Stellungnahme auch zum Gegenangriff über. Es sei die Aufgabe des filmenden Tierpflegers selbst gewesen, das auffällige Verhalten des frisch operierten Affen sofort an den zuständigen Tierarzt zu melden. Doch das tat er nicht, sondern hielt lieber mit der Kamera drauf, während das Tier litt.

Außerdem seien die stereotypen Bewegungen eines der Tiere, das man im Film sieht, von anderen Pflegern und Wissenschaftlern bisher nie beobachtet worden. Das deute darauf hin, dass der filmende Aktivist das Verhalten des Tieres selbst hervorgerufen habe.

Doch weder Zurechtrücken noch Zurückschießen half. Denn die Empörungswelle rollte bereits. Und zwar mit aller Macht. Seit dem Herbst stand das Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, an dem Logothetis Direktor ist, im Zentrum einer Kampagne von Tierrechtlern und Tierschützern. Das Spektrum ihrer Aktivitäten reichte dabei von Groß-Demonstrationen bis zu belastendem Psychoterror in Form von Hass-Mails und anonymen Morddrohungen.

Klima aus Hass und Feindseligkeit

Dieser Tage feierten die Tierversuchsgegner die Nachricht, Logothetis in die Knie gezwungen zu haben, im Internet wie den Sieg in einer Schlacht. Dass sein geplanter Rückzug aus der Affenforschung weder durch Einsicht noch durch demokratische Prozesse zustande kam, sondern durch ein öffentlich erzeugtes Klima aus Hass und Feindseligkeit, scheint niemanden zu stören.

Dass eine solche Haltung öffentlich so triumphierend zur Schau gestellt wird, sollte uns Angst machen. Gibt es wirklich so viele Leute in unserer Mitte, für die der Zweck derart die Mittel heiligt? Die wirklich davon überzeugt sind, dass ihre eigene Moral die einzig gültige ist?

Es ist diese Sicherheit, im absoluten Recht zu sein, die es Menschen psychologisch erst möglich macht, andere Menschen so leidenschaftlich zu verachten. Es ist erst dieses glühende Gefühl der Rechtschaffenheit, das sie unempfindlich macht gegenüber dem Leid, das ihre eigene Aggression bei Anderen erzeugt. Nur mit dieser ideologischen Übersteigerung des eigenen moralischen Empfindens ist es möglich, abweichende Meinungen als krankhafte Widerwärtigkeit abzutun.

Nicht der moralische Standpunkt selbst ist das Problem

Um das Aufkommen eines Missverständnisses vorzubeugen: Nicht der moralische Standpunkt der Tierversuchsgegner selbst ist das Problem, sondern die undemokratische, radikalisierte Art, in der dieser vertreten wird.

Denn natürlich muss sich Wissenschaft in einer Demokratie der Moral der Mehrheit beugen. Wenn also wirklich die Masse der Bevölkerung Versuche an Affen aus moralischen Gründen ablehnen würde und bereit wäre, auf die Erkenntnisse aus solchen Versuchen zu verzichten, dann müsste das in Gesetze gegossen werden und zu einem Verbot führen.

Um also die Regeln zu ändern, die die als unmoralisch wahrgenommenen Versuche ermöglichen, müsste sich eine politische Tierschutz-Bewegung, die die Demokratie respektiert, vor allem an die Bevölkerung und die Gesetzgeber wenden.

Aber das ist es nicht, was in den letzten Wochen passiert ist. Vielmehr waren es von Einzelnen durchgeführte und von einer aufgehetzten Meute gebilligte Mobbing-Strategien, durch die sich Logothetis gezwungen sah, seine Affenforschung mittelfristig aufzugeben. Die Verharmlosung, mit der das Geschehene in Diskussionen umschrieben wird, zeigt sehr deutlich, dass Selbstjustiz für diese Bewegung als ein legitimes Mittel anerkannt ist, ihre Moral durchzusetzen.

Und das ist eine Entwicklung, die weit über die Wissenschaft hinaus Unbehagen erzeugen sollte. Denn Fundamentalismus bedroht die Demokratie nicht nur dann, wenn er religiös ist oder von rechts kommt.

Brynja Adam-Radmanic


[Kommentare dieser Art drücken stets die Auffassung der Autoren aus und decken sich nicht zwangsläufig mit der Meinung der Redaktion.]


Bisherige Beiträge zum Thema "Makakenversuche":

- "Affenzirkus", vom 8. Mai 2014 (über ähnliche Probleme in Bremen)

- "Kontroverse Affenversuche in Tübingen", vom 3. Februar 2015

- "Aus für Tübinger Affenversuche", vom 11. Mai 2015

- "Kein Verlust", Kommentar von Leonid Schneider vom 12. Mai 2015




Letzte Änderungen: 03.07.2015