Editorial

Lonesome Pipetter

(9.9.15) Ein Wildwest-Erlebnis unserer (anderen) TA: Sie entdeckt den Laborcowboy, der einsam in den Sonnenuntergang pipettiert.

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Neulich kam ich am Platz eines unserer dienstälteren Doktoranden vorbei und musste einfach stehen bleiben und staunen. Er pipettierte.

An sich keine große Sache, das tun viele. Allerdings präsentierte sich meinen Augen eine wahrhaft außergewöhnliche Entsorgungstechnik der benutzten Spitzen. Anstatt wie üblich den Arm auszustrecken, und unmittelbar über dem Abfallbehälter den Abwurf zu betätigen, tat er das einen knappen Meter davon entfernt. Er hob lediglich den Unterarm um 90°, ließ die Pipette nach vorne klappen, gleichsam den Giftzähnen einer zum tödlichen Stoß ansetzenden Schlange, und feuerte die Spitze ab. Mit ebenso schlangenhafter Präzision, dass, jedenfalls solange ich daneben stand, keine Spitze ihr Ziel verfehlte.

Er hatte die Armbewegung Richtung Müll kurzerhand wegrationalisiert. Auf diese Weise sparte er Zeit und Muskelkraft. Letztere investierte er wiederum in den Andruck der nächsten Spitze, was die enorme Abwurfreichweite erklärte.

Ein vollendet optimierter Abwurfvorgang sozusagen.

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Seine Bewegungen ließen mich unwillkürlich an Wildwestfilme denken, in denen sich die Kontrahenten regungslos Auge in Auge gegenüberstehen, bis sie plötzlich mit einem Ruck den Colt aus dem Holster ziehen und abdrücken. In unserem Fall handelte es sich bei der Waffe um eine Research 10, bestückt mit farbloser Munition Kaliber 20 µl. Die Durchschlagskraft der in den Müll fliegenden Spitzen hätte jeden Gegner niedergestreckt.

Möglich, dass ich im Interesse der Pipette hätte erzieherisch eingreifen müssen. Dergleichen kam mir aber erst später in den Sinn. Vorher hatte ich an anderes zu denken. Zuerst betrachtete ich meinen Kollegen genauer, entdeckte aber keine der üblichen Cowboyutensilien wie Lasso, Stetson oder Sporen. Auch ein Pferd war nicht zu sehen. Das hatte er sicher vor der Mensa angebunden. Einen Saloon haben wir auf dem Campus nicht. Dann dachte ich an meinen Anorganiklehrer, der Pipetten als Waffe im täglichen Arbeitskampf zu bezeichnen pflegte. Welch anschauliche Darstellung dieses Satzes wurde mir hier geboten.

Laden und feuern. Laden und feuern.

Fehlte nur, dass der Doktorand zwischendurch gelassen lächelnd die Pipette um den Finger wirbeln lässt. Vielleicht ist er am Tag seiner Disputation bekannt als der Doktorand, der schneller abwirft als sein Schatten und am Abend einsam in den Sonnenuntergang pipettiert?

In diesem Sinne…Howdy!

 

Maike Ruprecht

Abb (Hintergrund): (c) Perseomedusa / Fotolia



Letzte Änderungen: 17.10.2015