Editorial

DNA-Computer

von Harald Zähringer (Laborjournal-Ausgabe 03, 2002)


Noch ist der "echte" Computer mit DNA-Molekülen als Speichermedium in weiter Ferne. Grundlegende Prozesse funktionieren jedoch schon.

Noch ist die Geschwindigkeit, mit der die Computer-Industrie immer kleinere und schnellere Mikroprozessoren entwickelt, atemberaubend. Im Eineinhalb-Jahrestakt verdoppeln die Chiphersteller die Zahl der Transistoren, die auf einem Computerchip Platz finden. Doch bereits in zehn Jahren, so prognostizieren Experten, wird die Miniaturisierung der Siliziumchips, die in Speichern und Prozessoren von Computern ihren Dienst tun, an physikalische Grenzen stoßen. Seit einigen Jahren sind Wissenschaftler deshalb auf der Suche nach alternativen Speichermedien. Nach ihren Plänen sollen in den Computern der Zukunft informationsspeichernde Moleküle die Funktion der herkömmlichen Siliziumspeicher übernehmen.


DNA für Handelsreisende

Als Speichermolekül besonders geeignet ist nach Expertenmeinung die Nukleinsäure DNA, welche die Natur seit Millionen von Jahren als Informationsträger einsetzt. Die Bausteine der DNA, die vier Basen Adenin, Cytosin, Guanin und Thyimin, sind auf den beiden Strängen des DNA-Moleküls wie auf einer Perlenschnur aufgereiht. Computerspeicher aus DNA könnten somit vier Schaltzustände nutzen, zwei mehr als die elektrischen Speicher, die nur in den Positionen "Ein" oder "Aus" vorliegen.

Ein wesentlicher Fortschritt auf dem Weg zu "DNA-Computern" gelang Leonard Adleman von der University of Southern California bereits 1994: Mit Hilfe von DNA-Molekülen, die in Reaktionsgefäßen nach einem vorgegebenen Programm hybridisierten, konnte der Bioinformatiker das in Informatiker-Zirkeln vieldiskutierte Problem des "Handelsreisenden" lösen. Bei diesem Spezialfall der so genannten NP-Probleme, soll ein Vertreter eine Anzahl von Städten auf einer optimalen Route nacheinander besuchen. Adlemans "DNA-Computer" löste die Aufgabe für sieben Städte - in einer relativ kurzen Zeit. Mit zunehmender Zahl der Städte genehmigen sich herkömmliche Computer hierfür schon einmal Rechenzeiten von mehreren Monaten, bevor sie bei großen Zahlen ganz aufgeben.

DNA, ATP und ein paar Enzyme

Mit dieser bahnbrechenden Arbeit, die Adleman in Science publizierte, legte er den Grundstein für die weitere Entwicklung von "DNA-Computern". Wie Adlemans Prototyp hatten aber auch die Nachfolgemodelle ein großes Manko: sie waren bei einzelnen Reaktionsschritten immer auf die Hilfe eines Menschen angewiesen. Ehud Shapiro vom Weizmann Institute of Science im israelischen Rehovot hat diese Einschränkung jetzt beseitigt. In der Nature-Ausgabe vom 22. November letzten Jahres (Bd. 414, S. 430) stellte er den ersten automatischen "DNAComputer" vor.

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Nun darf man sich unter der Rechenmaschine der Israelis jedoch keinen Computer vorstellen, wie er millionenfach in deutschen Wohnstuben steht. Shapiros Rechner passt mühelos in ein 120 Mikroliter Reaktionsgefäß. Seine Hardware besteht aus ATP, der T4 DNA-Ligase und dem Restriktionsenzym Fokl. Letzteres hat eine Eigenschaft, die Shapiro sehr zupass kommt: Fokl schneidet nicht innerhalb der Erkennungsseite, sondern exakt neun Basenpaare davon in Richtung 3'-Ende entfernt, Sequenz beliebig. Dabei hinterlässt es überhängende Enden. Als Software agieren acht kurze DNA-Fragmente, die Shapiro mit einer FokI-Erkennungsstelle, einem Spacer und überhängenden Enden versehen hat. Will Shapiro seinen DNA-Rechner starten, drückt er nicht auf einen Schalter, vielmehr mischt er einfach Hard- und Software, gibt noch eine Eingabe-DNA hinzu und wartet bis die Reaktionzyklen zu Ende sind.

Shapiro hat diese so ausgetüftelt, dass sie ohne sein Zutun völlig automatisch ablaufen: Fokl schneidet die Eingabe-DNA zunächst in einer gewünschten Sequenz. Anschließend verknüpft die T4-Ligase das klebrige Ende mit dem der passenden Software-DNA. In der nächsten Runde schneidet FokI dieses Zwischenprodukt gesteuert durch die Länge des Spacers - in einem Sequenzabschnitt der Eingabe-DNA, der dem ersten benachbart ist. Die Ligase verknüpft dieses Schnipsel schließlich wieder mit einer Software-DNA, worauf der nächste Zyklus beginnt. Auf diese Weise wird die Eingabe-DNA Schritt für Schritt vom 5'-Ende her wie ein Lochstreifen "gelesen".

Die Reaktionen der einzelnen Zyklen folgen dabei dem Schema eines Zustandsautomaten. Diese sind Sonderfälle der so genannten Turing-Maschinen, deren Konzept der englische Mathematiker Alan Turing bereits in den Dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts entwickelte. Zwar waren Turings Rechenmaschinen nur Denkmodelle - gebaut wurden sie nie -, nach ihrem Prinzip ließe sich aber auch ein moderner Computer betreiben. Informatiker betrachten Zustandsautomaten als imaginäre Maschinen, die an einer begrenzten Zahl von Eingabesymbolen Operationen durchführen. Dabei geht der virtuelle Automat von einem Anfangszustand in andere erlaubte Zustände über. Die Software des Zustandsautomaten besteht aus so genannten Übergangsregeln, die vorschreiben, wann er in den nächsten Zustand übertreten soll. So arbeitet die Maschine ein Element nach dem anderen ab, bis der erlaubte Zielzustand erreicht ist, der Auskunft über das Ergebnis der Rechenoperation gibt.

Der israelische "DNA-Computer" basiert nun auf einem einfachen Zustandsautomaten, der die beiden Zustände "0" und "1" einnehmen und die zwei Buchstaben "A' und "B" als Eingangselemente erkennen kann. A und B werden jeweils von einer sechs Basenpaaren langen Sequenz der Eingabe-DNA repräsentiert, die Zustände 0 und 1 entsprechen zwei verschiedenen Schnitten von Foki innerhalb dieser Sequenzen. Für diesen Automaten existieren acht Übergangsregeln: Shapiros "DNA-Computer" benötigt deshalb acht verschiedene DNA-Fragmente als Software. Im letzten Reaktionszyklus hybridisiert eine radioaktiv markierte Ausgabe-DNA an die prozessierte Eingabe-DNA - das Rechenergebnis lässt sich also über eine simple Gelelektrophorese verfolgen.

Eine einfache Anweisung an diesen "Zwei Zustände-zwei Symbole-Automaten" könnte lauten: Taucht in einer Buchstabenreihe der Buchstabe A auf, so bleibe in deinem erlaubten Ausgangszustand 0. Lässt der Programmierer nur dieses übergangsprogramm zu, sortiert die Maschine sämtliche Buchstabenreihen als falsch aus, die neben dem Buchstaben A auch ein B enthalten. Aber auch andere Kombinationen der acht Übergangsregeln sind möglich. So kann Shapiros "DNA-Zustandsmaschine" zum Beispiel auch nach einer Buchstabenreihe suchen, die nur ein einziges B und ansonsten lauter A's enthält oder nur aus einer geraden Zahl des Buchstaben A besteht und so fort. Insgesamt sind 765 Programme denkbar, mit denen sich Shapiros Rechenautomat füttern lässt.


DNA löst vor allem Suchprobleme

Die Kreation des israelischen Teams ist damit natürlich noch weit von einem "echten" Computer entfernt - Rechnen im landläufigen Sinn kann sie nicht. Shapiro demonstriert mit ihr jedoch, dass DNA-Moleküle im Sinne eines Zustandsautomaten programmierbar sind. Die größten Anwendungschancen dieser DNA-Rechenkünstler sehen Computerwissenschaftler in Suchproblemen. Ein solches wäre etwa: Suche eine bestimmte Zahlen- oder Buchstabenkombination. Nehmen die Kombinationsmöglichkeiten von Suchproblemen zu, so wachsen sie herkömmlichen Rechnern schnell über den Kopf, weil diese sequentiell arbeiten, also eine Rechenoperation nach der anderen ausführen. DNA-Computer können bei solchen Operationen einen entscheidenden Trumpf gegen ihre konventionellen Kollegen ausspielen: Wie ein Heer parallel geschalteter Computer arbeiten in ihnen auf engstem Raum Myriaden von DNA-Prozessoren gleichzeitig. Was für den einsamen Prozessor eines PCs eine unendliche Rechnerei bedeutet, erledigen die parallelrechnenden DNA-Moleküle im Nu.

Udo Feldkamp aus der Arbeitsgruppe "DNA-Computing" der Uni Dortmund sieht darin aber auch ein grundlegendes Problem: "Mit zunehmender Komplexität der Rechenaufgabe nimmt der Platzbedarf der DNA-Moleküle in den Reaktionsgefäßen explosionsartig zu." Bei der Datenspeicherung oder der Datenverschlüsselung, so seine Überzeugung, könnten DNA-Computer eines Tages aber durchaus herkömmliche Rechner ergänzen oder gar ersetzen.



Letzte Änderungen: 20.10.2004