Editorial

Kokain

von Miriam Colindres (Laborjournal-Ausgabe 9, 2012)

Knoten

Foto: olly/Fotolia

Kokain wird von Menschen seit jeher konsumiert – mindestens seit 5.000 Jahren, wahrscheinlich jedoch länger. Die Völker Südamerikas kultivierten den Kokastrauch (Erythroxylum coca) wegen der Hunger stillenden und stimulierenden Wirkung der Blätter. Im 16. Jahrhundert entdeckten auch die spanischen Eroberer die Kräfte steigernde Wirkung der Pflanze für sich und nutzten sie zur Ausbeutung der Eingeborenen – ohne Kokain wäre die Zwangsarbeit der Indios in den Silberminen bei weitem nicht so ertragsreich gewesen.

Kokain ist ein Alkaloid wie Koffein, Nikotin, Chinin und Morphin. Bereits im 19. Jahrhundert wurde es in der Medizin als lokales Anästhetikum verwendet. Gleichzeitig erkannte man auch, wie gefährlich der Stoff war, der nicht wenige vergiftete und viele abhängig machte. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Kokain verhindert an Dopamin-, Noradrenalin- und Serotonin-Nervenzellen den Transport und somit die Wiederaufnahme dieser Neurotransmitter in die Präsynapse. Als Folge steigt die Transmitterkonzentration im synaptischen Spalt immer weiter, was den Sympathikustonus erhöht und sich in der euphorisierenden Wirkung von Kokain äußert.

Waffe der Kokapflanze

Die Kokapflanze hat sich den Stoff jedoch höchstwahrscheinlich nicht zugelegt um Mensch und vielleicht auch Tier zu erfreuen. Sie wehrt sich damit gegen Fraßfeinde, denn Insekten mögen Kokain nicht. Das zeigten Forscher vom Massachussetts General Hospital in Boston (James Nathanson et al., PNAS 1993, 90(20):9645‑8). Die Forscher fütterten Tabakschwärmerlarven mit Kokain und fanden, dass Kokain bereits in natürlich vorkommenden Konzentrationen ein starkes Pestizid ist – 95 Prozent der Larven starben. Biochemische Untersuchungen an Insektengehirnen ergaben, dass die insektizide Wirkung von Kokain auf die Hemmung der Aufnahme von Octopamin zurückzuführen ist. Octopamin erhöht bei Insekten die Erregbarkeit von Muskelzellen. Die Aktivierung der Octopamin-Neurotransmission durch Kokain stört die gesamte Motorik und äußert sich in einer verminderten Nahrungsaufnahme und Rückzug der Insekten. Die Forscher vermuteten, dass die stimulierende Wirkung von Kokain auf den Menschen ein zufälliger Nebeneffekt sei und sich auf Säugetiere beschränkt. Ebendiesen „zufälligen“ Neben­effekt beobachteten jedoch australische Forscher auch bei Bienen. Kokaingabe verstärkte ihren Tanz, mit dem sie ihren Arbeiterkolleginnen Informationen über die Nahrungsquelle übermitteln (Andrew Barron et al., J Exp Biol 2009, 212(Pt 2):163-8).

Evolution der Kokainbiosynthese

Bei allen Erkenntnissen zu Berauschungsvermögen und Insektenfraßverhinderung hatte man einen Aspekt bisher nur am Rande beachtet. Forschern um John D’Auria am MPI für chemische Ökologie in Jena fiel auf, dass in puncto Kokainbiosynthese noch einige Fragen offen waren, und nahmen sie unter die Lupe. In cDNA-­Banken fanden sie die Gene zweier Enzyme, die in die Tropan-Alkaloid-Biosynthese verwandter Arten involviert sind: die Ornithin- und die Arginin-Decarboxylase (Teresa Docimo et al., Plant Mol Biol 2012, 78(6):599-615).

Tropan-Alkaloide kommen in sieben Pflanzenarten vor, darunter Kreuzblütler, Wolfsmilch-, Nachtschatten- und Rotholzgewächse, alle mit geringem Verwandtschaftsgrad. Gibt es möglicherweise einen gemeinsamen evolutionären Ursprung? Ein Orientierungspunkt war Atropin, ein kokainverwandtes Tropan-Alkaloid aus der Tollkirsche, einem Nachtschattengewächs. Ein entscheidender Schritt der Atropin-Biosynthese ist die Umwandlung einer Ketogruppe durch ein Enzym aus der Gruppe der Dehydrogenasen/Reduktasen. Die Forscher fanden in der Kokapflanze jedoch ein ganz anderes Enzym: eine Aldo-Keto-Reduktase, die sie Methylecgonon-Reduktase (MecgoR) nannten. Diese katalysiert den analogen Schritt, die Umwandlung der Ketogruppe zu einem Alkoholrest. Ein weiterer Unterschied: Während Atropin ausschließlich in der Wurzel der Tollkirsche synthetisiert und anschließend in die Blätter transportier wird, ist MecgoR besonders in ganz jungen Blättern der Kokapflanze aktiv, jedoch nicht in den Wurzeln (Jan Jirschitzka et al., PNAS 2012, 109(26):10304-9)

Belohnungssystem

Kokain ist eine böse Droge mit einer hohen Rückfallrate. Verantwortlich dafür ist das dopaminerge Belohnungssystem im Nucleus accumbens (NAc) im Vorderhirn. Hauptsächlich zwei Typen von dopaminergen Projektionsneuronen, D1 und D2, aktivieren den NAc und regulieren die Belohnungsantwort. Wie sie das bewerkstelligen, wollten Forscher um Eric Nestler, Mount Sinai School of Medicine, New York, her­ausfinden. Bisher wusste man, dass nach Kokain-Entzug sowohl der Wachstumsfaktor BDNF (brain derived neurotrophic factor) als auch die aktivierte Form seines Rezeptors TrkB im NAc hochreguliert werden. Nestler et al. schalteten den BDNF-TrkB-Signalweg abwechselnd in D1- und in D2-Neuronen aus und beobachteten prompt entgegengesetzte Effekte auf das Kokain-Belohnungssystem: Verlust von TrkB in D2-Neuronen erhöhte ihre neuronale Erregbarkeit. Sie ahmten den TrkB-Verlust in D2-Neuronen nach, indem sie diese aktivierten (über den Cre-selektiv in D2-Neuronen exprimierten, blaulichtgesteuerten Ionenkanal Channelrhodopsin). Und siehe da, Aktivierung der D2-Neuronen unterdrückte das Kokain-Belohnungssystem, während D1 es noch steigerte (Kay Lobo et al., Science 2010, 330:385-90).

Im kokainabhängigen Gehirn kommt es womöglich zu einem Ungleichgewicht mit einem überaktiven D1-Signalweg und einer herabgesetzten Aktivität von D2. Die gezielte Aktivierung von D2-Neuronen scheint demnach ein vielversprechender Kandidat für einen wirksamen Entzug zu sein.



Letzte Änderungen: 07.10.2012